Sind die Auswanderungspläne von Spuhler & Co. unnötig?
Rechtsprofessoren nehmen die Juso-Initiative auseinander

Müssen Familienunternehmer wie Peter Spuhler wirklich noch vor der Abstimmung über die Juso-Initiative auswandern, um zu vermeiden, dass sie die Hälfte ihres Erbes abgeben müssen? Zwei Rechtsprofessoren erklären, warum der Initiativtext auf wackligen Beinen steht.
Publiziert: 23.07.2024 um 01:11 Uhr
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Aktualisiert: 23.07.2024 um 16:11 Uhr
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Rolf CavalliStv. Chief Content Officer

«Die Juso zwingen mich, auszuwandern.» Und zwar, bevor über die Erbschaftssteuer-Initiative abgestimmt wird. Diese Aussage von Peter Spuhler (65, Stadler Rail) löste eine Lawine aus. Ihm folgten weitere Familienunternehmer wie Hans-Peter Bertschi (67, Logistik), Simon Michel (47, Ypsomed), Magdalena Martullo-Blocher (54, Ems Chemie) oder Thomas Straumann (61, u.a. Implantate). Sie alle überlegen sich, wegen der Volksinitiative rechtzeitig das Land zu verlassen. Sonst müssten sie Teile ihres Unternehmens verkaufen.

Was die Juso-Initiative doppelt brisant macht: Die Super-Steuer für Super-Reiche will nicht nur 50 Prozent des Erbes (ab einem Vermögen von 50 Millionen Franken) abzwacken, sie soll rückwirkend gelten. Doch müssen Spuhler & Co. wirklich vor dem Abstimmungstermin (frühestens 2026) auswandern, um einen Zugriff auf ihr Erbe zu verhindern? Ein Blick auf das Kleingedruckte in der Juso-Initiative lässt Zweifel aufkommen.

Peter Spuhler bangt um sein Erbe. Doch vorzeitig auswandern muss er kaum.
Foto: keystone-sda.ch
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Das steht konkret in der Initiative

Um diese beiden Schlüsselstellen im Initiativtext geht es.

1. «Der Bund und die Kantone erlassen Ausführungsbestimmungen über die Verhinderung von Steuervermeidung, insbesondere in Bezug auf den Wegzug aus der Schweiz (...).»

Im Klartext: Die Juso wollen mit diesem Paragrafen sicherstellen, dass jemand, der seinen Steuersitz in ein anderes Land verlegt, trotzdem zur Kasse gebeten wird.

2. «Bis zum Inkrafttreten der gesetzlichen Ausführungsbestimmungen erlässt der Bundesrat innert drei Jahren nach Annahme [der Initiative] durch Volk und Stände die Ausführungsbestimmungen per Verordnung. Die Ausführungsbestimmungen finden auf Nachlässe und Schenkungen, die nach der Annahme [der Initiative] ausgerichtet werden, rückwirkend Anwendung.»

Im Klartext: Alle Schenkungen und Erbschaften, die nach der Annahme der Initiative, aber vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes erfolgen, werden rückwirkend ebenfalls besteuert.

Nicht rückwirkend aufs Erbe anwendbar

Für Blick analysieren ein Staats- und ein Steuerrechtler die strittigen Punkte im Initiativtext. Markus Schefer (59) ist Professor für Staats- und Verfassungsrecht an der Universität Basel. Für ihn ist klar: «Der Initiativtext ist nicht so formuliert, dass eine Erbschaft rückwirkend belangt werden muss.»

Zwar verlangt die Initiative die «Verhinderung von Steuervermeidung» in Bezug auf den Wegzug aus der Schweiz. Staatsrechtler Schefer dazu: «Das kann sich aber nicht rückwirkend auf das Erbe insgesamt beziehen, solange die Ausführungsbestimmungen zur Initiative nicht in Kraft sind.» Der Initiativtext beschränke die Rückwirkung ausdrücklich auf Situationen, in denen Nachlässe und Schenkungen erfolgen. Solange dies nicht der Fall sei, entfalteten die Massnahmen zur Verhinderung der Steuervermeidung keine Rückwirkung.

Mit anderen Worten: Spuhler & Co. können in Ruhe den Abstimmungssonntag abwarten und bei einem Ja immer noch auswandern, bevor das neue Gesetz in Kraft tritt.

Verletzung verfassungsrechtlicher Grundsätze

Schefers Kollege Luzius Cavelti (46), Professor für Steuerrecht an der Universität Basel, ist eine Spur zurückhaltender. Der Initiativtext sei nicht ganz klar, es bleibe eine Rechtsunsicherheit. Aber Cavelti betont: «Dem Bundesrat bleibt bei der Gestaltung der Ausführungsbestimmungen ein Spielraum.»

Aufhorchen lässt eine weitere Aussage des Rechtsprofessors. «Aus juristischer Sicht erachte ich die Juso-Initiative als verfassungswidrig», sagt Cavelti. «Sie pickt eine kleine Gruppe von Betroffenen heraus, und nur diese kleine Gruppe soll besteuert werden. Das widerspricht dem verfassungsrechtlichen Grundsatz der Allgemeinheit der Besteuerung.» Reiche Personen via Progression überdurchschnittlich zu besteuern, sei zulässig, aber eine Besteuerung, die nur eine kleine Gruppe betreffe, führe zu einer steuerrechtlich unzulässigen Ungleichbehandlung.

Allerdings betont Professor Cavelti: «In der Schweiz ist es Usus, solche strittigen Punkte politisch auszufechten und nicht rechtlich zu entscheiden.» Cavelti verweist auf das Bundesgericht, das verschiedentlich eine Verletzung der verfassungsrechtlichen Grundsätze festgestellt habe, ohne aber direkt in politisch getroffene Entscheidung einzugreifen.

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