Frust im Wartezimmer
Warten in der Arztpraxis – wie lange ist zumutbar?

Wer pünktlich zum Arzttermin erscheint und eine Ewigkeit nicht an die Reihe kommt, fühlt sich ungerecht behandelt. In welchen Fällen das gerechtfertigt ist und wann man kulant sein sollte – Yvonne Gilli vom Ärzteverband klärt auf.
Publiziert: 06.06.2024 um 11:57 Uhr
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Aktualisiert: 06.06.2024 um 14:39 Uhr
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Jonas DreyfusService-Team

Die Magazine sind durchgeblättert, der Akku des Smartphones aufgebraucht und die Person, die noch länger wartet als du, ist eingenickt. Wenn du im Wartezimmer sitzt wie bestellt und nicht abgeholt, empfindest du das möglicherweise als unfair. 

«Ich gehe jetzt einfach», sagst du zu dir und traust dich dann doch nicht. Aus Anstand und Angst vor Konsequenzen. Was würde denn passieren, wenn du dich nach einiger Zeit aus der Praxis verabschiedest? 

«Wenn man in der Zeit, die für einen reserviert war, nicht an die Reihe kommt, kann einem dafür nichts verrechnet werden», sagt Yvonne Gilli (67), Präsidentin der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH). «Ihnen wurde eine Dienstleistung in Aussicht gestellt, die nicht erbracht wurde.»

Was haben diese Patienten im Wartezimmer (Symbolbild) gemeinsam? Sie warten nicht gerne.
Foto: Shutterstock
Wenn man lange warten muss, sagt die Expertin, liege das meistens daran, dass Ärzte überlastet sind.
Foto: IMAGO/Zoonar

Man habe Anspruch auf einen neuen Termin, fügt sie an. Allerdings könne man nicht verlangen, dass man gleich einen für den darauf folgenden Tag erhält. «Ein Grossteil der Praxen sind überlastet. Wer wann behandelt wird, ist eine Frage der Dringlichkeit.»

Notfälle können nicht warten

Welche Wartezeit ist denn zumutbar? «Fünfzehn bis dreissig Minuten liegen in meinen Augen im Rahmen», sagt Gilli. Sie persönlich blockiere mindestens zwei Stunden, in denen sie keine verbindlichen Termine abmache. «Es kann immer etwas Unvorhersehbares passieren.»

Vor allem in Hausarztpraxen müssen Ärzte regelmässig Patienten notfallmässig behandeln. Hier gelte es, Kulanz zu zeigen, sagt Gilli. «Wenn man selbst einen Notfall hat, würde man das von anderen Patienten auch erwarten.»

Aber – das sei ganz wichtig: «Patientinnen und Patienten haben das Recht, darüber informiert zu werden, wenn sich ihre Wartezeit aufgrund eines Vorfalls verlängert.»

In einer durchorganisierten Praxis bleibt wenig Zeit für Gespräche, die über das Medizinische hinausgehen.
Foto: Getty Images

Wer auf Nummer sicher gehen will, sollte sich laut Gilli beim Abmachen einer Konsultation gleich erkundigen, mit welchen Wartezeiten zu rechnen ist. Nicht alle Ärzte seien gleich gut organisiert. Wer nicht warten könne oder wolle, ist mit einer durchorganisierten Praxis am besten bedient. «Ein strenger Zeitplan hat aber nicht nur Vorteile.» 

«Das ist eine verpasste Chance»

Je weniger zeitlichen Spielraum eine Ärztin oder ein Arzt habe, desto unflexibler sei er zum Beispiel, wenn Patienten noch Fragen stellen, die über das Thema hinausgehen, für das die Sprechstunde eigentlich reserviert war.

«Die grössten Sorgen von Patienten kommen oft erst dann zum Ausdruck, wenn der offizielle Teil vorbei ist», sagt Gilli. Wer in diesem Moment aus Zeitgründen dazu angehalten wird, einen neuen Termin abzumachen, meldet sich oft erst, wenn es wieder um etwas Akutes gehe. «Das ist eine verpasste Chance.» 

Oberste Standesärztin

Die 67-jährige Yvonne Gilli ist Hausärztin und stammt aus Wil SG. Ihre Karriere startete sie als Pflegefachfrau. Danach holte sie die Matura nach und studierte Medizin. Ihre Spezialisierung ist die Innere Medizin. Parallel dazu absolvierte Gilli eine Ausbildung in Homöopathie und traditioneller chinesischer Medizin. Sie praktiziert alle drei Therapierichtungen.

Gilli war acht Jahre lang Nationalrätin der Grünen für den Kanton St. Gallen. 2015 wurde sie abgewählt. Ein Jahr später trat sie dem Zentralvorstand der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) bei. Seit 2021 ist sie Präsidentin des Verbandes.

Die 67-jährige Yvonne Gilli ist Hausärztin und stammt aus Wil SG. Ihre Karriere startete sie als Pflegefachfrau. Danach holte sie die Matura nach und studierte Medizin. Ihre Spezialisierung ist die Innere Medizin. Parallel dazu absolvierte Gilli eine Ausbildung in Homöopathie und traditioneller chinesischer Medizin. Sie praktiziert alle drei Therapierichtungen.

Gilli war acht Jahre lang Nationalrätin der Grünen für den Kanton St. Gallen. 2015 wurde sie abgewählt. Ein Jahr später trat sie dem Zentralvorstand der Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) bei. Seit 2021 ist sie Präsidentin des Verbandes.

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