England führt Pflicht bei Neubauten ein
Schweiz gerät bei E-Ladesäulen ins Hintertreffen

Ohne eine gut ausgebaute Lade-Infrastruktur könnte der Boom bei den Elektroautos bald ins Stocken geraten. Während der Bundesrat bei der Förderung zögert und den Ball an die Kantone spielt, machen andere Länder den Bau von E-Ladesäulen zur Chefsache.
Publiziert: 14.12.2021 um 00:29 Uhr
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Aktualisiert: 14.12.2021 um 18:00 Uhr
Andreas Engel

Die Schweiz gilt als Land der Mieterinnen und Mieter: Laut Bundesamt für Statistik lebten Ende 2019 fast zwei Drittel der Haushalte – 2,3 Millionen – in Mietwohnungen. Demgegenüber stehen 1,4 Millionen Haushalte, die in ihren eigenen Wohnungen oder Häusern lebten. Kaum ein anderes Land in Europa hat einen höheren Mietanteil als die Schweiz.

Unverständlich deshalb, dass Bund und Kantone nur zögerlich auf den Wandel am Automarkt reagieren, wo der Anteil reiner Elektroautos bei den Neuwagen rasant zunimmt: Waren es 2019 bescheidene 4,2, sind es in diesem Jahr bereits mehr als 12 Prozent. Im November war laut Importeursvereinigung Auto Schweiz fast jedes fünfte Auto ein reiner Stromer – über zehn Prozent ebenfalls aufladebare Plug-in-Hybride. Die unweigerliche Frage: Wo sollen all diese Autos laden? Ohne einen grossflächigen Ausbau der Ladeinfrastruktur in Mietshäusern wird der Trend zur E-Mobilität unweigerlich früher oder später an Grenzen stossen.

Bundesrat zögerlich

In einer Interpellation fragte die Schaffhauser Nationalrätin Martina Munz (65) bereits im Herbst 2020 beim Bundesrat nach, mit welchen Massnahmen der Bund den Zubau von Ladeinfrastruktur in Mietliegenschaften fördern will. Die Antwort des Bundesrats: «Im Rahmen des totalrevidierten CO₂-Gesetzes nach 2020 wird ein neuer Klimafonds geschaffen. Aus diesem sollen unter anderem Ladeinfrastrukturen in Mehrparteiengebäuden durch ein nationales Förderprogramm gefördert werden.» Ausserdem unterstütze der Bund mit verschiedenen Massnahmen im Bereich der Information, Sensibilisierung, Beratung sowie der Erarbeitung und Verbreitung von Hilfsmitteln den Ausbau der Ladeinfrastruktur.

Kaum ein anderes Land in Europa hat einen höheren Anteil Mietwohnungen als die Schweiz. Gleichzeitig werden immer mehr Elektroautos verkauft. Die Frage lautet deshalb: Wo sollen all diese Autos laden?
Foto: Quai Vernets
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Im Klartext: Der Wille zur Förderung ist grundsätzlich da. Doch konkrete Massnahmen oder gar Förderungen für den Ausbau von Ladeinfrastruktur in Mietshäusern gibt es bis heute nicht! So wurde beispielsweise die Motion «Mieterinnen und Mieter sollen Elektroautos laden können» von GLP-Nationalrat Jürg Grossen (52) von Vertretern fast aller Parteien unterzeichnet – der Bundesrat lehnte die Motion aber ab. Er sei überzeugt, «dass auf freiwilliger Basis rascher Lösungen gefunden werden können», heisst es in einer Stellungnahme des Bundesamts für Energie BFE.

Luzern vor Gesetzesänderung

Gleichzeitig schob der Bundesrat den Ball an die Kantone weiter – dort scheint sich jetzt tatsächlich etwas zu bewegen. So unterstützt der Luzerner Regierungsrat eine Motion von FDP-Kantonsrat Thomas Meier (46), wonach Parkplätze von Mehrfamilienhäusern mit der Grundinfrastruktur für E-Ladestationen ausgerüstet werden müssen. «Der Aufbau einer leistungsfähigen Infrastruktur ist eine zentrale Voraussetzung, damit sich die E-Mobilität durchsetzen kann», begründet die Regierung ihre Unterstützung.

Konkret sieht die Motion vor, «dass bei Immobilien im Stockwerkeigentum, im Miteigentum und im Mietverhältnis, die neu- oder umgebaut werden, sämtliche Garagenplätze mit der Grundinfrastruktur für eine E-Ladestation auszustatten sind.» Die Anpassung des Planungs- und Baugesetzes muss vom Luzerner Kantonsrat allerdings noch angenommen werden. Auch weitere Kantone wie Bern, Schaffhausen und St. Gallen planen ähnliche Anpassungen.

Deutschland fördert, England verpflichtet

Andere Länder sind da schon weiter: Der Deutsche Bundestag etwa hat im Februar 2021 dem Gesetzentwurf zum Aufbau einer gebäudeintegrierten Lade- und Leitungsinfrastruktur für die Elektromobilität (GEIG) zugestimmt. Danach müssen neue Gebäude künftig mit Leitungen für Elektroauto-Ladesäulen versehen werden. Zudem fördert Deutschland die Einrichtung privater Wallboxen mit je 900 Euro – wenn an der Ladesäule Ökostrom bezogen wird.

Noch weiter geht Grossbritannien: Premierminister Boris Johnson (57) verkündete im November, er wolle sein Land in Sachen Klimaschutz zum europäischen Vorreiter machen und eine Ladesäulen-Pflicht für Neubauten einführen. Jährlich sollen dadurch bis zu 145'000 Ladestationen für E-Autos entstehen. Das britische Parlament soll der Vorgabe noch in diesem Jahr zustimmen, sodass die Pflicht schon 2022 in Kraft tritt. Von einer solchen E-Offensive bei der Ladeinfrastruktur ist die Schweiz noch weit entfernt.

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