«Sie versuchen, die Niederlage zu verdrängen»
3:08
Schlechte Stimmung in Serbien:«Sie versuchen, die Niederlage zu verdrängen»

Wie weiter nach dem WM-Aus?
Serbien steckt noch immer im emotionalen Dilemma

An Eifer fehlt es im Balkan-Land nicht. Serbiens Problem seien die überbordenden Emotionen, sagt einer, der es wissen muss. Und Besserung ist nicht in Sicht.
Publiziert: 03.12.2022 um 15:14 Uhr
|
Aktualisiert: 03.12.2022 um 18:00 Uhr
Blick_Portraits_328.JPG
Samuel SchumacherAusland-Reporter

Von den fünf Toren, die während des Fussballspiels zwischen der Schweiz und Serbien gefallen sind, hat Jovan (39) kein einziges live gesehen. Dabei flimmerte der heiss umkämpfte Match zwischen den beiden Nationen direkt neben ihm über den Bildschirm. Doch Jovan war 90 Minuten lang viel zu beschäftigt damit, dem einzigen Schweizer im proppenvollen Belgrader «Pub Brod» zu erklären, warum das mit Serbien und dem Fussball nie etwas werden wird: «Wir sind als Volk viel zu emotional. Bei den Serben sind immer viel zu viele Gefühle mit im Spiel», sagt der gross gewachsene Belgrader mit dem pechschwarzen Bart. «Das kommt uns immer in die Quere – nicht nur auf dem Fussballplatz.»

Jovan wird an diesem Abend recht behalten. Die Serben scheitern an der Schweiz und scheiden aus. Wirklich enttäuscht ist niemand im Belgrader «Pub Brod». Weil eben: Man hat das ja kommen sehen.

Serbien dürstet nach neuen Helden

Serbien, die Sieben-Millionen-Nation, der Rumpfstaat der einstigen Sport-Grossmacht Jugoslawien, das Land mit der schmucken Hauptstadt und der schwierigen Geschichte: Es hätte neue Sporthelden nötig, zu denen es aufschauen und dank denen es den Blick von der düsteren Vergangenheit abwenden könnte. Klar: Da sind der Tennis-Überflieger Novak Djokovic (35) oder Nikola Jokic (27), der zweifache «Most Valuable Player» der nordamerikanischen Basketball-Liga NBA. Doch die reichen nicht, um das nationale Trauma vergessen zu machen.

Nikola Milenkovic verliert gegen Granit Xhaka während des Spiels kurzzeitig die Fassung.
Foto: TOTO MARTI
1/7

Gerade jetzt, in der traurigen Hochphase des Ukraine-Kriegs, kommt das alte Trauma, die Zerrissenheit zwischen Ost und West, wieder zum Vorschein. Der serbische Präsident Aleksandar Vucic (52) weigert sich bislang standhaft, die westlichen Sanktionen gegen das russische Regime mitzutragen. Neben der Türkei und Weissrussland ist Serbien das einzige Land Europas, das gegenüber Wladimir Putin (70) beide Augen zudrückt. Zu wichtig ist der russische Handelspartner.

Und zu tief sind die Wunden, die der Kosovo-Krieg Ende der 1990er-Jahre hinterlassen hat. Im Frühling 1999 hatte die Nato die serbischen Kriegsherren mit einem vernichtenden Angriff gestoppt. Das haben die Serben dem Verteidigungsbündnis bis heute nicht verziehen. Und bis heute flammt der Konflikt mit dem Kosovo – in den Augen der meisten Serben nichts mehr als eine «abtrünnige serbische Republik» – regelmässig wieder auf.

Die doppelte Bedeutung des Doppeladlers

Das zeigten nicht zuletzt die hitzigen Diskussionen im Vorfeld des Schweiz-Serbien-Spiels. Dass die beiden kosovo-albanisch-stämmigen Schweizer Nati-Spieler Xherdan Shaqiri (31) und Granit Xhaka (30) ihre Tore bei der letzten Begegnung 2018 mit dem Doppeladler-Handzeichen feierten, haben die Serben nicht vergessen. Das Zeichen wird gemeinhin als Symbol des albanischen Nationalismus verstanden, auch wenn die Serben einen gerne darauf hinweisen, dass der Doppeladler, dieses alte byzantinische Königsemblem, auch auf der serbischen Flagge prangt.

Im «Pub Brod» jedenfalls führt fast jede längere Ballberührung von Xhaka oder Shaqiri zu lautem Geraune. Vladimir Filipovic (33), Sport-Chef von Blic, der grössten Zeitung Serbiens, die wie der Blick zum Ringier-Konzern gehört, erklärte im Gespräch vor dem Spiel zwar noch, die Politik spiele im serbischen Fussball heuer keine grosse Rolle mehr. «Die Hälfte unseres Teams war noch nicht mal auf der Welt, als der Krieg hier zu Ende ging. Die wollen sich nicht in diese alten Geschichten hineinsteigern.»

Auf dem Spielfeld gingen die Emotionen zwischen Xhaka und den serbischen Spielern dann trotzdem wieder hoch. Und eben: Mit zu viel Emotionen gewinnt man kein Fussballspiel. Mindestens diese Lektion dürften die Serben aus ihrer Geschichte inzwischen gelernt haben.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?