Das letzte Duell der Schwergewichte
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SVP-Rösti und SP-Levrat:Das letzte Duell der Schwergewichte

Die abtretenden Präsidenten von SP und SVP im BLICK-Streitgespräch
«Levrat hat mich nur ein einziges Mal genervt»

SVP-Chef Albert Rösti und SP-Boss Christian Levrat verlassen den Kommandoposten ihrer Partei. Im BLICK-Interview erzählen sie, was sie aneinander nervt, wer am Abstimmungssonntag mehr zu feiern hat und welche Bundesratspläne sie hegen.
Publiziert: 18.08.2020 um 23:18 Uhr
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Aktualisiert: 04.09.2020 um 19:26 Uhr
Interview: Ruedi Studer und Noa Dibbasey; Fotos: Philippe Rossier

Sie sind die Chefs der beiden grössten Schweizer Parteien: SVP-Präsident Albert Rösti (53) und SP-Boss Christian Levrat (50). Jetzt geben beide den Kommandoposten ab. Rösti bereits am kommenden Samstag, Levrat Mitte Oktober. BLICK trifft die beiden Kontrahenten unweit des Bundeshauses im Berner Marzili-Quartier zum Mittagessen. Im gemütlichen Garten des Restaurants Marzili-Brücke liefern sie sich ein letztes Duell. Ohne unnötige Härte, dafür mit spürbarem Schalk.

BLICK: Das Marzili ist ein beliebter Treffpunkt der Berner. Haben Sie hier auch schon einen Aareschwumm gewagt?
Christian Levrat: Nein, als Freiburger gehe ich in Freiburg schwimmen. Wenn ich hier bin, habe ich keine Zeit für einen Abstecher ins Marzili. Aber ich habe es meinen Kindern empfohlen.

Im Bundeshaus wird erzählt, dass Sie hier mit einer «jungen Blondine» gesichtet wurden, Herr Rösti.
Albert Rösti: (Lacht) Die «junge Blondine» war meine Frau. Sie ist fast gleich alt wie ich und hat sich sehr über das Kompliment gefreut. Aber auch mir reicht die Zeit meistens nicht.

Es war eines der letzten Male, dass Christian Levrat (SP) und Albert Rösti (SVP) als Präsidenten ihrer Partei aufeinandertrafen.
Foto: Philippe Rossier
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Wo trifft man Sie beide sonst gemeinsam an, ausser im Bundeshaus?
Levrat: Auf Podien – gefühlt tausend Mal. Als Toni Brunner noch SVP-Präsident war, sagte meine Frau: «Du siehst Brunner öfters als mich.» Mit Rösti ist es dasselbe.
Rösti: Zumindest im Wahljahr. Aber die Freizeit verbringen wird nicht zusammen.

Das Gespräch wird kurz unterbrochen, der Kellner nimmt die Bestellung auf. Eine Pizza Quattro Stagioni für Levrat, das Tagesmenü mit Schnitzel und Bratkartoffeln für Rösti. «Aber ohne Gemüse!», sagt der SVP-Präsident. Was bei Levrat ein herzliches Lachen auslöst.

Levrat: Ohne Gemüse! Da kommt mir in den Sinn, wie Rösti für eine welsche Sendung eine rohe Karotte knabberte. Jeder Präsident erhielt damals etwas serviert, das er nicht mag. Bei mir waren es Meeresfrüchte – nicht, dass ich die nicht mag, ich bin schlicht allergisch.
Rösti: Ich habe wirklich ins rohe Rüebli gebissen. Das Problem danach: Statt über meine politischen Inhalte hat die ganze Westschweiz nur darüber gesprochen, dass ich kein Gemüse esse.

Welche Anekdote bleibt Ihnen sonst noch in Erinnerung?
Levrat: Beide kennen den Wahlkampf-Duktus des andern auswendig. Ich hätte im Wahlkampf gerne mal für eine Viertelstunde die Rollen getauscht: Ich verkünde in einer Sendung SVP-Botschaften und Rösti SP-Inhalte. Das wäre phänomenal gewesen. Das haben wir zu meinem Bedauern nie umgesetzt.
Rösti: Die Zuschauer hätten dies wohl nicht so lustig gefunden. Aber zugegeben, ich hätte das Gesicht des Moderators auch gerne gesehen.

Christian Levrat: Zurück zur Gewerkschaft

Zurück zu den Gewerkschaftswurzeln heisst es für Christian Levrat (50). Er will Präsident der Zollpersonal-Gewerkschaft Garanto werden. Bevor er 2008 SP-Chef wurde, arbeitete er jahrelang für die Gewerkschaft Kommunikation – als Zentralsekretär und Präsident. Als Freiburger Ständerat präsidiert er derzeit zudem die gewichtige Wirtschaftskommission (WAK), in welcher er sich stark in der Landwirtschaftspolitik engagieren will – steht doch die nächste Agrarreform bevor. Levrat ist verheiratet und Vater dreier Kinder.

Christian Levrat übernahm 2008 den SP-Chefposten.
Philippe Rossier

Zurück zu den Gewerkschaftswurzeln heisst es für Christian Levrat (50). Er will Präsident der Zollpersonal-Gewerkschaft Garanto werden. Bevor er 2008 SP-Chef wurde, arbeitete er jahrelang für die Gewerkschaft Kommunikation – als Zentralsekretär und Präsident. Als Freiburger Ständerat präsidiert er derzeit zudem die gewichtige Wirtschaftskommission (WAK), in welcher er sich stark in der Landwirtschaftspolitik engagieren will – steht doch die nächste Agrarreform bevor. Levrat ist verheiratet und Vater dreier Kinder.

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Sie politisieren schon jahrelang mit- und gegeneinander. Herr Levrat, was nervt Sie an Rösti am meisten?
Levrat: An seiner Person nichts. Nur seine Politik. Das Schöne an der Schweizer Politik ist doch, dass man hart in der Sache streiten kann, ohne dass dies auf die persönliche Ebene überschwappt.

Und umgekehrt?
Rösti: Gilt dasselbe. Einmal habe ich mich aber wirklich über ihn genervt. In einer «Arena»-Sendung sagte er: «Rösti schweigt jetzt!» Das hat mich geärgert. Und ich habe nicht geschwiegen!

Als Chefs der Polparteien stehen Sie meist in gegnerischen Lagern. Gab es auch mal einen Deal hinter den Kulissen, wo Sie sich gefunden haben?
Levrat: Selten, aber jüngst etwa bei der Verwendung der Nationalbank-Überschüsse für die AHV. Das Problem in diesem Fall ist, dass SP und SVP im Ständerat zusammen keine Mehrheit haben. Für eine mehrheitsfähige Lösung braucht es deshalb noch mehr Partner.
Rösti: Man sucht dort Mehrheiten, wo es gemeinsame Interessen gibt. Das ist selbst mit der SP mal der Fall. Es gibt für mich weder heilige noch unheilige Allianzen.

Am 27. September kommen fünf Vorlagen vors Volk, bei jeder steht SVP gegen SP. Wer wird am Abstimmungssonntag das breitere Lachen im Gesicht haben?
Levrat:(Mit einem breiten Grinsen) Ich!
Rösti: Fühl dich da bloss nicht zu sicher!
Levrat: Wir werden alle fünf Vorlagen gewinnen! Wobei wir bei den Kinderabzügen, dem Steuerbonus für die Reichen, noch den grössten Effort leisten müssen.

Die SP hat da das Referendum ergriffen und steuert auf eine Niederlage zu.
Levrat: Wir müssen der Bevölkerung aufzeigen, dass nur die reichsten Familien profitieren. Das sind gerade mal 6 Prozent aller Haushalte – und der Mittelstand geht leer aus. Wenn die Leute diese ungerechte Mogelpackung durchschauen, werden sie Nein stimmen.

Auch für die Begrenzungs-Initiative der SVP sind die Prognosen düster.
Rösti: Am 27. September geht es darum, ob die Schweiz Schweiz bleibt mit ihren Werten wie Freiheit und Sicherheit. Unsere Initiative und die neuen Kampfjets sind die zwei zentralen Vorlagen – und die werden wir gewinnen.

Sie kämpfen mit viel Zweckoptimismus für Ihre Initiative.
Rösti: In den letzten 13 Jahren sind über eine Millionen Zuwanderer in die Schweiz gekommen. Viele Einheimische haben Angst um ihren Arbeitsplatz und ihre Existenz. Die Infrastruktur ist am Anschlag, wir verbauen riesige Flächen, und die ökologischen Probleme nehmen zu. Das sieht auch die Bevölkerung.

Bei den Kampfjets zeichnet sich ein knapper Ausgang ab. Weil die Bevölkerung andere Bedrohungen wie Cyberattacken als realistischer erachtet als einen Luftkrieg?
Rösti: Gerade die Corona-Krise zeigt, dass man gegen existenzbedrohende Risiken vorsorgen muss – auch, wenn sie heute wenig wahrscheinlich erscheinen.
Levrat: Die Bürgerlichen betreiben Flugzeug-Fetischismus. Sie wollen unbedingt ein Spielzeug für die Militärs. Kampfjets helfen weder gegen Cyberattacken noch Klimawandel oder Covid-Krise. Wir brauchen nur Flugzeuge für die Luftpolizei statt die Verteidigung.
Rösti: Dafür schlägt die SP Flugzeuge vor, die zu wenig schnell sind und zu wenig hoch fliegen, um den Luftpolizeieinsatz sicherzustellen. Der untaugliche Vorschlag der SP kommt tatsächlich einem Spielzeug gleich!
Levrat: Vor sechs Jahren hat das Stimmvolk Nein zu 3 Milliarden Franken für neue Flieger gesagt. Jetzt wollt ihr das Doppelte ausgeben! Dabei ist das Armeebudget in den letzten Jahren stark gestiegen.
Rösti: Zuvor ist es lange viel zu stark gesunken! Wir geben mit nun 5 Milliarden Franken jährlich anteilmässig am Bruttoinlandprodukt immer noch viel weniger aus als die meisten Staaten weltweit.

Wir sehen, Sie führen den Abstimmungskampf hart wie vor Corona-Zeiten. Apropos Corona, wie beurteilen Sie das Krisenmanagement von SP-Gesundheitsminister Alain Berset, Herr Rösti?
Rösti: Zu Beginn hat er zusammen mit dem Gesamtbundesrat gute Arbeit geleistet. Die Massnahmen haben gewirkt. Doch bei der Masken-Frage hat er völlig falsch kommuniziert, im BAG gab es Pannen und Peinlichkeiten. Die schrittweisen Lockerungen hätten zudem früher kommen müssen – da haben wir für die Wirtschaft drei Wochen verloren.

Kommt die Öffnung für Grossveranstaltungen ab Oktober auch zu spät?
Rösti: Dass man in diesem Bereich länger zuwartete, ist nachvollziehbar, aber jetzt brauchen sie dringend eine Perspektive.

Die SVP-Bundesräte hätten hier früher öffnen wollen. Wie beurteilen Sie das Vorgehen, Herr Levrat?
Levrat: Insgesamt hat der Bundesrat gute Arbeit geleistet, auch wenn der eine oder andere Fehler passiert ist. Wir haben den Spagat zwischen Gesundheitsschutz und Wirtschaftslockerung besser geschafft als andere Länder. Und ich bin froh, dass die 1000er-Regel noch um einen Monat verlängert wurde.

Albert Rösti: Als Berater durchstarten

Der studierte Agronom Albert Rösti (53) war früher Direktor der Schweizer Milchproduzenten und Präsident des Landwirtschaftlichen Informationsdienstes. Das kommt ihm zugute, denn künftig will er sich wieder stärker auf sein Beratungsbüro konzentrieren – gerade auch im Agrarbereich. Den 2016 übernommenen SVP-Chefposten gibt er nun ab, er bleibt aber Berner Nationalrat. In der gewichtigen Sozial- und Gesundheitskommission winkt ihm nächstes Jahr das Präsidium. Rösti ist verheiratet und Vater zweier Kinder.

Albert Rösti führte die SVP vier Jahre lang.
Philippe Rossier

Der studierte Agronom Albert Rösti (53) war früher Direktor der Schweizer Milchproduzenten und Präsident des Landwirtschaftlichen Informationsdienstes. Das kommt ihm zugute, denn künftig will er sich wieder stärker auf sein Beratungsbüro konzentrieren – gerade auch im Agrarbereich. Den 2016 übernommenen SVP-Chefposten gibt er nun ab, er bleibt aber Berner Nationalrat. In der gewichtigen Sozial- und Gesundheitskommission winkt ihm nächstes Jahr das Präsidium. Rösti ist verheiratet und Vater zweier Kinder.

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Sie beide verlassen den Kommandoposten Ihrer Partei. Was auffällt: Die Nachfolge steht bei beiden praktisch fest. Weshalb empfiehlt die SVP-Spitze nur Marco Chiesa zu Wahl?
Rösti: Die Findungskommission hat sehr viele Kandidaten evaluiert und jetzt eine gute Lösung vorgeschlagen. Wenn es einen Riesenkampf um zwei Kandidaten gibt, ist die Gefahr gross, dass es eine mittlere Zufriedenheit oder gar eine Spaltung gibt. Aber natürlich steht es jedem offen, an der Delegiertenversammlung zu kandidieren.

Warum will fast niemand mehr Parteichef werden?
Levrat: Das Amt wird oft als Bürde gesehen und als zu wenig attraktiv beurteilt, sodass sich schlussendlich wenige trauen. Ich persönlich empfand es als unglaubliches Privileg, immer an den Orten dabei zu sein, wo die Entscheide für das Land gefällt werden. Ich habe es an keinem Tag bereut. Ich freue mich, dass nun ein starkes Duo bereitsteht. Ein Wechsel ist nötig und tut der Partei gut.
Rösti: Es ist eine der interessantesten politischen Funktionen, die man in diesem Land haben kann. Entscheidend ist aber, dass es familiär und beruflich passt und dass man es zeitlich einrichten kann.

Die SVP wird künftig von einem Tessiner geführt. Fürchten Sie, dass die SVP in der lateinischen Schweiz nun wieder zulegt, Herr Levrat?
Levrat: Wenn der Präsident für den Erfolg reichen würde, wüssten Albert und ich das. (lacht) Dass ein Lateiner nicht reicht, um in der Romandie zu punkten, sehen wir ja bei Bundesrat Guy Parmelin. Trotz seiner Wahl folgte eine Reihe von Krisen in der Westschweizer SVP.

Was erwarten Sie vom neuen SP-Duo mit Mattea Meyer und Cédric Wermuth, Herr Rösti?
Rösti: Die beiden verorte ich ganz am linken Rand. Sie werden daher extremere Positionen vertreten als Levrat. Unsere vernünftige Haltung für eine freie und sichere Schweiz kommt so aber noch besser zur Geltung.
Levrat: Aus Sicht der Rechten ist immer der jetzige SP-Präsident der Schlimmstmögliche. Der Vorherige war noch vernünftig und der Vor-Vorgänger noch ein richtiger Sozialdemokrat.

Aus linker Sicht sind dafür die SVP-Präsidenten immer unvernünftig?
Levrat: Nein, die SVP-Politik wird in Herrliberg gemacht. Der Unvernünftige sitzt dort.
Rösti: Das ist ein altes Standardklischee. Das kommentiere ich nicht.

Geben Sie Ihren Nachfolgern einen Ratschlag mit auf den Weg?
Levrat: Ratschläge brauchen sie nicht. Auf der persönlichen Ebene rate ich: Habt Spass am Amt!
Rösti: Ratschläge sind Totschläge. Chiesa ist ein Glücksfall für die SVP. Wenn ich ihm etwas sage, dann vielleicht, dass er sich nicht zu stark vom Tagesgeschäft leiten und steuern lassen, sondern die grossen Linien im Auge behalten sollte.

Ihre Präsidialzeit geht zu Ende. Werden Sie das Rampenlicht vermissen?
Levrat: Nein. Das ist das Harte an diesem Job: Man ist ständig exponiert.
Rösti: Ich spüre eine gewisse Erleichterung. Ich freue mich darauf, mich wieder auf einzelne Dossiers konzentrieren zu können statt x Geschäfte parallel bearbeiten zu müssen.

Sie bleiben beide im Parlament, haben Sie aber noch weitere Pläne?
Levrat: Ich sollte als Präsident der Zollgewerkschaft Garanto gewählt werden. Innerhalb der Zolldirektion stehen aufgrund der Digitalisierung starke Veränderungen mit neuen Berufsbildern an. Da helfe ich gerne mit, dass die Arbeitnehmerrechte eingehalten werden. Diese können nämlich bei solchen Veränderungen brutal unter die Räder kommen, das hat man schon bei der Post gesehen.
Rösti: Ich werde mein Beratungsbüro für Wirtschaft und Politik ausbauen und bleibe weiterhin Gemeindepräsident in Uetendorf, eine 40-Prozent-Stelle.
Levrat: Und spätestens, wenn Ueli Maurer als Bundesrat zurücktritt, werden wir nochmals über Albert Rösti sprechen.

Herr Rösti, Sie schweigen ... Das ist kein Nein zu einer Bundesratskandidatur.
Levrat: Das ist die einzig erwartbare Antwort eines Politikers.
Rösti: Dann kann ich ja Gegenrecht halten: Simonetta Sommaruga ist die Amtsälteste nach Ueli.

Als Welscher müsste Levrat auf Berset folgen. Dann führen wir das nächste gemeinsame Interview mit Ihnen als Bundesräte?
Levrat: Berset ist in einer Top-Form, von daher ...

Auch kein Nein.
Rösti: Es wird wohl nie so viel gelogen wie bei Bundesratswahlen. Und was auch immer man sagt, glauben tut es deshalb trotzdem niemand.

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