Ein Jahr im Amt – US-Vizepräsidentin Kamala Harris enttäuscht ihre Fans und verärgert ihre Angestellten
Trumps Traumgegnerin taumelt

Kamala Harris galt an der Seite von US-Präsident Joe Biden als grosse Hoffnung. Nach einem Amtsjahr ist die Bilanz ernüchternd.
Publiziert: 20.01.2022 um 00:30 Uhr
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Aktualisiert: 20.01.2022 um 08:14 Uhr
Guido Felder

Als Joe Biden (79) im Herbst 2020 Kamala Harris (57) als seine künftige Vizepräsidentin präsentierte, frohlockte Donald Trump (75): «Das ist eine Art Gegnerin, von der jeder träumt.»

Die Präsidentschaftswahl verlor Trump zwar, doch nach einem Jahr muss man bilanzieren: So unrecht hatte er mit seiner Aussage nicht.

Denn der bisherige Höhepunkt in Harris' Karriere blieb die Vereidigung am 20. Januar 2021. Als sie mit einem Lächeln im Gesicht die Hand auf die Bibel legte und schwor, die Verfassung der Vereinigten Staaten zu verteidigen, jubelten ihr viele Amerikaner und vor allem Amerikanerinnen zu. Sie sahen in der farbigen und fröhlichen Harris schon die zukünftige Präsidentin, welche die USA nach zwei alten Präsidenten in eine moderne Zukunft lenken sollte.

Kamala Harris am Tag ihrer Vereidigung zur ersten Vizepräsidentin der USA.
Foto: Getty Images
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Heikles Migrationsdossier

Doch nach den vielen Vorschusslorbeeren begann der harte Alltag. Die ehemalige durchsetzungsstarke und hartnäckige Generalstaatsanwältin von Kalifornien machte als Vizepräsidentin an Bidens Seite einen eher ratlosen Eindruck. Zu ihrer Verteidigung: Biden hatte mit dem Migrationsdossier ein Himmelfahrtskommando auf sie abgeschoben.

Ihre heikle Aufgabe bestand darin, einen Kompromiss zwischen Trumps harter Mauerpolitik und offenen Vereinigten Staaten herzustellen. Sie stiess damit sowohl bei den Republikanern als auch im eigenen Lager auf Kritik. Bei den Republikanern damit, dass die Anzahl der illegalen Einwanderer schon im Juni 2021 doppelt so hoch war wie im ganzen Jahr 2020. Und beim linken Spektrum der Demokraten mit dem Satz an potenzielle Flüchtlinge: «Do not come!»

Viel Handfestes gelang ihr bisher nicht. Als sie im Juni Mexiko und Guatemala besuchte, schaffte sie es gerade mal, mehr Arbeitsvisa auszustellen.

Schlechter Umgang mit Angestellten

Auch im Weissen Haus macht Harris keine gute Figur. Sie soll ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dermassen in die Zange nehmen, dass eine ungewöhnlich hohe Zahl gekündigt hat. Das Politmagazin «Politico» schrieb von «schlechter Stimmung, durchlässiger Kommunikation und einem geringen Vertrauen zwischen Angestellten und hochrangigen Beamten».

Vor kurzem haben auch zwei ihrer wichtigsten Vertrauten gekündigt, Sprecherin Symone Sanders (32) und Kommunikationsdirektorin Ashley Etienne (43), um sich «anderen Aufgaben zu widmen».

Bei Harris’ Unterstützern herrscht Wut über die Kritik. Sie reden von Sexismus und davon, dass man einen Mann nie derart kritisieren würde. Auch Joe Bidens Regierungssprecherin Jen Psaki (43) verteidigt sie und sagt, es stehe «ausser Frage», dass die vielen Angriffe auf Harris zumindest teilweise daher rührten, dass sie eine Frau sei und einer Minderheit angehöre. Psaki: «Damit lastet wirklich viel auf ihren Schultern.»

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Tiefe Umfragewerte

Wie weit Sexismus eine Rolle spielt, ist schwer zu sagen. Fakt ist, dass Harris nach einem Amtsjahr mit rund 36 Prozent Zustimmung so schlechte Umfrageergebnisse erreicht wie kein Vize in den vergangenen 50 Jahren.

In zweieinhalb Jahren – wenn der dann 82-jährige Biden wohl zurücktreten wird – wollen die Demokraten das Präsidentenamt verteidigen. Harris galt zuletzt nicht mehr als Kandidatin gesetzt, dafür gewinnt Verkehrsminister Pete Buttigieg (40) an Unterstützung. Nun hat Biden jedoch Klarheit geschaffen. In seiner Rede zum ersten Amtsjahr stellt er klar: «Sie wird meine Kandidatin sein.»

Die Demokraten befürchten dennoch immer mehr, dass Harris für den möglicherweise wieder antretenden Trump tatsächlich zur Traumgegnerin werden könnte – sofern sie in den kommenden Monaten nicht doch noch an Profil zulegen kann.

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