Der oberste Schweizer Finanzaufseher Pascal Stirnimann zu den neuen Transparenzregeln
«Wir haben keine Hemmungen, Zähne zu zeigen»

Die Eidgenössiche Finanzkontrolle (EFK) hat ein neues Ämtli: Sie überwacht die notwendige Offenlegung der Finanzflüsse in nationalen Wahl- und Abstimmungskämpfen sowie bei den Parteien in Bundesbern. EFK-Direktor Pascal Stirnimann erläutert die Aufgaben.
Publiziert: 21.08.2023 um 00:14 Uhr
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Aktualisiert: 22.08.2023 um 14:40 Uhr

Vom Bundesamt für Verkehr (BAV) kommend, hat Pascal Stirnimann (50) vor einem Jahr den Direktorenposten bei der Eidgenössischen Finanzkontrolle (EFK) übernommen. Er ist seitdem nicht nur der oberste Finanzaufseher der Schweiz. Neu schaut er auch der Politik über die Schultern: Erstmals müssen Wahlkämpfer für die Parlamentswahlen vom Oktober die Finanzflüsse offenlegen. Stirnimann und sein Team überprüfen diese Angaben. Auch über die Finanzierung künftiger Abstimmungskämpfe und über die Parteifinanzen wacht die EFK neu. Unter allen Umständen will Pascal Stirnimann diese Aufgaben jedoch nicht weiterführen, wie er in den Räumlichkeiten der Finanzkontrolle im Interview mit Blick sagt.

Blick: Herr Stirnimann, neu kontrolliert die EFK, ob Parteien und Politiker wahrheitsgemäss angeben, wer Ihre Kampagnen finanziert. Werden wir in Zukunft wirklich Klarheit haben?
Pascal Stirnimann: Wir machen einen grossen Schritt in diese Richtung, ja. Das wird spannend. Die neuen Regeln entwickeln auch eine Eigendynamik. Selbst Ständeratskandidaten, machen ihre Budgets in der Presse öffentlich, obwohl sie es bei der EFK erst nach ihrer Wahl tun müssen.

Wie kontrollieren Sie?

EFK-Direktor Pascal Stirnimann erläutert Blick, welche Aufgabe seine Kontrollstelle im Zusammenhang mit den neuen Transparenzregeln hat.
Foto: Screenshot SRF
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Es muss erstmals veröffentlicht werden, wer wie viel einnimmt und für einen Urnengang ausgibt. Wir nehmen die Meldungen entgegen und kontrollieren diese. Drittens publizieren wir die Meldungen.

Ganz einfach! Doch wie prüfen Sie die Richtigkeit?
Vor dem Abstimmungstermin vom 22. Oktober führen wir formelle Kontrollen durch. Haben wir die Meldung fristgerecht erhalten? Ist sie vollständig? Dabei muss man wissen, dass diese Eingaben auf Annahmen beruhen.

Was?

Gemeldet werden Spenden über 15'000 Franken, aber nur, wenn die Aufwendungen für die Kampagne höher als 50'000 Franken liegen: Die politischen Akteure müssen sich also bei uns melden, wenn sie damit rechnen, dass sie bis zum Wahltermin hin diese Grenze überschreiten. Wer bis zum Stichtag, dem 7. September, nicht davon ausgeht, muss nichts tun. Wenn er am 9. September merkt, dass er die 50'000er-Grenze knackt, hat er zehn Tage Zeit, uns das zu melden. Und wenn er dann noch eine Einzelspende von 19'000 Franken bekommt, hat er fünf Tage Zeit für die Meldung. Auf den Wahlsonntag hin bekommt die Bevölkerung so ein erstes Bild.

Ein provisorisches …
Ein recht genaues. Aber Kassensturz machen wir nach der Wahl. Dann müssen die Zahlungseingänge belegt werden. Ein besonderes Augenmerk werden wir auf Spenden aus dem Ausland haben, die ja grundsätzlich verboten sind – es sei denn, sie kommen von Auslandsschweizern. Das muss nachgewiesen werden. Bei den Ständeratswahlen gelten aber andere Regeln. Zum Beispiel dürfen alle Spenden vom Ausland angenommen werden und Details zur Finanzierung der Wahlen werden erst nach Amtsantritt anfangs 2024 bekannt.

Überprüfen Sie nur gewählte Nationalräte?
Nein, wir machen bei allen Stichproben. Tendenziell ist es bei Gewählten aber interessanter. Wichtig ist: Wir sind nicht die Polizei. Wir kündigen an, dass wir vorbeikommen.

Wenn Sie bei Nationalrat X eine Unregelmässigkeit feststellen, dann erfährt das niemand. Sie melden das bloss der Staatsanwaltschaft. Bis zu einem Urteil bleibt alles im Verborgenen. Eine solche Geheimjustiz ist das Gegenteil von Transparenz, oder?
Der Gesetzgeber hat in der Tat vorgesehen, dass wir keinerlei Hinweise machen dürfen, wenn eine Strafanzeige eingereicht wird. Wenn jemand verurteilt ist, werden wir im Register einen kommentarlosen Hinweis anbringen.

Der Schutz der Parlamentarier wird höher gewichtet als die Transparenz.
Bis zur Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung. Aber wer wissen will, wer definitiv gegen die Regeln verstossen hat, kann das in Erfahrung bringen.

Der normale Bürger wird sich diese Mühe kaum machen.
Medien und NGOs aber schon. Und wenn eine gewählte Person verurteilt und das öffentlich diskutiert wird, hat das Folgen. Ich rechne aber nicht mit vielen Verurteilungen. Es wird zur Normalität, dass Spenden und Ausgaben transparent sind.

Für eine Verurteilung muss man den Verstoss beweisen können. Was machen Sie, wenn jemand seine 100'000 Franken einfach auf zehn Strohmänner verteilt?
Es ist kein Zufall, dass die EFK die Prüfungen durchführt. Wir kennen die Tricks und wissen, wie man ihnen auf die Schliche kommt. Und bevor Sie fragen: Nein, mehr kann ich nicht sagen. Ich will ja keine Anleitung zum Betrügen abgeben.

Finanzflüsse, die über parteinahe Stiftungen laufen, sind auch nicht einfach ersichtlich.
Im Gesetz ist vom politischen Akteur die Rede, welcher eine Kampagne führt. Er ist meldepflichtig und ist nicht zwingend der Nationalratskandidat. Wenn zum Beispiel eine Stiftung oder eine Person für mich Kampagne macht, ist er politischer Akteur und meldepflichtig. Lassen Sie mich hier noch etwas anfügen.

Gern.
Natürlich sprechen wir aktuell von den Wahlen. Doch Transparenz in Abstimmungskämpfen ist mindestens so wichtig. Ab März 2024 gilt es hier ernst. Man wird künftig wissen, woher die Millionen kommen, die in die Abstimmungskampagnen fliessen. Zudem schauen wir neu auch den Parteien in die Bücher, erstmals Mitte 2024.

Wenn ein Verband Geld sammelt für eine bestimmte Kampagne, muss er das ausweisen. Wenn seine Mitglieder aber einfach Gelder überweisen und Economiesuisse dieses an den kampagnenführenden Bauernverband weiterreicht, nicht.
Interessantes Szenario. Hier wäre der Bauernverband der politische Akteur, der sich im Register erfasst. Dennoch: Wenn Economiesuisse 500'000 Franken weiterreicht, erscheint sie als Zuwender. Und wenn ich als Stirnimann zu Economiesuisse gehe und sage: «Hier, eine Million Franken von mir für diese bestimmte Kampagne. Nehmt es aber bei euch rein, dass ich nicht erscheine.» Das ist nicht erlaubt. Dann müsste ich als Zuwender deklariert werden.

Das ist der Punkt! Mit der Geld-und-Gülle-Allianz aus Wirtschaft und Landwirten kann ich meine Mittel Economiesuisse geben und weiss, dass hinten etwas für den Bauernverband rauskommt – ohne dass ich als Spender erscheine!
Das ist Ihr Beispiel und Ihr Begriff. Aber ich kann Ihnen versichern, dass wir uns solcher Praktiken bewusst sind und durchaus über Instrumente verfügen, um Verstössen auf den Grund zu gehen. Und vergessen Sie die Whistleblower nicht!

Wird Ihre Whistleblower-Hotline denn genutzt?
Und ob! Wir erhalten jährlich fast 400 Meldungen von Whistleblowern. Über die Hälfte davon sind hilfreich. Während der Corona-Zeit haben verschiedene Bundesstellen alleine rund 2000 Hinweise bekommen zu möglichen Verstössen bei der Kurzarbeit. Da haben gar 65 Prozent dieser Hinweise zu Rückzahlungen von Geldern geführt und es wurden auch Missbräuche aufgedeckt.

Die EFK ist in einem Interessenkonflikt. Sie sind nicht nur die Behörde, die die Politik überprüft. Sondern die Politik ist auch Ihr Chef. Als Prüfbehörde hat die EFK so doch Beisshemmungen.

Ich kann Ihnen versichern, dass wir keine Hemmungen haben, auch Zähne zu zeigen. Aber wenn wir wirklich merken sollten, dass es einen Interessenskonflikt gibt, und wir diesen nicht eliminieren können, dann müssten wir die Aufgabe abgeben.

Im Ernst?

Erst prüfte er Postauto, neu die Politik

Der 50-jährige Pascal Stirnimann ist seit dem 1. September 2022 Direktor der Eidgenössischen Finanzkontrolle. Zuvor war er schweizweit bekannt geworden, weil er aufdeckte, dass die Verkehrs-tochter der Post jahrelang getrickst hatte. Im Regionalverkehr liess sich Postauto ihre Kurse mit viel zu hohen Vergütungen subventionieren. Der gelbe Riese musste mehr als 200 Millionen Steuerfranken zurückzahlen. Betriebsökonom und Wirtschaftsprüfer Stirnimann und sein Team sorgen nun auch für die Einhaltung der neuen Transparenzregeln in der Politik.

Der 50-jährige Pascal Stirnimann ist seit dem 1. September 2022 Direktor der Eidgenössischen Finanzkontrolle. Zuvor war er schweizweit bekannt geworden, weil er aufdeckte, dass die Verkehrs-tochter der Post jahrelang getrickst hatte. Im Regionalverkehr liess sich Postauto ihre Kurse mit viel zu hohen Vergütungen subventionieren. Der gelbe Riese musste mehr als 200 Millionen Steuerfranken zurückzahlen. Betriebsökonom und Wirtschaftsprüfer Stirnimann und sein Team sorgen nun auch für die Einhaltung der neuen Transparenzregeln in der Politik.

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Sie haben mein Wort! Unsere Unabhängigkeit ist unser wichtigstes Gut. Verlieren wir diese, verlieren wir auch unsere Glaubwürdigkeit. Dann wäre unsere Arbeit nichts mehr wert. Und auch wenn wir feststellen müssten, dass unser Hauptbusiness, die Finanzaufsicht, unter diesen neuen Aufgaben leidet, müssten wir handeln. Wohlgemerkt: Wir freuen uns über diese Aufgaben und überprüfen die Einhaltung der Transparenzregeln zur Politfinanzierung gern.

Noch kurz zu Ihrem Hauptbusiness. Sie dürften den Kauf der F-35-Jets auf dem Radar haben. Hier soll keine Konventionalstrafe vereinbart worden sein. Sind Sie dran?
Der Jet-Kauf ist das grösste Rüstungsgeschäft in der Geschichte. Wir würden unsere Hausaufgaben nicht machen, hätten wir nicht ein Auge darauf. Im 2022 haben wir bei einer Prüfung festgestellt, dass aus unserer Sicht keine absolute Rechtssicherheit bezüglich des vereinbarten Festpreises besteht. Das Thema Konventionalstrafe war jedoch nicht Gegenstand unserer Prüfung. Vom Schiff aus kann ich nicht beurteilen, ob die Vereinbarung einer Konventionalstrafe üblich ist bei solchen Verträgen.

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