Zoologisch – Direktor Severin Dressen erklärt
Wieso Orang-Utans im Zoo häufiger schwanger werden

Severin Dressen (32) ist Direktor des Zoo Zürich und kennt die wilden Geheimnisse seiner Bewohner.
Publiziert: 15.03.2021 um 13:12 Uhr
|
Aktualisiert: 07.05.2021 um 16:19 Uhr
Severin Dressen

Zwei Jahre – das sei ein guter zeitlicher Abstand zwischen zwei Kindern, erzählte mir im letzten Sommer eine Nachbarin. Sie habe zwei Söhne im Abstand von zwei Jahren, und es funktioniere wunderbar. Damit liegt sie auf Linie der Weltgesundheitsorganisation, die mindestens zwei Jahre zwischen zwei Geburten empfiehlt. Denn nach den Strapazen einer Schwangerschaft braucht ein Körper Zeit, um sich zu erholen. Wir Menschen haben dabei den Luxus, dass wir frei wählen können, ob und wann wir Kinder haben.

In der Natur ist das anders. Tiere versuchen, möglichst viel Nachwuchs zu zeugen. So wollen sie sicherstellen, dass sich die eigenen Gene ausbreiten. Den Abstand zwischen den Nachkommen bestimmt dabei der Körper. Denn dieser weiss, ob das Weibchen bereit ist. Habe ich genügend Futter gefunden, damit mein Körper die Strapazen einer Schwangerschaft durchsteht? Bin ich gesund oder durch Krankheiten geschwächt? In der Natur müssen Tiere ohne Medizin und oft auch mit nur wenig Futter die Energie für Trächtigkeit und Baby aufbringen. Eine Schwangerschaft ist deshalb immer ein Risiko.

Einen der längsten Abstände zwischen Jungtieren haben die Orang-Utans. Sieben bis zehn Jahre liegen in der Wildnis zwischen zwei Geburten. Das führt dazu, dass ein Jungtier auch lange bei der Mutter bleibt. Die Mutter säugt es zuerst rund drei Jahre lang. Danach lernt das Junge von der Mutter weitere vier Jahre, wie sich ein Orang-Utan richtig verhält und was er frisst. Denn für wild lebende Orang-Utans ist es viel Arbeit, genügend Futter zu finden. Im tropischen Regenwald tragen nur wenige Bäume die richtigen Früchte, und das nur für kurze Zeit. Auch liegen die Bäume weit auseinander. Nicht nur für die Jungen, auch für die erwachsenen Tiere ist die Futtersuche deshalb eine grosse Aufgabe – erst recht für trächtige Weibchen. Deshalb brauchen sie die lange Pause zwischen den Jungtieren.

Orang-Utans haben im Zoo viel öfter Nachwuchs als in der Natur. Hier der Sumatra-Orang-Utan Utu im Zoo Zürich.
Foto: Enzo Franchini/Zoo Zürich
1/4

In Zoos ist das anders. Hier sind die Orang-Utans erstklassig versorgt, sowohl mit Futter als auch medizinisch. Keine unbehandelten Verletzungen oder Parasiten belasten das Tier. Gesundes und frisches Futter gibt es jederzeit und so viel man will. Ein Leben in Saus und Braus. Der Körper einer Orang-Utan-Mutter erholt sich dadurch viel schneller. So sind in Zoos Orang-Utan-Geburten im Abstand von fünf Jahren keine Seltenheit.

Was im letzten Jahr bei uns im Zoo geschah, war dann aber rekordverdächtig. Noch während Orang-Utan-Mama Cahaya ihre Tochter Riang säugte, brachte sie Riangs Schwester Utu (zu Deutsch Floh) zur Welt – keine zwei Jahre nach der Geburt von Riang. Der Floh bewies damit, dass das Stillen bei Orang-Utans keine sichere Verhütungsmethode ist. Der kurze Abstand zeigt ausserdem, dass die lange Pause zwischen zwei Geburten bei Orang-Utans nicht selbst gewählt ist. Sie ist die Folge einer Natur, die nur wenig Futter bietet.

Den Geschwistern Utu und Riang scheint ihr geringer Altersunterschied nichts auszumachen. Es funktioniert wunderbar zwischen den beiden – genau so wie bei den Kindern meiner Nachbarin.

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?