Severin Dressen erklärt
Wenn Pingu mit Pingu

Severin Dressen (33) ist Direktor des Zoos Zürich und kennt die wilden Geheimnisse seiner Bewohner.
Publiziert: 23.06.2021 um 11:20 Uhr
Severin Dressen

Zwei Pinguine stehen vor ihrer Nisthöhle, zwischen ihnen ihr Küken. Es ist vor einigen Wochen geschlüpft und wächst stetig heran. Beide Elterntiere kümmern sich aufmerksam um das Kleine. Doch beide sind nicht die leiblichen Eltern des Kükens, denn es handelt sich um zwei Pinguin-Männchen. Das homosexuelle Paar hat dem Weibchen im Nachbarnest vor rund 40 Tagen ein Ei geklaut und es als ihr eigenes ausgebrütet.

Wenn dieser Tage Regenbogenflaggen vor unserem Masoala-Regenwald wehen, dann ist Pride-Monat in Zürich. Was aber bedeutet Homosexualität im Tierreich?

Zuerst muss man unterscheiden. Und zwar zwischen gleichgeschlechtlichem Sex und zwischen Verhalten, das man eher mit einem gemischten Paar verbindet, also eben zum Beispiel das Aufziehen eines Jungtiers.

Beginnen wir mit dem Sex. Wenn wir Menschen über Sex und Sexualität reden, stehen für uns meistens Gefühle im Vordergrund. Wir haben Sex aus Lust und Spass, häufig mit einem Menschen, für den wir Liebe empfinden. Die Liebe ist ein menschliches Ding. Aber Lust empfinden sehr wohl auch die Tiere. Und dass sie diese Lust nicht nur mit dem anderen Geschlecht ausleben, dafür gibt es viele Beispiele. Allerdings ist es häufig so, dass Tiere nicht strikt nur mit dem eigenen oder dem anderen Geschlecht Sex haben, sondern mehr sowohl als auch. Es wäre also eigentlich richtiger, von Bisexualität im Tierreich zu sprechen.

Bisexuelles Verhalten können wir bei diversen Tieren beobachten, besonders aber bei sozialen Arten. Ein bekanntes Beispiel dafür sind die Bonobos, auch Zwergschimpansen genannt. Bonobos zeigen ein sehr komplexes Sexualverhalten, mit verschiedenen gegenseitigen Handlungen sowohl mit dem eigenen als auch dem anderen Geschlecht. Bonobos versöhnen sich mit Sex oder regeln Spannungen in der Gruppe damit. Nicht nur das Geschlecht, auch das Alter und die Rangstufe der Beteiligten spielen dabei grösstenteils keine Rolle. Früher glaubte man, dass dieses intensive Sexualverhalten der Bonobos dazu führen würde, dass sie weniger Konflikte haben als die nahe verwandten, aber weniger sexuell aktiven Schimpansen. Getreu dem Motto «Make love, not war». Diese Annahme ist inzwischen aber grösstenteils widerlegt. Denn auch bei den Bonobos kommt es regelmässig zu sehr heftigem Streit.

Damit kommen wir zum anderen Aspekt, dem Verhalten. Die Pinguine im Beispiel zu Beginn des Textes haben nicht zwingend Sex miteinander gehabt. Sie haben aber in jedem Fall in gleichgeschlechtlicher Partnerschaft erfolgreich ein Jungtier grossgezogen. Dieses Verhalten kann man nicht nur bei Pinguinen beobachten, sondern auch bei vielen anderen Arten, z.B. Enten, Schwänen und Tauben. Und dies manchmal auch dann, wenn eigentlich Tiere des anderen Geschlechts für eine Partnerschaft zur Verfügung stehen. Weshalb sich trotzdem zwei Weibchen oder zwei Männchen zu einem Paar zusammenschliessen, darüber forscht die Wissenschaft noch. Vielleicht wissen wir dazu im nächsten Pride-Monat mehr.

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