«Bäuerinnen» statt nur «Bauer»
SRG-Publikum beschwert sich über mangelndes Gendern

Im letzten Jahr gab es bei der SRG-Ombudsstelle auf einmal mehr Reklamationen darüber, es werde zu wenig gegendert, als solche, die sich über zu viel Gendern beschwerten. Die Gendersprache ist in der Gesellschaft angekommen, wie eine Sprachwissenschaftlerin bestätigt.
Publiziert: 22.04.2024 um 17:20 Uhr
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Aktualisiert: 22.04.2024 um 17:51 Uhr
Kehrtwende im Streit ums Binnen-I, Gendersternchen oder Doppelpunkt.
Foto: imago images/Christian Ohde
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Céline ZahnoPraktikantin Politik

Das kleine Gendersternchen hat für grosse Debatten gesorgt. Die SVP ist schon mit einer Volksinitiative dagegen vorgegangen und wähnt sich in einem regelrechten Genderwahn. Ist das nur viel heisse Luft um nichts? Glaubt man den SVP-Kreisen, ist das Gendern ein Spleen der Linken in Zürich und Bern.

So ist das offenbar aber keineswegs: Bei der SRG reklamieren in der Deutschschweiz mittlerweile nämlich mehr Leute, dass zu wenig gegendert werde, als dass sich über einen angeblichen Genderwahn beklagen. Offenbar hat ein Umdenken stattgefunden. «Im Jahr 2022 hatten wir viel Ärger ums Gendern. Darum war es auffallend, dass es im vergangenen Jahr dazu praktisch keine Beanstandungen gab», sagt Esther Girsberger (63) von der Ombudsstelle der SRG-Deutschschweiz. 

Landwirtinnen sollen explizit genannt werden

Dafür gab es jedoch vermehrt Meldungen von Leuten, die sich gefragt haben, wieso SRF bei einem Thema nicht auch die weibliche Form nannte.

Dabei gibt es kein spezielles Muster von Menschen, die mehr gendergerechte Sprache verlangt haben. Laut der Ombudsfrau haben sich zum Beispiel auch Gruppen gemeldet, die in der Öffentlichkeit nicht als besonders genderaffin gelten. «Zum Beispiel hat sich ein Landwirt beschwert, dass in einem Beitrag nur von ‹Bauern› und nicht auch von ‹Bäuerinnen› gesprochen wurde», so Girsberger.

In der Gesellschaft angekommen

Das Gendern sei in der Gesellschaft angekommen. «Man hat sich daran gewöhnt. Es ist selbstverständlich geworden, nicht nur die männliche Form zu verwenden».

Andrea Hunziker Heeb (57) teilt diese Einschätzung. Sie ist promovierte Sprachwissenschaftlerin an der Fachhochschule ZHAW. «Die Akzeptanz fürs Gendern hat zugenommen. Breitere Schichten sind sensibilisiert worden.»

Laut der Wissenschaftlerin ist das einem Gewöhnungsprozess zu verdanken. Viele hätten befürchtet, dass unsere Sprache durch das Gendern komplizierter wird, und merkten jetzt, dass das gar nicht der Fall sein muss. «Einige stellen etwa fest, dass sie sich doch mehr angesprochen fühlen als mit einer grammatikalisch männlichen Form», so Hunziker Heeb.

Unsere Sprache wandle sich stetig. «Wir müssen und können weiterhin aushandeln und mitgestalten, wie wir gendern. Dieser Prozess ist nicht abgeschlossen.»

Im Schatten der Halbierungsinitiative

Inklusiv und freundlich sind aber längst nicht alle Reklamationen. «Der Ton der Beanstandungen wird immer harscher», bedauert Girsberger. Das habe im letzten Jahr nochmals zugenommen. «Es ist wirklich erschreckend, wie die Kritiken teils formuliert sind. Besonders heftig war das bei der Kritik über die Nahostberichterstattung.»

Vielen Zuschauern und Zuschauerinnen gehe es vor allem auch darum, mit ihrer Kritik ihre grundsätzliche Ablehnung des SRF auszudrücken: «Und merken deshalb gleich an, dass sie bei der Halbierungsinitiative ganz sicher Ja stimmen werden».

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