Normverbrauch bei Elektroautos
Schummel bei der Reichweite?

Reichweiten-Angaben von Elektroautos führen zu heftigen Diskussionen: Wer anhand der Prospektwerte die Reichweite nachrechnet, kommt auf klar weniger als laut WLTP-Normwert. Woher dieser Widerspruch?
Publiziert: 06.04.2024 um 15:12 Uhr
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Aktualisiert: 06.04.2024 um 16:10 Uhr
Timothy Pfannkuchen

Ein neuer Stromer aus China schafft dank Feststoffbatterie 1000 Kilometer! Aber wenn man genau hinschaut: nur im chinesischen Messzyklus. Nach dem europäischen WLTP-Normzyklus wären es dagegen nur 800 Kilometer. Denn jeder Kontinent gönnt sich ein anderes Messverfahren.

Manche Reichweitenangaben von Elektroautos sind also mit Vorsicht zu geniessen. Und oft lassen sie sich für uns nicht nachvollziehen: Die Akkukapazität geteilt durch WLTP-Verbrauch ist nicht gleich WLTP-Reichweite. Drei Werte im Prospekt, die sich widersprechen – stapelt die WLTP-Reichweite hoch? Und schliesslich geben immer mehr Hersteller gleich zwei WLTP-Werte an – einen hohen und einen niedrigeren. Soll man sich einen aussuchen? Oder muss man selbst den Durchschnitt ausrechnen? Fragen über Fragen.

Der WLTP-Elektrozyklus

Das riecht glatt nach WLTP-Schummel. Also haben wir mal genauer hingeschaut. Vorweg: Wir stellen hier alles grob vereinfacht dar und nur für jene der WLTP-Elektroauto-Kategorien, unter die heute fast alle E-Autos fallen. Verraten sei: Mit Beschiss hat es nichts zu tun. Nur rechnet der WLTP Verbrauch und Reichweite verschieden. Und ganz anders, als wir es können.

Manche Reichweitenangaben von Elektroautos sind für uns kaum nachvollziehbar: Akkukapazität geteilt durch WLTP-Verbrauch ist nicht gleich WLTP-Reichweite.
Foto: Zvg
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Der E-Fahrzyklus des WLTP heisst WLTC und hat vier Teile. «Low» simuliert die City (Spitze 57, Schnitt 19 km/h). «Medium» über Land (Spitze 77, Schnitt 40 km/h), «High» Autostrasse (Spitze 97, Schnitt 57 km/h) und «Extra High» Autobahn (Spitze 131, Schnitt 92 km/h). All das dauert 30 Minuten, geht 23 Kilometer weit und wird dreimal gefahren.

Jetzt wird gerechnet

Hinzu kommen je zwei weitere «Low» und «Medium» – und zwei Fahrten mit konstant 100 km/h. Bei allen Fahrten misst ein externes Instrument, wie viel Energie dem Akku entnommen wird. Danach wird mit maximal 22 kW geladen und dies direkt an der Steckdose gemessen. Damit sind also Ladeverluste bereits ebenso im WLTP-Zyklus inbegriffen wie Stromrückgewinnung während der Fahrt (Rekuperation). Daran liegt der Widerspruch also nicht.

Hinzu kommen unzählige Detailregularien, auf die wir hier nicht näher eingehen. Kurz gesagt: Am Ende hat man einen Haufen Daten, die gewichtet und verrechnet werden – um damit möglichst gut die Realität abzubilden. Auf den Punkt gebracht: «Low» und «Medium» ergeben letztlich den WLTP-Stadtzyklus (den nicht alle Hersteller nennen), der Rest den Autobahnwert «High» – das sind jene zwei Werte, die inzwischen viele Marken als Werksverbräuche angeben. Der ganze WLTC ergibt nach einer komplizierten Formel am Ende den WLTP-Gesamtverbrauch (also den im Prospekt).

Berechnung der Reichweite

Die Reichweite ergibt sich grob vereinfacht gesagt aus der entnommenen Energie durch den WLTP-Verbrauch. Für die offizielle WLTP-Reichweite entscheidend ist also, wie viel Energie der Akku tatsächlich zur Verfügung stellt. Und nicht, welche Kapazität er laut Prospekt haben soll – schon weil die Angabe netto oder brutto sein kann.

Wir rechnen mal am Beispiel unseres Testwagens Smart #1 mit netto 62 Kilowattstunden (kWh) Nettokapazität: Das Prospekt gibt 17,6 kWh/100 km und 420 Kilometer an. Wir kamen im Test auf 16,3 kWh/100 km und 380 Kilometer. Würde man die Reichweite anhand der Akkugrösse (62 kWh) im Prospekt durch WLTP-Verbrauch ausrechnen, käme man auf nur 352 Kilometer – zu wenig, wir kamen klar weiter. Klar variiert je nach Auto, wie nahe die WLTP-Reichweite der Realität ist. Aber ausser im Winter kommt es heute meistens in etwa hin: WLTP-Reichweiten sind kein Schummel.

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