So schnittig ist der neue EQXX
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Mercedes Benz:So schnittig ist der neue EQXX

Der EQXX schafft 1200 Kilometer pro Akkuladung
Die Wunderflunder von Mercedes

Der Vision EQXX ist das Zukunftslabor von Mercedes-Benz: Mit über 1200 Kilometer E-Reichweite zeigt er, was 2024 an Technik in Serie geht. Wir können diesen Technolgieträger exklusiv fahren.
Publiziert: 02.08.2022 um 10:55 Uhr
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Aktualisiert: 02.08.2022 um 10:57 Uhr
Timothy Pfannkuchen

Ui, schwäbelt das hier. «Wisset Se, des Auto dürfet net viele Leut fahre», tönt es zur Begrüssung auf dem gigantischen Testgelände von Mercedes-Benz nahe Immendingen (D). Ich staune einmal mehr, wie viele echte Schwaben auch in globalisierten Zeiten hier noch «beim Daimler schaffet» – und mustere den Vision EQXX, den 1,35 Meter flachen Technologieträger mit Stern.

«Den crashe ich besser nicht, gell?», frage ich rhetorisch. Abermillionen kostet der Strom-Silberpfeil. «Ideal wäre es nicht», antwortet EQXX-Projektchef Malte Sievers (33) lachend. Aber sicher sei der EQXX. Man habe das Einzelstück nicht gegen die Wand gefahren, aber allen virtuellen Crashtests unterworfen. Over-Engineering? «Das mag so scheinen, aber bei Fahrzeugen auf öffentlichen Strassen ist das unser Anspruch.» Mensch, sind die deutsch hier, im besten Sinne – wennschon, dennschon. Meist sind solche Forschungsfahrzeuge provisorische Bastelbuden.

18 Monate vom Start zum Ziel

Der EQXX aber steht wie aus einem Guss da, 4,98 Meter lang und knackig gestylt. Verkleidete Hinterräder hätten den Luftwiderstands-Beiwert noch besser gemacht als sensationelle 0,17 – aber dann hätte es nicht cool ausgesehen. Vorne Klappen zum Regeln der Luftkühlung des Akkus, hinten ein ausfahrbarer Diffusor. «Zwei Jahre lang habe ich an nichts gedacht als an dieses Auto», sagt Sievers und schmunzelt. Hunderte Leute waren involviert. «Ziel war ein Auto, das mit unter 100 kWh Kapazität und unter 10 kWh/100 km über 1000 Kilometer kommt.» Dies in nur 18 Monaten vom Start bis ins Ziel.

Zukunftsflunder: Der Mercedes-Benz Vision EQXX erprobt jene Technik, die 2024 in kompakten Stromern in Serie geht.
Foto: Dirk Weyhenmeyer
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Die Botschaft: «Beim Daimler» ist es ernst mit Elektro. Muss es auch. Auch der älteste Autobauer der Welt musste sich völlig neu sortieren, als Tesla alles auf den Kopf stellte. Die erste E-Generation (à la EQC) waren Lala-Umbauten, die aktuelle (à la EQE und EQS) fährt vorne mit, die dritte soll vorausfahren – etwa 2024 mit der E-Architektur namens eMMA in A-Klasse-Grösse. Der EQXX probiert diese Technik aus.

Eine Ladung gibt 1202 Kilometer

Vor allem der Akku setzt Zeichen: klein, leicht, luftgekühlt (siehe Kasten). Die erste EQXX-Rekordfahrt ging von Stuttgart (D) via Gotthard nach Südfrankreich. «Falls möglich, sind wir so schnell gefahren wie erlaubt. Wir hatten Staus, Schnee und Hitze», sagt Sievers. Nach 1008 Kilometern waren am Ziel 15 Prozent Akkustrom übrig. Da geht also mehr: Die zweite Tour führte nach Silverstone (GB). Bei einem Restpegel unter einem Prozent waren es 1202 Kilometer mit im Schnitt 83 km/h und 8,3 kWh/100 km – heutige Stromer brauchen 15 bis 25 kWh/100 oder auch mehr.

Die Batterie des EQXX

Die 900-Volt-Batterie des Vision EQXX hat knapp 100 kWh und wiegt dabei nur 495 Kilo. Sie ist 30 Prozent leichter als der 108-kWh-Akku im Elektro-Flaggschiff EQS – und 50 Prozent kleiner. Gekühlt wird sie nur mit Luft, wobei schon wegen des fehlenden Lüfters Hunderte Watt gespart werden. Vom Verbrauch gehen beim EQXX 62 Prozent nur auf Kosten des Luftwiderstandes, 20 Prozent sind Rollwiderstand – und im EQXX landen 95 Prozent der Antriebsenergie an den Rädern. Zum Vergleich: Bei normalen Verbrennern sind es 30 bis 35 Prozent.

Die 900-Volt-Batterie des Vision EQXX hat knapp 100 kWh und wiegt dabei nur 495 Kilo. Sie ist 30 Prozent leichter als der 108-kWh-Akku im Elektro-Flaggschiff EQS – und 50 Prozent kleiner. Gekühlt wird sie nur mit Luft, wobei schon wegen des fehlenden Lüfters Hunderte Watt gespart werden. Vom Verbrauch gehen beim EQXX 62 Prozent nur auf Kosten des Luftwiderstandes, 20 Prozent sind Rollwiderstand – und im EQXX landen 95 Prozent der Antriebsenergie an den Rädern. Zum Vergleich: Bei normalen Verbrennern sind es 30 bis 35 Prozent.

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Auf zur hochexklusiven Testfahrt. Schickes Interieur – keine Spur von Provisorien. Die Ledernähte sind handgestickt, alles sonst handgestrickt. Die Sitze hinten sind wie die Fondtüren reines Dekor, die Schalen vorne sind dünn. Aber schon wegen der Energiespar-Pneus wird der EQXX kaum der Komfort-Knaller sein.

Rollt und rollt und rollt

Also los. Kein Rappeln, kein Rumpeln wie sonst in Prototypen, nur Stille und der Singsang des 245 PS (180 kW) starken E-Motors im Heck. Der Komfort ist ziemlich gut! Tiefe Sitzposition. Kann er «spörteln»? Vollgas. Naja, die Energiespar-Reifen mögen enge Kurven nicht. Aber bei Bedarf geht der EQXX flott (0–100 km/h unter 8 s) bis 140 km/h. Man spürt, dass er trotz grossem Akku nur 1755 Kilo wiegt.

Lange Gerade, die Segelstufe – der EQXX rollt. Rollt. Und rollt. Und rollt. Wow! Vor der Kurve stärkste Stufe der Stromrückgewinnung, «One-Pedal»-Betrieb – das Bremspedal wird obsolet. Nett wäre ein Innenspiegel, um auf dem Testgelände die getarnten Erlkönige hinter uns zu mustern – aber Solarzellen statt Heckscheibe machen mehr Sinn. Auf der zweiten Tour brachten sie 43 und die Rekuperation nochmals 200 Kilometer Reichweite. Dafür gibts andere Hingucker: Das Infotainment nutzt einen 47,5 Zoll grossen, 1,20 Meter breiten 8K-Screen. Coole Grafik – im Navi-Modus sieht sogar Immendingen aus wie Los Angeles. Kommt sie in Serie? Mal schaun. Wahrscheinlich schon. Und auch die Micro-LEDs, die nur Strom brauchen, wenn sie etwas anzeigen – schwarz heisst aus. Ebenso der Sprachassistent, der jetzt sogar Vorschläge macht. Und vielleicht die Sitz-Lautsprecher; im Fahrersitz etwas künstlicher «Motorsound», im Beifahrersitz Musik.

Blick in die nahe Zukunft

Schluss, aus, laden – alle sechs Minuten hundert Kilometer. Frappierend, wie normal die Wunderflunder fährt. Jetzt wird abgerechnet: Während der Rekordfahrten hatte Mercedes wie in der Formel 1 alle Daten in ein Kontrollzentrum übermittelt. Das half beim einzigen Defekt: Ironischerweise gab nicht der grosse Akku, sondern die kleine 12-Volt-Betriebsbatterie auf, aber berappelte sich dann wieder.

Na, wie war ich, vom Testgelände-Tower aus überwacht? Ein Ingenieur erläutert mir meine Fahrt (siehe Grafik in der Bildergalerie). Nunja, meine Vollgas-Einlage hat viel verdorben: Auf knapp 16 Kilometern bin ich «nur» bei 10,8 kWh/100 km gelandet, habe immerhin nur einmal gebremst. Ob auch ich so bis Silverstone käme? Kaum. Aber bis ins Schwäbische reichts beim Serienauto in zwei Jahren wohl locker.


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