Berlin warnt, Bern wartet ab
Deutsche sollen Iran verlassen, Schweizer können bleiben

Berlin fürchtet, dass Deutsche ins Visier der Mullahs geraten – und drängt zum Verlassen des Irans. Die Schweiz dagegen wartet mit derlei Aufrufen ab.
Publiziert: 06.11.2022 um 13:41 Uhr
Tobias Marti

Das Regime in Iran versuchte auch diese Woche, die Proteste im Land mit aller Härte niederzuschlagen. Laut Menschenrechtlern sind bislang rund 300 Demonstrantinnen und Demonstranten umgekommen. Ein Einlenken des Mullah-Regimes ist nicht absehbar. Jüngst drohte der Chef der Revolutionsgarden offen mit dem Einsatz des Militärs gegen die Protestierenden. Es wäre eine neue Eskalationsstufe.

Deutschland zieht nun die Reissleine und drängt seine Landsleute zum Verlassen des Irans. «Für deutsche Staatsangehörige besteht die konkrete Gefahr, willkürlich festgenommen, verhört und zu langen Haftstrafen verurteilt zu werden», warnte Berlin am Donnerstag. Vor allem Doppelbürger, die neben der deutschen auch noch die iranische Staatsangehörigkeit besitzen, seien gefährdet.

Die sogenannte Geiseldiplomatie ist für das Regime in Teheran ein bewährtes Mittel. Ausländer und Doppelbürger, denen in der Regel Spionage für den Westen vorgeworfen wird, werden häufig als Faustpfand für Verhandlungen genutzt. Derzeit sitzen gemäss Menschenrechtsorganisationen 17 Doppelbürger aus Europa und Nordamerika hinter Gittern.

Am Samstag demonstrierten in Bern über tausend Menschen gegen das Iran-Regime – und gegen die Zurückhaltung der Schweiz.
Foto: keystone-sda.ch
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Mindestens 189 Schweizerinnen und Schweizer befinden sich noch immer im Gottesstaat, wie das Schweizer Aussendepartement (EDA) mitteilt. 160 von ihnen sind schweizerisch-iranische Doppelbürger, Übergriffen des Regimes also potenziell besonders stark ausgesetzt.

Anders als Deutschland aber wartet die Schweiz derzeit ab und ruft nicht zum Verlassen des Landes auf. Man beobachte die Demonstrationen aufmerksam und weise auf Risiken bei Reisen in den Iran hin, etwa, «dass die iranischen Gesetze wesentlich von den schweizerischen Rechtsnormen abweichen», wie das EDA mitteilt.

Die Rolle der Schweiz bringt Sicherheit

Insbesondere bei Verdacht auf Spionage oder Einmischung in politische Angelegenheiten würden mutmassliche Vergehen konsequent verfolgt und bestraft, so die Warnung aus Bern. Derzeit sind dem EDA keine Schweizer oder Doppelbürger bekannt, die im Iran inhaftiert wurden.

Einen besonderen Groll gegen die Schweiz dürften die Mullahs angesichts der aktuellen Schweizer Aussenpolitik nicht hegen. Denn die Schweiz wird die jüngsten Sanktionen der EU gegen das Regime nicht übernehmen, wie das Wirtschafts- sowie das Aussendepartement Mitte dieser Woche mitteilten.

Dabei spielen die Guten Dienste der Schweiz in Iran eine Rolle, wie offiziell zu vernehmen ist. Die Schweiz hält im Iran fünf Schutzmachtmandate, unter anderen eines für die USA.
Die Iran-Politik der Schweiz war gestern Gegenstand der Kritik an einer nationalen Iran-Demo, zu der sich auf dem Berner Bundesplatz mehr als 1000 Menschen versammelten.
Der Bundesrat höre weg, eine Wende in der Schweizer Iran-Politik sei fällig, so die Forderung. Alle Sanktion müssten übernommen und iranische Regimegegnerinnen und -gegner in der Schweiz besser vor der Ausschaffung geschützt werden.

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