Meyer rät: Ich bin ein Versager
Seien Sie nicht so streng mit sich!

Ich (m, 32) habe keines meiner Ziele erreicht: weder beruflichen Erfolg noch eine schöne Beziehung noch ein gutes Verhältnis zu meinen Eltern. Kein Wunder, mag ich mich nicht!
Publiziert: 30.04.2022 um 18:13 Uhr
Thomas Meyer

Offenbar sind Sie überzeugt, nur dann liebenswert zu sein, sofern bestimmte Bedingungen erfüllt sind. Dafür können Sie nichts, der Grund dafür ist in Ihrer Kindheit zu suchen. Die meisten Eltern haben eine exakte Vorstellung davon, wie ihr Kind sich zu verhalten hat, und reagieren enttäuscht und genervt, sobald es irgendwie vom Drehbuch abweicht. Diese lieblosen Reaktionen injizieren dem Kind jedoch mit jedem Mal aufs Neue die Botschaft: «Du bist nicht richtig so.» Das zwanghafte Leistungsdenken, das bereits in der Primarschule vermittelt wird, tut seinen teuflischen Teil dazu. Letztlich erklären wir unseren Kindern von früh bis spät, was sie alles falsch machen. Dass aus ihnen so keine starken Persönlichkeiten werden, die sich selbst wertschätzen, ist in der Tat kein Wunder.

Aber auch wenn Ihre Eltern und Lehrerinnen und Lehrer einige Dinge bei Ihnen verbockt haben, ist das noch lange kein Grund, die gleiche Strenge walten zu lassen. Natürlich ist es nicht lustig, sich als Single mit einem ungeliebten Job über Wasser zu halten – aber was hat das mit Ihnen zu tun, mit Ihren menschlichen Qualitäten? Wieso halten Sie diesen zwar populären, aber dennoch unsinnigen Massstab an sich? Sie sind liebenswert, ob Sie nun eine Freundin und Ihren Traumberuf gefunden haben oder nicht. Sie müssen nichts erreicht haben, um Ihrer Zuneigung würdig zu sein. Das ist ein Missverständnis.

Vor allem aber sind Sie erst 32, Sie haben also noch mehr als genug Zeit für diese Dinge. Jetzt geht es, ganz offensichtlich, erst mal um ein gesundes Verhältnis zu sich selbst. Schreiben Sie auf Post-its, was Sie gut können, was toll ist an Ihnen, was andere an Ihnen mögen, und hängen Sie die Zettelchen überall in Ihrer Wohnung auf. Schon nach wenigen Wochen werden Sie sich anders fühlen, versprochen!

Das Leistungsdenken in der Gesellschaft führt dazu, dass sich viele Menschen als ungenügend wahrnehmend und sich nicht wertschätzen.
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