Zoologisch
In der Schweiz wird bestimmt, welche Tiere vom Aussterben bedroht sind

Der Direktor des Zoos Zürich, Severin Dressen (34), über Tiere, die es nur noch in Zürich gibt. Und die Rolle der Weltnaturschutzunion, die ihren Sitz in der Schweiz hat.
Publiziert: 22.10.2022 um 14:31 Uhr
Severin Dressen

Eine Hauptaufgabe moderner Zoos ist der Artenschutz, der Erhalt bedrohter Tierarten. Zoos halten und vermehren Arten und wildern sie wieder aus, um die Tiere in der Natur zu stärken. Oder manchmal auch wieder ganz neu anzusiedeln.

Wenn wir von bedrohten Tieren reden, benutzen wir Begriffe wie «gefährdet», «stark gefährdet» oder sogar «vom Aussterben bedroht». Bei uns im Zoo Zürich halten wir immer mehr Tierarten, denen es in der Natur nicht gut geht. Das reicht vom Wildkaninchen, das «potenziell gefährdet» ist, über «stark gefährdete» Giraffen und «vom Aussterben bedrohte» Orang-Utans bis zur zweithöchsten Stufe: Unsere Säbelantilopen auf der Lewa-Savanne sind «in der Natur ausgestorben». Es gibt sie nur noch in Zoos.

Doch woher kommen diese Abstufungen und Begriffe? Und wer definiert, welches Tier wie eingestuft wird? Die Antwort darauf liefert die Weltnaturschutzunion (IUCN) mit Sitz in Gland VD, hier in der Schweiz.

Ein vom Aussterben bedrohter Türkisblauer Zwerggecko im Zoo Zürich.
Foto: Enzo Franchini

Von den vielen verschiedenen Aufgaben, die die IUCN wahrnimmt, ist eine wichtige, dass sie den Zustand aller Pilz-, Pflanzen- und Tierarten dieser Welt erfasst und bewertet, ob eine Gefahr für eine Art besteht. Um das möglich machen zu können, ist die IUCN auf die Arbeit von 16'000 Spezialistinnen und Spezialisten angewiesen, die sich mit den einzelnen Tiergruppen bestens auskennen.

Die Expertinnen und Experten schauen jede Art für sich an und erheben, ob deren Anzahl Tiere in den letzten Jahrzehnten abgenommen hat und wenn ja, wie stark. Diese Veränderung der Anzahl Tiere ist ein wichtiger Hinweis, um die Bedrohung einzuschätzen. So hat zum Beispiel die Giraffenpopulation von 1985 bis 2015 um 40 Prozent abgenommen. Wenn eine Population in so kurzer Zeit stark abnimmt – 30 Jahre sind in einem Giraffenleben nur drei Generationen –, deutet dies auf ein drängendes Problem hin.

Eine andere wichtige Kategorie ist die Grösse des Verbreitungsgebiets. So lebt zum Beispiel das Wildkaninchen in ganz Europa. Selbst die weiträumige Verdrängung aus den vielen dicht besiedelten Teilen Europas kann ihm bisher noch nicht allzu viel anhaben. Daher lautet die Einstufung des Wildkaninchens derzeit «potenziell gefährdet».

Kommt eine Art allerdings nur in einem kleinen Gebiet oder nur auf einer kleinen Insel vor, dann ist die Gefahr viel grösser, dass Jagd und/oder Umweltzerstörung die ganze Tierart gefährden. So kommt zum Beispiel der Türkisblaue Zwerggecko (Kat. «vom Aussterben bedroht») gerade mal auf einer Fläche von acht Quadratkilometern vor, die Hälfte der Stadtfläche von Genf. Auf einer so kleinen Fläche kann jede Bedrohung schnell zur Ausrottung der Art führen.

Eine dritte wichtige Kategorie ist die Fortpflanzungsrate der Art. Tiere, die sich schnell und zahlreich fortpflanzen, können sich schneller von Bedrohungen erholen als Tierarten, die nur in grossen Abständen Nachwuchs haben. Beispiel: Kaninchen haben fünf- bis siebenmal pro Jahr mehrere Jungtiere und vermehren sich damit viel schneller als der Orang-Utan, der nur gerade alle neun Jahre Nachwuchs hat.

Zusammen mit weiteren Kategorien formt sich so ein Gesamteindruck für jede Art. Je nach Schwere der Bedrohung stuft die IUCN das Tier dann ein auf einer Skala von «nicht gefährdet» bis «ausgestorben». Was sich nach viel Arbeit anhört, ist auch tatsächlich viel Arbeit. Deshalb sind von schätzungsweise sechs Millionen Tier- und Pflanzenarten bisher nur knapp 150'000 bewertet. Für die restlichen Arten lautet der Status bisher «zu wenig Daten» oder «nicht evaluiert».

Es bleibt also weiterhin viel zu tun, damit wir wissen, welche Tiere und Pflanzen unsere Hilfe besonders dringend brauchen.

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