Kolumne «Wild im Herzen» von Simon Jäggi über den Hering
Der Fisch stinkt nicht vom Kopf

Der Hering war einst einer der häufigsten Fische auf dem gesamten Planeten, Deutschlands Hafenstädte hat er reich gemacht. Doch plötzlich herrscht Mangel an der Angel.
Publiziert: 30.12.2021 um 17:41 Uhr
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Simon JäggiSänger der Rockband Kummerbuben

Es gibt den Pilz des Jahres, den Vogel des Jahres, sogar der Einzeller des Jahres. Fisch des Jahres ist in Deutschland der Hering – und er wird es 2022 gleich wieder sein. Der Grund: Der Atlantische Hering ist unter Druck geraten. Die Fänge in der Ostsee sind massiv eingebrochen.

Das ist bemerkenswert, denn der Hering war früher einer der häufigsten Fische auf dem gesamten Planeten. Die Population schien unerschöpflich, nun hat das menschliche Berserkertum sogar beim Hering Spuren hinterlassen.

Wir mögen es, wenn es für Probleme eine einzige Ursache gibt. In der Natur gibt es aber meist viele Ursachen für ein Problem, denn sie ist ein kompliziertes «Cat's Cradle». Ein Spiel, bei dem Fäden über die Hände gespannt werden. Löst sich die Schnur an einem Finger, zeigt sich die Auswirkung woanders – und die gesamte Konstruktion kann kaputtgehen.

Wenn der Hering verschwindet, leidet das Gesamtsystem Natur. Der Hering ist ein wichtiger Beutefisch, etwa für Robben und Wale.
Foto: Shutterstock

Das Wasser ist zu warm und zu trüb

Ein Problem des Herings ist die Klimaerhitzung. Die warmen Wassertemperaturen führen dazu, dass ein Teil der Heringe immer früher ablaicht. Zu dieser Zeit gibt es aber noch kaum Nahrung für die kleinen Heringslarven, denn das Zooplankton vermehrt sich erst später.

Die Heringsschwärme, die übrigens mittels Fürzen kommunizieren, schwimmen gewöhnlich in Tiefen von bis 350 Meter. Zum Laichen kommen sie in flachere Bereiche des Ufers. Hier spielt noch ein anderer Faktor eine Rolle. Durch die intensive Landwirtschaft werden viele Nährstoffe (etwa Gülle der Schweinezucht) ins Meer gespült – diese bringen die Algen zum Wachsen. Dadurch wird das Wasser trüber, und Wasserpflanzen bekommen weniger Licht. Damit der Hering sich fortpflanzen kann, braucht er aber Wasserpflanzen, an denen er seine klebrigen Eier anheften kann.

Fette Beute, magere Ausbeute

Natürlich wird der Hering noch immer stark befischt. Allerdings sind in Deutschland die Fänge auf die Hälfte beschränkt worden – ohne spürbare Auswirkungen bisher. Deutschlands Hafenstädte sind reich geworden mit dem Hering, nun droht vielen Fischern das Aus.

Aber wenn der Hering verschwindet, leidet auch das Gesamtsystem Natur. Der Hering ist ein wichtiger Beutefisch, etwa für Robben und Wale. Auch hier zeigt sich das komplexe Fadenspiel: Wenn wir ein Schweinskotelett verdrücken, sorgen wir im Endeffekt dafür, dass der Schweinswal hungern muss.

Simon Jäggi (41) ist Sänger der Rockband Kummerbuben und arbeitet im Naturhistorischen Museum Bern. Er schreibt jeden zweiten Freitag im Blick.

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