Michael Møller ist der Chef des Genfer Uno-Hauptsitzes
Sein Job: die Welt retten

Die Uno in Genf ist eine Stadt in der Stadt: Über 10'000 Menschen arbeiten am zweiten Hauptsitz der grössten internationalen Organisation der Welt. BLICK hat deren Chef, Generaldirektor Michael Møller (66), einen Tag lang begleitet.
Publiziert: 26.06.2019 um 14:29 Uhr
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Aktualisiert: 26.06.2019 um 19:22 Uhr
Die Zeit ist knapp: Michael Møller, Generaldirektor der Uno Genf, im «Palais des Nations.
Foto: Darrin Vanselow
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Lea Hartmann (Text) und Darrin Vanselow (Fotos)

Es ist kurz vor 16 Uhr, als Michael Møller (66) für einen kurzen Augenblick die Orientierung verliert. Wir befinden uns in einem langen Korridor im fünften Stock irgendwo im Südflügel des Palais des Nations in Genf, dem europäischen Hauptsitz der Vereinten Nationen. Møller hastet an unzähligen, meist geschlossenen gleichen Türen vorbei, die sich einzig im Logo oder mit der Abkürzung unterscheiden, die darauf prangt. «Tatsächlich passiert es mir immer wieder, dass ich mich verlaufe», gibt der Däne, der sieben Sprachen spricht, zu.

Renata Dwan, die Direktorin des UN-Instituts für Abrüstungsforschung, die ihm vorauseilt, muss lachen. Sie hat dem «DG», wie der Director General der Uno in Genf nur genannt wird, wenige Minuten zuvor beim Konferenzsaal abgepasst, in dem dieser eine kurze Begrüssungsrede halten musste.

Die letzten Tage im Amt

Nun geht es im Stechschritt zum nächsten Termin. Denn das Programm an diesem Montag ist dicht, dichter als sonst. Es stehen diverse Verabschiedungen an. Nach über 40 Jahren im Dienst der Vereinten Nationen und sechs Jahren an der Spitze der Uno in Genf tritt Møller auf Ende Monat in den Ruhestand. Doch bevor er geht, öffnet der Uno-Diplomat für BLICK noch verschiedene Türen. Er gewährt einen kleinen Einblick in den Alltag bei der grössten Internationalen Organisation der Welt.

Hier den Überblick zu behalten, ist nicht nur wegen der vielen Korridore schwierig. Über 10'000 Personen arbeiten am Genfer Uno-Sitz. 12'000 Meetings finden pro Jahr statt. 165 Reden hielt Møller 2018. Unzählige Staatsoberhäupter sassen schon auf der beigen Ledersitzgruppe in seinem Büro mit Blick auf den Genfersee. 

«Gespräche mit Kindern machen mehr Spass»

Møllers Aufgabe ist es, die ganze Maschinerie am Laufen zu halten. Seinen Job in wenigen Worten umschreiben? «Schwierig», sagt er und denkt nach. «Wenn es etwas gibt, worum ich nie gebeten wurde, dann ist es, Babys zu küssen», meint er schliesslich augenzwinkernd. Obwohl er ein grosses Herz für Kinder hat. «Ich unterhalte mich gerne mit ihnen, denn die meisten Gespräche mit Kindern machen mehr Spass als mit Diplomaten. Sie sind oftmals besser vorbereitet, wenn sie hierherkommen», sagt der Däne mit dem typisch trockenen Humor eines Nordeuropäers.

Nach 90 Jahren: Eine Frischzellenkur für den Uno-Sitz

Es ist fast 18'000 Quadratmeter gross – und wurde seit seinem Bau vor knapp 90 Jahren nie renoviert: das Palais des Nations, in dem heute das Genfer Uno-Büro sitzt. In den neoklassiziszischen Bau – von modernen Architekten wie dem Schweizer Le Corbusier scharf kritisiert – zog 1933 der Völkerbund ein, die Uno-Vorgängerorganisation. Auch das Mobiliar stammt noch immer aus dieser Zeit – es wurde damals von den Mitgliedsstaaten gespendet.

Doch nun wird das Palais am Ufer des Genfersees generalüberholt und ausgebaut – für 836,5 Millionen Franken. An den Kosten beteiligen sich auch der Bund (292 Millionen) und der Kanton Genf (108 Millionen). Dafür wird saniert und ausgebaut: Im Nordosten des Komplexes soll ein Anbau 700 zusätzliche Arbeitsplätze bieten. Die Arbeiten sollen 2023 abgeschlossen sein. Sermîn Faki

Es ist fast 18'000 Quadratmeter gross – und wurde seit seinem Bau vor knapp 90 Jahren nie renoviert: das Palais des Nations, in dem heute das Genfer Uno-Büro sitzt. In den neoklassiziszischen Bau – von modernen Architekten wie dem Schweizer Le Corbusier scharf kritisiert – zog 1933 der Völkerbund ein, die Uno-Vorgängerorganisation. Auch das Mobiliar stammt noch immer aus dieser Zeit – es wurde damals von den Mitgliedsstaaten gespendet.

Doch nun wird das Palais am Ufer des Genfersees generalüberholt und ausgebaut – für 836,5 Millionen Franken. An den Kosten beteiligen sich auch der Bund (292 Millionen) und der Kanton Genf (108 Millionen). Dafür wird saniert und ausgebaut: Im Nordosten des Komplexes soll ein Anbau 700 zusätzliche Arbeitsplätze bieten. Die Arbeiten sollen 2023 abgeschlossen sein. Sermîn Faki

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Sitzungen abhalten, Hände schütteln, Reden halten, Präsenz markieren und Interesse zeigen: Zehn bis zwölf Stunden dauert ein typischer Møller-Arbeitstag. Dreimal in der Woche sei er nicht vor 9.30 Uhr im Büro – «dann gehe ich ins Gym», erklärt er. Denn als Chef muss Møller fit sein. «Es ist ein grosses Gebäude. Manchmal laufe ich an einem Tag fünf oder sechs Kilometer hin und her», sagt er. «Und schnell, läuft er!», fügt Kommunikationschefin Alessandra Vellucci an.

Jede Woche spielt er Lotto

Nicht selten nutzen die Mitarbeiter die Zeit zwischen den Meetings, um mit Møller im Vorbeigehen kurz etwas zu klären. Einmal in der Woche schaut der Generaldirektor jedoch rasch in der hauseigenen Post-Filiale vorbei, um eine Runde Lotto zu spielen. Seine kleine Auszeit.

Sonst ist jede Minute des «DG» durchgetaktet. Heute steht ein Treffen mit dem Uno-Sicherheitschef an, ein Zmittag mit den Botschaftern der nordischen Länder und der Startschuss für ein Programm zur Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele in Kirchen. Meist sagt Møller nur kurz Hallo, um danach gleich zur nächsten Veranstaltung zu hasten. Der Generaldirektor, der mit seiner Lebenspartnerin und deren Sohn (15) in der Stadt lebt, ist ein gefragter Mann. 

«Die Uno braucht es heute mehr denn je»

«We are in a hurry!» – «Wir müssen uns beeilen!»: Møller meint das aber auch ganz unabhängig von der täglichen Hektik. Klimakrise, Migrationsdruck, Armut und Hunger: Die Zeit dränge, um für die grossen Probleme globale Lösungen zu finden, sagt der «DG». «In der fragmentierten Welt von heute braucht es die Uno mehr denn je», ist er überzeugt. Es sei unmöglich, diese Probleme alleine zu lösen.

Und was ist mit der viel beschworenen Krise in der staatlichen Zusammenarbeit? Møller winkt ab. Lieber spricht er, für einmal ganz Diplomat, von einem «Wandel», den man durchmache. «Das System, das sich über die letzten 70 Jahre etabliert hat, ist nicht länger fähig, die existenziellen Probleme anzugehen.» Es müssten nun nicht allein Staaten, sondern auch andere Nichtregierungsorganisationen und die Wirtschaft an den Tisch geholt werden. Das gehe nicht ohne Widerstand.

Keine Zeit für Häppchen

Ein Problem ist aus Sicht Møllers aber, dass viele Menschen kaum etwas über die Uno wissen. Das zu ändern war eines der grössten Ziele des Wahl-Genfers. Er liess dafür Kochbücher drucken, Geschichten für Kinder schreiben, veranstaltete Tage der offenen Tür und eine Roadshow durch die Schweiz. Denn: «Es ist wichtig, dass jeder Einzelne versteht, was auf dem Spiel steht. Ohne die Uno wäre unser Leben heute viel schlechter.»

Møller ist getrieben von der Mission, die Welt Stück für Stück besser zu machen. Und darüber zu reden. Da hat er, es ist inzwischen Abend, auch keine Zeit für die Häppchen, die zur 100-Jahr-Feier der Bibliothek im «Palais» gereicht werden. Punkt 10 auf dem heutigen Tagesprogramm. Nach ein bisschen Smalltalk hastet Møller davon. Der nächste Termin steht an: Dinner mit dem deutschen Botschafter. Der Chauffeur wartet bereits.

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