«Die Zahlen sind zu hoch»
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«Mr. Corona» Daniel Koch:«Die Maskenfrage wurde überbewertet»

«Mr. Corona» Daniel Koch im grossen Interview
«Die Maskenfrage wurde überbewertet»

Er wurde in der Krise zum «Mr. Corona»: Daniel Koch, ehemaliger Chefbeamter im BAG. BLICK hat den zur Kultfigur gewordenen Berner zum Interview getroffen. Er sagt, was er heute anders machen würde. Und erzählt vom neuen Leben nach der Pensionierung.
Publiziert: 12.07.2020 um 22:45 Uhr
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Aktualisiert: 27.12.2020 um 19:39 Uhr
Lea Hartmann (Text) und Thomas Meier (Fotos)

Zum Interviewtermin mit BLICK am Aareufer nahe Bern fährt «Mr. Corona» zwar im Campingbus vor. An Ferien ist für Daniel Koch (65) diesen Sommer allerdings nicht zu denken. Sechs Wochen nach seiner Pensionierung beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) ist die Agenda des Berners, der zwölf Jahre lang die Abteilung für übertragbare Krankheit geleitet hat, noch immer proppenvoll. Der studierte Arzt ist ein gefragter Mann. Auch beim Einkaufen, Käfele oder Spazieren.

Das merkt auch BLICK. «Grüessech, darf ich etwas fragen?» Nur wenige Minuten nach Beginn des Interviews wird Koch von einer älteren Frau angesprochen. Sie habe gehört, dass das Tragen einer Maske gefährlich sei. Man bekomme nicht mehr genug Sauerstoff. «Stimmt das?» Koch beruhigt: «Nein, nein», da müsse sie sich ganz sicher keine Sorgen machen.

BLICK: Die Corona-Krise machte Sie zum Promi. Wie gehen Sie mit der plötzlichen Bekanntheit um?
Daniel Koch:
Zu Beginn war es sehr gewöhnungsbedürftig, überall erkannt zu werden. Aber ich muss sagen: Die Leute sind immer sehr nett und höflich. Nur beim Einkaufen ist es manchmal etwas unangenehm, wenn einen ständig jemand beobachtet. Ich würde ja zum Beispiel gerne mal ein Corona-Bier kaufen, das hab ich eigentlich noch gern. Aber das kann ich vergessen. Ich wette, sofort würde jemand ein Foto davon veröffentlichen.

Daniel Koch kam mit dem Campingbus zum BLICK-Interview – und seinen zwei Hunden Akira und Bundji.
Foto: Thomas Meier
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Ende Mai sind Sie pensioniert worden. Wie sehr haben Sie «Mr. Corona» hinter sich gelassen?
Klar ist es ein neues Kapitel. Aber Corona ist noch immer mein täglich Brot. In meiner jetzigen Tätigkeit als Berater verfolge ich die Situation sehr eng. Ich fände es komisch, würde ich jetzt plötzlich sagen, das Ganze gehe mich nichts mehr an, und mein Fachwissen niemandem zur Verfügung stellen. Deshalb setze ich mich weiterhin da ein, wo ich denke, etwas beitragen zu können.

Kaum aus dem Amt, gründeten Sie Ihre eigene Consulting-Firma. Ist das nicht etwas gar schnell gegangen?
Das ist völlig aufgebauscht worden. Wenn man jemandem eine Rechnung stellen will, muss man einfach eine Firma gründen. Ich hege keinerlei Ambitionen. Aber ich will auch nicht alles gratis machen.

Wen beraten Sie denn?
Im Moment sind es vor allem Verbände, Vereine und Organisationen aus dem Sportbereich. Ich helfe ihnen, Schutzkonzepte auszuarbeiten, damit man schon bald wieder grössere Sportveranstaltungen durchführen kann.

Sport, das ist Kochs Leidenschaft. Der schlaksige Mann, zweifacher Vater und frischgebackener Grosspapi, nimmt in seiner Freizeit an Halbmarathons, Marathons, mit Vorliebe aber an sogenannten Canicross-Rennen teil – einem Geländelauf mit Hund. Im Winter schnallt sich Koch zudem die Langlaufski an und lässt sich im Schnee von seinen Hunden Akira (7) und Bundji (9 Monate) ziehen. Mit dem Campingbus reist er an Rennen, in und ausserhalb der Schweiz. Wegen Corona fallen aber zumindest die internationalen Termine dieses Jahr aus.

Gesichter der Corona-Krise

Die Pandemie hat die Welt verändert, den Alltag von uns allen umgekrempelt. Und sie hat Menschen ins Rampenlicht gerückt, die vorher im Hintergrund wirkten oder durch die Corona-Krise eine besonders wichtige Rolle erhielten. Vom Gesundheitsminister bis zum Beamten, von der Krankenschwester bis zur Soldatin.

Blick.ch spricht in einer lockeren Serie mit ihnen über ihre Erfahrungen und Erlebnisse in dieser aussergewöhnlichen Zeit.

Die Pandemie hat die Welt verändert, den Alltag von uns allen umgekrempelt. Und sie hat Menschen ins Rampenlicht gerückt, die vorher im Hintergrund wirkten oder durch die Corona-Krise eine besonders wichtige Rolle erhielten. Vom Gesundheitsminister bis zum Beamten, von der Krankenschwester bis zur Soldatin.

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Seit Ihrer Pensionierung hat sich einiges getan. Im ÖV gilt jetzt Maskenpflicht. Die richtige Massnahme – und vor allem: zur richtigen Zeit?
(Überlegt lange) Die Maskenpflicht im ÖV ist sicher sinnvoll. Über das Timing kann man aber diskutieren. Der Bundesrat hätte die Maskenpflicht früher einführen sollen, als der ÖV wieder hochgefahren wurde. Aber – ganz ehrlich: Das sind Details, die nicht matchentscheidend sind. Entscheidend war, dass die Bevölkerung begriffen hat, worum es geht. Und entscheidend wird jetzt sein, dass sie weiter dranbleibt und wir das Contact Tracing so auf die Reihe kriegen, dass wir die Infektionsketten unterbrechen können.

Der Bundesrat hatte schon lange dringend empfohlen, im Zug eine Maske zu tragen. Dass sich kaum jemand daran gehalten hat, lag auch an Ihnen. Sie haben zu Beginn der Krise fast mantraartig wiederholt, dass Masken für die breite Bevölkerung nichts bringen würden. Haben Sie falsch kommuniziert?
Nein, das glaube ich nicht. Die Maskenfrage wurde von Anfang an überbewertet. Es gilt heute noch dasselbe wie vor drei Monaten: Distanz halten ist wichtiger als eine Maske zu tragen. Und Maskentragen führt eher dazu, dass man nicht mehr Abstand hält. Von dem her finde ich das Vorgehen absolut richtig. Ich würde rückblickend genau gleich kommunizieren.

Wäre die Maskenpflicht aber eben nicht auch ein Mittel gewesen, damit die Bevölkerung den Ernst der Lage realisiert?
Es hätte auch das Gegenteil passieren können. Die Leute könnten denken: Gut, jetzt habe ich eine Maske – das Problem ist gelöst. Das ist es aber nicht. In welcher Reihenfolge man auf welche Massnahme setzt, ist letzten Endes immer ein bisschen eine Frage des Gustos. Sowieso ist es nicht primär die Massnahme, die den Unterschied macht. Sondern das, was sie bei der Bevölkerung auslöst.

Was meinen Sie damit konkret?
Es ist vielleicht ähnlich wie bei den Schulen. Von Anfang an wurde gesagt, dass Kinder nicht die Haupttreiber der Epidemie sind. Deshalb kann man sagen, dass Schulschliessungen aus epidemiologischer Sicht nicht nötig waren. Trotzdem hat die Massnahme einen grossen Beitrag geleistet, weil sie der Bevölkerung bewusst gemacht hat, wie ernst es ist.

Mit anderen Worten: Die Schulschliessungen hatten nur den Zweck, die Leute wachzurütteln? Dann hätte man aber auch einfach eine Maskenpflicht einführen können – ein Mittel mit deutlich weniger drastischen Folgen.
Ja, aber das hätte niemals den gleichen Effekt gehabt. Die Schulschliessungen waren enorm effektiv. Die Leute haben realisiert: Jetzt müssen wir Distanz halten, auf Ausflüge und Familienfeste verzichten. Das hat am Schluss den Ausschlag gegeben.

Die Zahl der Neuinfektionen ist nun wieder gestiegen. Sind Sie beunruhigt?
Nein. Noch ist alles in einem verkraftbaren Bereich. Aber im Herbst und Winter wird das Risiko einer zweiten Welle steigen. Die Schweiz hat zwar die Möglichkeit, eine solche zu unterdrücken. Aber das ist nicht gratis. Wir müssen den Sommer jetzt nutzen, um die nötigen Vorbereitungen zu treffen und die Abläufe einzuspielen. Die Menschen müssen sich unverzüglich testen lassen, wenn sie Symptome haben. Sonst ist es zu spät, die Ansteckungsketten zu unterbrechen.

In Koch blitzt wieder der BAG-Chefbeamte hervor. Er und Gesundheitsminister Alain Berset (48): Sie waren ein eingespieltes Duo in der Corona-Krise. An Kochs letzter Medienkonferenz bedankte sich der Bundesrat bei ihm. Seine Fachkenntnisse, seine Ruhe, aber auch sein Humor seien in der Krise eine grosse Hilfe gewesen, so Berset.

Wie der Gesundheitsminister ist auch Koch einer, der das Rampenlicht nicht meidet – im Gegenteil. Dass es zum Personenkult um ihn kam, dafür kann er nichts. Doch seit seiner Pensionierung befeuert Koch diesen auch. So ist der Rentner neu auf Instagram aktiv und liess sich nach seinem Schwumm im Anzug in der Aare zum Botschafter der Lebensretter-Gesellschaft ernennen. Oder ruft dazu auf, ihn beim Berner Heartbeat Run zu schlagen (920 Meter in 4 Minuten 39). Ziemlich viel PR. Er habe noch zahlreiche weitere Anfragen bekommen, sagt Koch. Viele schlage er aus. «1.-August-Reden zum Beispiel: Das mache ich nicht.» Nicht widerstehen konnte er hingegen, als ein Verlag bei ihm anklopfte. Koch hatte mehrere Angebote für ein Buch bekommen – zugesagt hat er schon beim ersten.

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