«Niemand kann mehr wegsehen»
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Sohn von Martin Luther King:«Niemand kann mehr wegsehen»

Sohn von Martin Luther King über Rassismus
«Niemand kann mehr wegsehen»

Martin Luther King III (62) führt das Erbe seines Vaters fort, dem berühmtesten Bürgerrechtler Amerikas. Ein Gespräch über Rassismus, die Black-Lives-Matter-Proteste und US-Präsident Donald Trump.
Publiziert: 13.06.2020 um 23:32 Uhr
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Aktualisiert: 15.06.2020 um 12:44 Uhr
Fabian Eberhard

Wie der Vater, so der Sohn: Martin Luther King III (62) trägt nicht nur den Namen seines ermordeten Vaters, er führt auch seinen Kampf um die Gleichberechtigung der Schwarzen weiter. Nach dem Mord an George Floyd setzt sich King an vorderster Front gegen Rassismus ein.

1963 hielt Ihr Vater beim Marsch auf Washington seine berühmteste Rede: «Ich habe einen Traum, dass meine vier kleinen Kinder eines Tages in einer Nation leben ­werden, in der man sie nicht nach ­ihrer Haut­farbe, sondern nach ihrem Charakter ­beurteilen wird.» Ist das ein Traum geblieben?
Martin Luther King III: Für die allermeisten von uns ­Afroamerikanern leider schon. Klar gab es seither Fortschritte. Aber Rassismus ist in den USA nach wie vor Alltag. Wir sehen das bei der Polizeibrutalität ­gegen Schwarze wie jüngst im Fall George Floyd, aber genauso bei strukturellen Benach­teiligungen im amerikanischen System.

Aus diesem Grund planen schwarze Aktivisten im August einen neuen Marsch auf Washington – 57 Jahre nach dem ersten. Ist das nicht frust­rierend?
Mein Vater mahnte stets: «Wir haben einen langen Weg vor uns.» Es schmerzt, dass erneut ein solcher Marsch nötig ist. Auch mein Vater wäre enttäuscht. Doch die «Black Lives Matter»-­Bewegung hat in den letzten Jahren viel erreicht. Wissen Sie, was mir am meisten Hoffnung macht?

Martin Luther King III (links) als Fünfjähriger mit seinem gleichnamigen Vater, seiner Mutter und zwei Geschwistern.
Foto: Keystone
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Sagen Sie es mir.
Dass sich heute viele Weisse an den Protesten beteiligen. Mancherorts sind sogar mehr Weisse als Schwarze auf der Strasse.

Könnte diesmal tat­sächlich ein Umdenken stattfinden?
Davon bin ich überzeugt. Der Wandel steht unmittelbar bevor.

Was macht Sie da so sicher?
Nach dem bestialischen Mord an George Floyd kann niemand mehr wegsehen. Wir sind an einem Wendepunkt. Ganz Amerika ist ­erwacht, auf der ganzen Welt protestieren Menschen für einen Wandel.

Sogar in der Schweiz.
Sehen Sie! Der Widerstand ist so breit wie noch nie. Dementsprechend riesig ist der Druck auf die Politik und die Behörden. Die USA haben keine andere Wahl mehr, als Veränderungen anzustossen. Insbesondere der strukturelle Rassismus in Institutionen kann nicht mehr aufrechterhalten werden. Das Thema Diskriminierung wird diesmal auch nicht einfach wieder von der Bildfläche verschwinden. Und was mich besonders freut: Erste Massnahmen wurden bereits ein­geleitet. So hat etwa der ­Polizeichef von Minnea­polis umfangreiche Reformen angekündigt.

George Floyd ist nicht der erste Schwarze, der von Polizisten getötet wurde. Warum rüttelt ausgerechnet sein Fall die ameri­kanische Öffentlichkeit dermassen auf?
Die Wut der Menschen über die Ungerechtigkeiten im Land hat sich lange angestaut. Man darf nicht vergessen: In den letzten Jahren gab es immer wieder grosse Märsche der «Black Lives Matter»-Bewegung. Das ist kein neues Phänomen. Nur verändert hat sich wenig. Der auf Video festgehaltene Todeskampf von George Floyd, acht Mi­nuten und 46 Sekunden, das war nun zu viel.

Kaum machte das Video die Runde, kam es in US-Städten zu heftigen Ausschreitungen. Verstehen Sie diese Randale?
Ich würde Gewalt nie gut­heissen. Nie. Aber ja, ich verstehe, woher sie kommt. Die Menschen fühlen sich ohnmächtig. Eine kaputte Scheibe kann repariert werden, ein Menschenleben nicht. Mein Vater sagte: «Ausschreitungen sind die Sprache der Ungehörten.»

Sie zitieren Ihren Vater oft. Als er ermordet wurde, waren Sie zehn Jahre alt. Erinnern Sie sich an den Tag?
Der 4. April 1968. Ich sass mit meiner Schwester in der Küche und hörte am Radio in den Nachrichten, dass es ein Attentat auf meinen Vater gegeben habe. Ich rannte zu meiner Mutter ins Zimmer nebenan. Sie hatte es gerade eben durch einen Telefonanruf erfahren.

War Ihnen zu dieser Zeit klar, was der Tod Ihres Vaters für Amerika bedeutete?
Von den Krawallen, die folgten, bekam ich nichts mit. Ich trauerte. Mein ­Vater war neben meiner Mutter die wichtigste Person in meinem Leben. In den Tagen nach dem Attentat wurde mir aber erstmals bewusst, wie wichtig er auch für die Menschen da draussen gewesen sein musste.

Aufgrund der Medien­berichte?
Nein, all der Besucher bei uns zu Hause wegen: Poli­ti­ker, Schauspieler, Athleten. Bobby und Ted Kennedy ­kamen vorbei, Jackie Onassis, Richard Nixon oder ­Aretha Franklin. Sie alle wollten uns beistehen und Martin Luther King, meinem Vater, ihren Respekt zollen.

Heute tragen Sie seinen Namen. Ist das eine Last?
Sagen wir es so: Es ist ­eine Herausforderung. Etwa dann, wenn ich Todes­drohungen erhalte. Sein Name kann aber auch ein Segen sein. Ich kann Staatsführer treffen, Menschen zusammenbringen und für Dialog sorgen. Das habe ich dem Namen King zu verdanken.

Auch Präsident ­Donald Trump haben Sie getroffen. Wie beurteilen Sie seine Führung in dieser historischen Krise?
Ich bin enttäuscht von ihm, sehr enttäuscht. Donald Trump handelt nicht im­ ­Interesse der Nation, sondern tut nur, was bei seinen Anhängern gut ­ankommt. Statt die Menschen zusammenzubringen, schüttet er Benzin in die Flammen. In einem ­seiner ersten Tweets zu den Ereignissen drohte er: «Wenn Plünderungen beginnen, beginnt das Schiessen.» Mit anderen Worten: Wir schiessen Menschen über den Haufen – wie Tiere! Das sind die falschen ­Signale zur falschen Zeit. Es ist verheerend.

Was, wenn Trump im November wiedergewählt wird?
Ich bin zuversichtlich, dass es nicht dazu kommt. Ich glaube, es gibt eine schweigende Mehrheit, die Trump nicht unterstützt. Diese Mehrheit erhebt jetzt ihre Stimme.

Warum jetzt?
Weil Trump uns gezeigt hat, wer er wirklich ist. Er hat kein Talent für das, was er tut. Nicht nur, was die ­Führung im Inland betrifft. Auch in Bezug auf seine ­internationale Politik. Ich gehe deshalb fest davon aus, dass Trump bei einer fairen Wahl verlieren wird. Die Zeit für einen Wechsel ist da.

In den Fussstapfen seines Vaters

Der US-Menschenrechtler Martin Luther King III (62) ist der älteste Sohn des Pastors und Bürgerrechtsaktivisten Martin Luther King Jr., der wegen ­seines Kampfes für die Gleichberech­tigung der Schwarzen vor 52 Jahren ermordet wurde. King III lebt mit seiner Frau und einer zwölfjährigen Tochter in Atlanta.

Der US-Menschenrechtler Martin Luther King III (62) ist der älteste Sohn des Pastors und Bürgerrechtsaktivisten Martin Luther King Jr., der wegen ­seines Kampfes für die Gleichberech­tigung der Schwarzen vor 52 Jahren ermordet wurde. King III lebt mit seiner Frau und einer zwölfjährigen Tochter in Atlanta.

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