Im VW-Konzern regieren Gewerkschaften und Politiker immer mit
Thron oder Schleudersitz für die VW-Bosse

Heinrich Nordhoff führte ab 1947 Volkswagen für heute unvorstellbare 20 Jahre. Bei seinen Nachfolgern drehte sich das Personal-Karrussel deutlich rasanter. Kürzlich musste auch der aktuelle CEO Herbert Diess bangen.
Publiziert: 26.05.2023 um 12:00 Uhr
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Aktualisiert: 26.05.2023 um 12:50 Uhr
Andreas Faust

Seine Karriere war eigentlich schon vorbei. Bei der US-Militärverwaltung war er wegen seiner Führungsposition bei Opel während des Nazi-Regimes in Ungnade gefallen. Aber den Briten kam Heinrich Nordhoff (1899–1968) gerade recht. Die Besatzungsmacht brauchte 1947 einen VW-Werksdirektor – und stellte den Ingenieur Nordhoff mit Kusshand ein. Rund 20 Jahre bis zu seinem Herztod lenkte Nordhoff VW. Für die meisten seiner Nachfolger eine unvorstellbar lange Zeit. Denn seit Volkswagen 1960 zur AG geworden ist, gehts oft turbulent in der Führungsetage des Autobauers zu – und manche CEO-Karriere fiel diesen Turbulenzen zum Opfer.

Letztes Opfer eines VW-Sturms war Herbert Diess (64) im August 2022. Wiederholte Auseinandersetzungen mit dem Aufsichtsrat, seine markigen Äusserungen zur Zukunft des Werkes Wolfsburg und dessen Arbeitsplätze, der zögerliche Start der Software-Tochter Cariad und Probleme bei der Lancierung der potenziellen Bestseller ID.3 und Golf kosteten den Ex-BMW-Manager das Amt. Nicht der erste unfreiwillige Abgang in der VW-Chefetage.

Komplexe Machtverhältnisse

Denn VW gilt als kompliziert. Im für die Besetzung von Vorstandsposten entscheidenden Aufsichtsrat hält das Bundesland Niedersachsen, wo das Stammwerk Wolfsburg liegt, 20 Prozent der Stimmrechte. Üblich sind 25 Prozent. Aber wegen des ausdauernd von der EU kritisierten VW-Gesetzes darf es schon mit diesem Anteil eine Sperrminorität ausüben, also Entscheidungen blockieren. Wirtschaft oder Wiederwahl? Wie sich das Land einbringt, liegt immer auch an den politischen Mehrheitsverhältnissen in der Regierung in Hannover (D). Und dann sitzt – derzeit mit der Vorsitzenden Daniela Cavallo (48) – auch noch der Betriebsrat mit am Aufsichtsratstisch.

Der erste VW-Boss: Heinrich Nordhoff (1899–1968) regierte unangefochten – auch weil es für VW nur eine Richtung gab: aufwärts.
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Was über Jahrzehnte für ein explosives Interessengemisch sorgte. Erster Leidtragender: Nordhoff-Nachfolger Kurt Lotz (1912–2005). Ab 1968 stellt er die Beteiligung von Gewerkschaften und Politik im Unternehmen auf den Prüfstand, diskutiert sich aber ins Abseits und tritt 1971 zurück. Immerhin: Er bricht mit Nordhoffs Credo – Käfer, Käfer, Käfer, weil der lief und lief und lief – und stösst die Entwicklung neuer Modelle mit Frontantrieb an. Davon profitiert Rudolf Leiding (1914–2003), unter dessen Leitung das Erfolgsmodell Golf startet. Dennoch tritt er 1975 zurück. Warum? Krach mit der Mitarbeitervertretung, weil er die US-Produktion ausbauen will.

Rettung dank Frontantrieb

Auftritt Toni Schmücker (1921–1996). Der Ex-Thyssen-Manager muss Stellen streichen, weil die Ölkrise lähmt und 580'000 unverkaufte Autos auf dem Werkhof stehen. Aber er drückt auch weitere neue Fronttriebler wie den Golf GTI durch, stoppt den Käfer in Europa und schafft die Rückkehr in die Gewinnzone. Nach seinem Rücktritt aus gesundheitlichen Gründen folgt 1982 Carl Hahn (1926–2023). Pikant: 1972 gab dieser schon mal einen VW-Vorstandssitz wegen Strategiestreits auf. Heute mögen alle über Ferdinand Piëch reden – aber es ist Hahn, der den Grundstein für den Konzern von heute legt. Das neue China-Geschäft, die Übernahme von Seat 1986 und schrittweise ab 1990 von Skoda; der promovierte Volkswirt gab den Anstoss. Auch zum Konzernumbau von 1991, seit dem die Marke VW ein Teil des Gesamtkonzerns Volkswagen ist. Anfang 1993 übergibt Hahn dann an den wohl schillerndsten aller VW-Chefs.

Es bleibt in der Familie

Volkswagen ist seit 1960 eine Aktiengesellschaft, aber ohne Aktien in Streubesitz. Die Porsche SE hält die Mehrheit an VW, während der Autobauer Porsche AG zu Volkswagen gehört. Kompliziert? Wirds erst: Denn in der Porsche SE halten die Familienmitglieder der Piëchs und Porsches 100 Prozent der Stimmrechte. Zwar nicht zu gleichen Teilen, aber Verträge regeln, dass die Porsches die Piëchs nicht überstimmen dürfen. Und das soll so bleiben: Als Ferdinand Piëch 2017 einen Grossteil seiner Anteile veräusserte, übernahmen sie andere Familienmitglieder. Die Porsche SE hält über VW hinaus weitere Anteile z.B. an Tech-Startups.

Volkswagen ist seit 1960 eine Aktiengesellschaft, aber ohne Aktien in Streubesitz. Die Porsche SE hält die Mehrheit an VW, während der Autobauer Porsche AG zu Volkswagen gehört. Kompliziert? Wirds erst: Denn in der Porsche SE halten die Familienmitglieder der Piëchs und Porsches 100 Prozent der Stimmrechte. Zwar nicht zu gleichen Teilen, aber Verträge regeln, dass die Porsches die Piëchs nicht überstimmen dürfen. Und das soll so bleiben: Als Ferdinand Piëch 2017 einen Grossteil seiner Anteile veräusserte, übernahmen sie andere Familienmitglieder. Die Porsche SE hält über VW hinaus weitere Anteile z.B. an Tech-Startups.

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VW wird zur Familiensache

Für Ferdinand Piëch (1937–2019) ist VW eine Familienangelegenheit. Grossvater Ferdinand Porsche hatte den Käfer miterfunden, Piëch hat Porsche als Chefentwickler in die Moderne geführt und als CEO Audi in die Noblesse. Er treibt neue Technik auch um ihrer selbst willen voran, regiert mit harter Hand und ohne Rücksicht auf persönliche Befindlichkeiten. Er kauft den britischen Luxusauto-Bauer Bentley, nachdem dessen Schwestermarke Rolls-Royce an BMW geht, übernimmt Bugatti und Lamborghini, macht Nischenmodelle wie die Vans Touran und Sharan zu Erfolgsautos. Den Nobel-VW Phaeton drückt er ebenso durch wie den Prototypen eines Ein-Liter-Autos – obwohl beide nur Ruhm statt Geld bringen.

Seinen Einspar-Vorstand José Ignacio López (82) holt er von GM. Der nimmt dort angeblich Firmengeheimnisse mit und Piëch kann jahrelangen Rechtsstreit nur per Vergleich verhindern. Mit seinem Personalchef Peter Hartz (81) tüftelt Piëch eine innovative Vier-Tage-Arbeitswoche aus, doch 2007 kommt heraus, dass Hartz mit Bordellbesuchen und Massanzügen den Betriebsrat auf seine Seite gezogen hat. Als Piëch 2002 an Ex-BMW-Boss Bernd Pischetsrieder (75) übergibt, lockert der den Umgangston, stellt aber Piëchs Werk teils infrage. 2006 muss er auf Druck des Neu-Aufsichtsratschef Piëch gehen.

Diesel und Distanz

Mit Piëch-Intimus und Vorher-Audi-Chef Martin Winterkorn (76) zündet der Konzern die nächste Stufe – Weltnummer 1 will Winterkorn werden, den Amis gar den Diesel schmackhaft machen. VW eilt von Rekord zu Rekord, Winterkorn wird zur Lichtgestalt, der im Gespann mit Piëch alles zu gelingen scheint. Bis ihn im Herbst 2015 der VW-Dieselskandal um manipulierte Motorensoftware tief fallen lässt: Rücktritt. Schon im Frühjahr hatte Piëch versucht, Winterkorn auszuknocken; er sei «auf Distanz». Doch da spricht der Erfolg noch für Winterkorn. Porsche-Chef Matthias Müller (69) übernimmt, steuert um auf Elektromobilität, hält trotz Dieseldebakel Rekordkurs, aber darf den Erfolg nicht mehr einstreichen: Im April 2018 kommt Ex-BMW-Manager Herbert Diess (64).

Dessen konsequenter Kurs hin zur E-Mobilität und zum Tech-Konzern schien manchem in der Belegschaft etwas zu schnell zu gehen, dass die Konzernstrukturen nicht mitkamen – und gleichzeitig nicht schnell genug. Seit September 2022 amtet nun Oliver Blume (54), der parallel auch seinen vorherigen Job als Porsche Chef weiterhin ausübt. Er setzt auf eine kooperative Führungskultur und mehr Teamwork, hat aber beim Umbau des Konzernvorstandes und der Neuaufstellung der Software-Tochter Cariad schon Ellenbogen bewiesen. Nun will er den Niedergang von VW auf dem wichtigen chinesischen Markt stoppen mit mehr Modellen, die in China für China entwickelt werden sollen. Es bleibt spannend in Wolfsburg.

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