Physikerin Lea Caminada
«Forschergeist ist eine urmenschliche Eigenschaft»

Die Physikerin Lea Caminada erforscht Elementarteilchen am CERN, das dieses Jahr sein 70-Jahr-Jubiläum feiert. Wie und warum sie das tut, und weshalb die CERN-Forschung allen zugutekommt, erklärt sie im Interview.
Publiziert: 11.08.2024 um 20:14 Uhr
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Aktualisiert: 11.08.2024 um 20:15 Uhr
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Silvia TschuiGesellschafts-Redaktorin

Frau Caminada, Sie leiten an der Uni Zürich und am Paul Scherrer Institut eine Forschungsgruppe, die sich am CERN mit experimenteller Teilchenphysik beschäftigt. Was bedeutet das genau?
Lea Caminada: Das Ziel der Teilchenphysik ist es, zu verstehen, wie alles um uns herum aufgebaut ist. Das Experimentelle daran ist, dass wir Experimente entwickeln und durchführen, um nachzusehen, was auf kleinster Ebene in der Natur passiert. Dies im Gegensatz zur theoretischen Physik, in der sich Forscher mathematisch-physikalische theoretische Modelle überlegen, die erklären möchten, wie die Welt funktioniert. Hierfür führe ich am CERN Experimente durch. Unsere Beobachtungen können dann diese theoretischen Modelle entweder als richtig beweisen oder aber auch erweitern oder widerlegen.

Und, wie ist alles um uns herum aufgebaut?
Man kann für eine Zeit lang immer weiter aufbrechen, woraus unsere Umgebung besteht: Alles besteht aus Atomen, Atome bestehen aus Protonen, Neutronen und Elektronen; Protonen bestehen wiederum aus Quarks … – nun gibt es aber einige Teilchen, die wir als «elementar» bezeichnen, was bedeutet, dass wir annehmen, dass sie nicht weiter aufbrechbar sind. Wir untersuchen die Wechselwirkungen dieser Teilchen. Und vielleicht finden wir dabei auch noch mehr uns bisher unbekannte Teilchen.

Weshalb ist die Untersuchung dieser Wechselwirkungen wichtig?
Weil wir damit erklären können, wie unser Universum entstanden ist, was kurz nach dem theoretisch angenommenen Urknall für chemisch-physikalische Reaktionen stattgefunden haben und weshalb sich Galaxien, Sterne und Planeten gebildet haben. Denn vieles, was wir im Universum beobachten, ist noch nicht erklärbar.

CERN-Physikerin Lea Caminada ist den kleinsten Bausteinen des Universums auf der Spur.
Foto: Thomas Meier
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Ausnahmephysikerin Lea Caminada

Lea Caminada (42) ist bereits nach der Matura aufgefallen – sie wurde in die Schweizerische Studienstiftung aufgenommen, ein Förderprogramm für herausragende Studenten. Mit den Auszeichnungen ist es für Caminada dann auf jeder Station weitergegangen, ob sie im Austausch an der Strathclyde-Universität in Schottland vom Dekan ausgezeichnet wird, oder summa cum laude an der ETH abschliesst und 2010, vier Jahre später, für ihre Doktorarbeit nicht nur die ETH-Medaille, sondern auch gleich noch zwei weitere Forschungspreise gewinnt – den Springer-Forschungspreis wie auch einen Preis am CERN für die beste Doktorarbeit des Jahres. Heute besetzt Caminada eine Exzellenzprofessur an der Universität Zürich und ist Gruppenleiterin der High Energy Physics Group des Labors für Teilchenphysik am Paul Scherrer Institut. Mit ihrem Forschungsteam hat sie Detektoren entwickelt, die als innerste und sensibelste Detektoren im Large Hadron Collider zum Einsatz kommen. Caminada lebt mit ihrer Familie in Zürich.

Lea Caminada forscht daran, was die kleinsten Teilchen des Universums sind und wie sie interagieren. Dafür entwickelt sie Detektoren, die auch anderweitig zum Einsatz kommen.
Thomas Meier

Lea Caminada (42) ist bereits nach der Matura aufgefallen – sie wurde in die Schweizerische Studienstiftung aufgenommen, ein Förderprogramm für herausragende Studenten. Mit den Auszeichnungen ist es für Caminada dann auf jeder Station weitergegangen, ob sie im Austausch an der Strathclyde-Universität in Schottland vom Dekan ausgezeichnet wird, oder summa cum laude an der ETH abschliesst und 2010, vier Jahre später, für ihre Doktorarbeit nicht nur die ETH-Medaille, sondern auch gleich noch zwei weitere Forschungspreise gewinnt – den Springer-Forschungspreis wie auch einen Preis am CERN für die beste Doktorarbeit des Jahres. Heute besetzt Caminada eine Exzellenzprofessur an der Universität Zürich und ist Gruppenleiterin der High Energy Physics Group des Labors für Teilchenphysik am Paul Scherrer Institut. Mit ihrem Forschungsteam hat sie Detektoren entwickelt, die als innerste und sensibelste Detektoren im Large Hadron Collider zum Einsatz kommen. Caminada lebt mit ihrer Familie in Zürich.

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Wie untersuchen Sie diese Teilchen?
Indem wir im Teilchenbeschleuniger LHC – Large Hadron Collider – am CERN mit grosser Energie Protonen aufeinanderprallen lassen. Seit Einstein wissen wir, dass Energie gleich Masse mal Lichtgeschwindigkeit im Quadrat ist. Indem wir also die Protonen mit grosser Energie, die aus der Beschleunigung entsteht, aufeinanderprallen lassen, können wir Masse erzeugen. Und diese «Masse», die entsteht, sind Teilchen, die wir so erzeugen und fast gleichzeitig ihren Zerfall und die Wechselwirkungen untersuchen.

Eines dieser Teilchen, bei dessen Entdeckung Sie mitgearbeitet haben, ist das Higgs-Boson. Weshalb war die Entdeckung dieses Teilchens so wichtig?
In den 1970er-Jahren wurde das Teilchen im sogenannten Standardmodell – eines der oben erwähnten theoretischen Modelle – vorhergesagt. 2012 haben wir es dann am CERN nachweisen können. Sehr vereinfacht gesagt, erklärt das Higgs-Boson, wie die Elementarteilchen eine Masse bekommen haben. Es ist dank dieser Eigenschaft einzigartig, es gibt kein anderes Teilchen, das diese Eigenschaft hat. Dass wir das Teilchen nachweisen können, bedeutet zudem auch, dass das Standardmodell bis jetzt stimmt – sonst hätte man diese Theorie sozusagen «wegwerfen» können.

All diese Forschung braucht Unmengen an Geld – nur schon der Bau des LHC am CERN hat 6,5 Milliarden Franken gekostet. Nun soll ein noch viel grösserer Beschleuniger neu gebaut werden. Ist das angesichts anderer Probleme der Welt angemessen?
Auf diese Frage gibt es gleich mehrere Antworten. Eine davon ist, dass Forschungs- und Entdeckungsgeist, die Frage danach, wie unsere Welt aufgebaut ist, wie alles entstanden ist – und wir selbst auch – eine der urmenschlichsten Eigenschaften ist.

Und die andere?
Wenn man sich die Konzentration an Forschenden diverser Ausrichtungen – Ingenieurswesen, Physik, Programmierung – ansieht, die am CERN aus diversen Ländern zusammenarbeitet, dann wird klar, dass da vieles entsteht, was betreffend Materialforschung, Detektortechnologie und viel anderes konkrete Anwendungen in der Wirtschaft findet. Und dies schafft wiederum Arbeitsplätze und bringt Fortschritt in vielen Feldern. Ein nicht ganz unwichtiges Beispiel: Das Internet wurde am CERN erfunden. Es gibt aber noch eine Antwort.

Ja?
Eine politische: Mehrere Länder finanzieren die Forschung am CERN gemeinsam – und die Forschenden kommen deshalb auch aus diversen Ländern und arbeiten gemeinsam. Es entsteht so ein internationaler Wissensaustausch, der schliesslich der ganzen Menschheit zugutekommt.

Ist aus Ihrer persönlichen Forschung auch eine konkrete, bereits praktizierte, Anwendung entstanden?
Ja. Wir arbeiten nicht nur an Teilchenforschung selbst, sondern auch an der Entwicklung von Detektoren, also Technologie, die extra für die Teilchenphysik-Experimente entwickelt wird. Diese wiederum kann man in anderen Gebieten einsetzen, zum Beispiel zur Untersuchung von Molekülen mit Röntgenstrahlung.

Können Sie noch andere Anwendungsbeispiele nennen?
Die Entwicklungen aus der Teilchenforschung finden Anwendung in vielen Gebieten: Zum Beispiel in der Medizin, wo Protonenstrahlen für die Krebstherapie eingesetzt werden. Ein anderes Beispiel sind Teilchenphysik-Detektoren, die für das Forschungsprojekt «Scan the Pyramids» eingesetzt wurden. In der Cheops-Pyramide wurde dank des Einsatzes dieser Detektoren ein neuer Hohlraum entdeckt.

Ist Ihr Forschungsfeld einsam? Wie viele Menschen auf der Welt verstehen überhaupt, woran Sie forschen?
Nein, überhaupt nicht – und: gar nicht so wenige! Die Teilchenphysik-Community ist nicht klein. Allein an den LHC-Experimenten arbeiten rund 10'000 Menschen. Ich hatte jedenfalls noch nie ein Problem, Austausch zu finden. Und, ehrlich gesagt, ist das Konzept der Teilchenphysik ja gar nicht so schwer zu verstehen.

Äh, wie bitte?
Doch, doch: Man lässt Dinge aufeinanderprallen, damit sie zerbrechen, und sieht sich währenddessen und danach die Struktur an. Das tut und versteht schon ein Kleinkind.

Stichwort Kleinkind: Sie sind Uni-Professorin, arbeiten am CERN und leiten eine Forschungsgruppe. Haben Sie auch Familie?
Ja, ich habe zwei kleine Kinder im Vorschulalter.

Wie machen Sie das?
Es ist, bei aller Liebe, ehrlich gesagt, sehr anstrengend, aber das ist wohl bei allen berufstätigen Eltern so. Es ist nicht einfach, allem gerecht zu werden. Gleichzeitig bin ich mir bewusst, dass ich in einer privilegierten Position bin, da ich in meiner Arbeit eine grosse Flexibilität habe.

Sie sind als Frau eine Koryphäe in einer männerdominierten Sphäre. Sind die Schwierigkeiten bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie aus Ihrer Sicht der Hauptgrund für das ungleiche Geschlechterverhältnis?
Es ist wahrscheinlich eine Mischung von Gründen. Wir sehen, dass das Geschlechterverhältnis in der Studienzeit und kurz danach viel ausgeglichener ist als einige Jahre später. Dann dominieren die Männer. Das liegt auch an historisch gewachsenen Strukturen und an unbewussten Vorurteilen gegenüber Frauen. Es gibt Studien dazu: Eine gleichwertige Bewerbung mit einem Frauennamen wird schlechter bewertet, als wenn sie mit einem Männernamen eingereicht wird. Es bräuchte da Änderungen im Bewerbungsverfahren, etwa, indem man Bewerbungen anonymisiert.

Zum Abschluss: Was ist Ihre Lieblingsverschwörungstheorie betreffend des CERN?
Ganz klar die populärste: dass wir ein schwarzes Loch erzeugen, das uns alle verschlingen wird.

Und? Berechtigt oder Schwachsinn?
Schwachsinn. Weil überall um uns, im ganzen Universum, ständig Teilchen mit noch viel grösseren Energien aufeinanderprallen. Würde dabei jeweils ein schwarzes Loch entstehen, wären wir alle schon längst verschlungen worden. Das CERN hat diesbezüglich nichts Neues «erfunden», sondern mit dem LHC «einfach» eine Anlage gebaut, die es zulässt, diese überall stattfindenden Prozesse gezielt herbeizuführen und zu beobachten.

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