Der Landesverweis – ein politischer Kampfbegriff
Missbrauch von links bis rechts

Nicht nur die SVP instrumentalisiert den Landesverweis für ihre Zwecke, auch die Linke nahm die Asylpolitik ins Visier. Sie nutzte dafür den spektakulärsten Fall einer behördlichen Ausweisung in der jüngeren Schweizer Geschichte.
Publiziert: 10.02.2016 um 18:37 Uhr
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Aktualisiert: 10.09.2018 um 18:50 Uhr
Kritik an der Ausschaffung der Familie Musey: So berichtete BLICK am 15. Januar 1988.
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René Lüchinger
René LüchingerChefpublizist

Nicht erst seit der SVP-Durchsetzungs-Initiative ist der Landesverweis ein Kampfbegriff der politischen Rechten. In den 1980er-Jahren, als viele Flüchtlinge aus Sri Lanka, dem Sudan oder Bangladesch in die Schweiz kamen, waren es die Linken, welche mit ihrem Protest gegen Ausweisungen ein in ihren Augen «menschenrechtsverletzendes Asylgesetz» ins Visier nahmen. Die Schweiz verfolgte in dieser Frage lange Zeit ein duales System: Strafgerichte wie auch Migrationsbehörden konnten fehlbare oder kriminelle Ausländer des Landes verweisen.

Den Richtern gab der Artikel 55 des Strafgesetzbuches (StGB) dieses Mittel in die Hand: «Der Richter kann den Ausländer, der zu Zuchthaus oder Gefängnis verurteilt wird, für 3 bis 15 Jahre aus den Gebieten der Schweiz verweisen. Bei Rückfall kann Verweisung auf Lebenszeit ausgesprochen werden.» Im Extremfall konnten dafür drei Tage Gefängnis ausreichen.

Als der Fall Musey Schlagzeilen machte

Der spektakulärste Fall der jüngeren Schweizer Geschichte für eine behördliche Ausweisung ist der Fall Mathieu Musey, eines zairischen Staatsangehörigen, der 1970 zur Ausbildung in die Schweiz kam. Musey war einer jener Drittweltstudenten, der das erworbene Wissen nach Studienabschluss in seiner Heimat fruchtbar machen sollte. Behörden wie Musey war klar, dass nach Studienabschluss und Habilitation die Aufenthaltsgenehmigung nicht mehr verlängert werden würde. So wurde die Ausreise der mittlerweile fünfköpfigen Familie von den Behörden auf den 30. Juni 1985 festgesetzt. Zwei Wochen zuvor stellte Musey plötzlich einen Asylantrag und forderte damit das geltende Asylgesetz heraus. «Weil das Asylgesuch nur darauf ausgerichtet war, die verfügte Ausweisung zu verhindern, beurteilten wir es als missbräuchlich», meinte die damals für das Asylgesetz zuständige Bundesrätin Elisabeth Kopp in einem Interview.

Als sie dem geltenden Asylrecht zum Durchbruch verhelfen wollte, tauchten die Museys unter: Religiös motivierte Wiedertäufer versteckten die Familie in einem abgelegenen Bauernhof im jurassischen Les Ecorcheresses. Nach neun Monaten im Untergrund griffen die Behörden durch: zwanzig schwer bewaffnete Polizisten nahmen die Familie in einer Blitzaktion fest und setzten die Museys in einen Privatjet Richtung Kinshasa.

Es war die politische Linke, welche diesen durch geltende Gesetze gedeckten Landesverweis für politische Zwecke missbrauchte: Sozialdemokraten wie Gewerkschaften liefen Sturm und geisselten ein angeblich unmenschliches Asylgesetz, welches zuvor mehrfach vom Souverän an der Urne abgesegnet worden war.

Landesverweis als Verwaltungsakt

Im Jahr 2007 war es mit der SVP die politische Rechte, welche den Landesverweis zum politischen Kampfbegriff hochstilisierte. Der Grund: Am 1. Januar war ein neues Strafgesetzbuch in Kraft getreten, welches die bis anhin geltende Nebenstrafe für Ausländer abschaffte. Ein Richter konnte neben einer Gefängnisstrafe nach deren Verbüssung zusätzlich einen Landesverweis verfügen. Der Landesverweis wurde durch die neuen Bestimmungen zu einem reinen Verwaltungsakt degradiert. Im gleichen Jahr lancierte die SVP die Ausschaffungs-Initiative, später die Durchsetzungs-Initiative, welche Ende Monat zur Abstimmung kommt. Auch hier ist der Rechtsstaat im Visier: der Richter soll keine Einzelfallprüfung mehr vornehmen können, sondern selbst bei Bagatelldelikten im Wiederholungsfall den Landesverweis von Ausländern automatisch verfügen müssen.

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