Probleme auf dem Occasionsmarkt
Keiner will gebrauchte Elektroautos

Das Geschäft mit neuen E-Autos läuft nicht so geschmiert, wie erhofft. Noch viel harziger läufts allerdings auf dem Occasionsmarkt: In Deutschland nehmen viele Händler neuerdings keine gebrauchten Stromer mehr in Zahlung. Und bei uns in der Schweiz?
Publiziert: 06.08.2024 um 16:15 Uhr
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Aktualisiert: 06.08.2024 um 16:22 Uhr
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Raoul SchwinnenRedaktor Auto & Mobilität

Das Geschäft mit neuen Elektroautos will einfach nicht so recht in die Gänge kommen. Letzte Woche zeigten wir aufgrund der aktuellsten Verkaufszahlen, dass sich in der Schweiz Neuwagenkäuferinnen und -käufer weiterhin lieber für ein Auto mit Verbrenner- als mit Elektromotor entscheiden (lese dazu: Die Schweizer Unlust auf Elektroautos). Das schlägt sich auch in der Statistik nieder: Trotz immer breiterem Angebot gehen die Verkaufszahlen und der Marktanteil reiner Batterie-Elektrofahrzeuge 2024 in unserem Land wieder zurück und liegen derzeit nach dem ersten Halbjahr bei 21’387 verkauften E-Autos beziehungsweise 17,6 Prozent Anteil am Gesamtmarkt. Zum Vergleich: Im ersten Halbjahr 2023 waren es noch 23’164 E-Autos und 18,7 Prozent.

Noch viel schlechter als das Neuwagengeschäft läuft allerdings der Handel mit gebrauchten Elektrofahrzeugen. Gute Autos sind nur gute Autos, wenn sie sich gut verkaufen, heissts unter Autoverkäufern – und Stromer sind derzeit keine allzu attraktive Ware. Jedoch ist Stromer nicht gleich Stromer: «Junge Elektroauto-Occasionen, die nicht älter als ein Jahr sind, lassen sich noch eher verkaufen», verrät uns ein Händler. Und davon hat es aktuell viele. «Um die Klimaziele zu erreichen und CO₂-Strafzahlungen zu vermeiden, immatrikulierten Ende 2023 viele Schweizer Importeure noch schnell neue Elektroautos. Und all diese Autos finden wir jetzt wieder auf dem Gebrauchtwagenmarkt», weiss Experte Matthias Bischof von Autoscout24. Aber auch viele E-Autos, deren Leasing jetzt nach zwei oder drei Jahren ausläuft, kommen aktuell wieder in den Handel – und solche Stromer sind überhaupt nicht gefragt. «Die momentan weiterhin noch relativ hohen Preise und die Angst, eine veraltete Technik zu kaufen, hält wohl viele vom Kauf eines solchen Elektro-Occasionsautos ab», kommt die Deutsche Automobil Treuhand DAT zum Schluss.

Opfer der schnellen Technologieentwicklung

Philipp Seidel, Autoexperte bei der Unternehmensberatung Arthur D. Little, überrascht dies nicht. «Meines Erachtens sind die gebrauchten Elektrofahrzeuge der ersten Generationen auf dem Gebrauchtwagenmarkt die Opfer der schnellen Technologieentwicklung.» Das seien die Gesetze des Marktes. «Vor kurzem waren gebrauchte Teslas genauso teuer wie neue, weil die neuen lange Lieferzeiten hatten. Aktuell gibts eher wieder Überkapazitäten bei der Neuwagenproduktion, also sinken die Gebrauchtwagenpreise und deren Restwerte», so Seidel.

Das Geschäft mit neuen Elektroautos läuft nicht so gut, wie sich das die Hersteller und die Politik erhofft haben.
Foto: zvg.
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Eine Umfrage des deutschen Fachmagazins «kfz-betrieb» zeigt: 68,7 Prozent und damit mehr als zwei Drittel der befragten Autohändler nehmen in Deutschland keine gebrauchten Batterie-Elektroautos in Zahlung. Und für 51,1 Prozent der Befragten sind gebrauchte Stromer derzeit «so gut wie unverkäuflich». Die Konsequenz daraus: Damit die Occasionshändler solche Fahrzeuge überhaupt weiterverkaufen können, müssen sie grosse Rabatte gewähren – im Schnitt sind es gemäss Umfrage 27 Prozent vom ursprünglich geplanten Verkaufspreis. Man muss kein Adam Riese sein, um zu realisieren, dass ein solches Geschäftsmodell nicht lange funktionieren kann. Tatsächlich geben in der Umfrage auch über 80 Prozent der Händler zu, beim Verkauf von gebrauchten E-Autos rote Zahlen zu schreiben. 61,1 Prozent sprechen sogar von «hohen Verlusten».

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Schweizer Händler nicht ganz so pessimistisch

Was für Deutschland gilt, trifft teils auch auf die Schweiz zu. Allerdings scheinen Schweizer Händler und Importeure nicht ganz so pessimistisch wie ihre deutschen Kollegen zu sein. So heisst es etwa bei Grosshändler und Importeur Auto Kunz AG in Wohlen, dass man sehr wohl gebrauchte Elektroautos an Zahlung nehme. «Der Occasionsmarkt lebt. Bei gebrauchten E-Autos muss man den Kunden einfach den Vorbehalt bezüglich deren Batteriequalität nehmen», sagt Pia Hurni von Auto Kunz. Deshalb wird dort bei jedem gebrauchten Elektrofahrzeug ein Batterietest durchgeführt, «damit wir die Qualität einer älteren Batterie richtig einschätzen können», so Hurni.

Das Geschäft mit neuen Elektroautos läuft nicht so gut, wie sich das die Hersteller und die Politik erhofft haben.
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Ähnlich klingts bei Mercedes-Benz Schweiz oder VW-Importeurin Amag. «Unsere Händler nehmen Elektrofahrzeuge in Zahlung», heissts dort unisono. Und es gäbe keine Tendenz zu einem gegenteiligen Handeln. Allerdings werden auch bei VW und Mercedes die Occasionsfahrzeuge auf Herz und Nieren geprüft. «Nur die Gebrauchtfahrzeuge, die unseren 111-Punkte-Qualitäts-Check bestehen, erhalten das sogenannte Certified-Gütesiegel», betont Mercedes-Sprecherin Livia Steiner.

Gebrauchte E-Autos werden nicht zu Elektroschrott

Doch bei einigen Schweizer Volvohändlern kann es in Einzelfällen vorkommen, dass ein elektrisches, aber auch herkömmlich angetriebenes Auto, nicht in Zahlung genommen wird. «Dies ist aber generell dem Volvo-Partner überlassen», präzisiert Simon Krappl von Volvo Car Switzerland. Dennoch entwickelte sich die Marktsituation bei den Occasionen in der Schweiz aus Volvo-Sicht im ersten Halbjahr erfreulich. So sei das Wachstum im Programm «Volvo Selekt», der von Volvo zertifizierten und geprüften Premium-Gebrauchtwagen, gegenüber dem Vorjahr markant gestiegen – «bei den herkömmlich angetriebenen Modellen, aber auch bei den batterieelektrischen Fahrzeugen», präzisiert Krappl.

Und so ist Arthur-D.Little-Experte Philipp Seidel wie viele Schweizer Händler und Importeure sicher: «Gebrauchte Stromer werden nicht zu Elektroschrott. Natürlich müssen wir damit rechnen, dass die Elektrofahrzeuge der ersten Generation einen kürzeren Lebenszyklus haben als klassische Verbrennerautos. Das waren erste Gehversuche der Hersteller in einem neuen Umfeld. Das ist aber kein Problem der E-Mobilität», so Seidel, «sondern passiert praktisch immer bei der Einführung einer neuen Technologie.» Seidel ist denn auch überzeugt: «Wer sich als freier Autohändler oder Vertragshändler einer grossen Marke der Elektromobilität verweigert, wird es bald schwer haben.»

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