Viele Missstände gemeldet
Neue Sport-Meldestelle wird überrannt

Seit Anfang Jahr ist die neue Meldestelle für Missbrauchsopfer im Schweizer Sport an der Arbeit. Nun will der Bundesrat auch die Möglichkeit schaffen, bei Vorkommnissen Subventionen kürzen zu können. Das Problem scheint grösser zu sein als gedacht.
Publiziert: 24.02.2022 um 07:44 Uhr
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Aktualisiert: 24.02.2022 um 18:47 Uhr

Es ist ein Fall von vielen. Vor wenigen Tagen hat fast das gesamte Team der 1.-Liga-Frauen des FC Affoltern am Albis ZH seinen sofortigen Rücktritt bekannt gegeben. Ihr Trainer soll sie wiederholt verbal belästigt haben, was dieser bestreitet. Der Vereinsvorstand sei über die Vorkommnisse zwar informiert gewesen, habe die Spielerinnen aber «einfach belächelt».

Der Bund will künftig stärker gegen solche Ethikverstösse vorgehen. Auslöser waren die im Herbst 2020 aufgedeckten Missstände im Leistungszentrum des Turnverbands in Magglingen BE. Ehemalige Kaderathletinnen berichteten von Einschüchterungen, Erniedrigungen und Misshandlungen.

Bundesrat will Sportförderung umkrempeln

Das will der Bundesrat rund um Sportministerin Viola Amherd (59) nicht tolerieren. Notfalls sollen deshalb Subventionen gestrichen werden. Dazu will die Regierung die Sportförderung auf neue Beine stellen. Am Mittwoch hat sie die entsprechende Verordnung abgesegnet und in die Vernehmlassung gegeben.

Schon mehrfach sind Missbrauchsfälle im Schweizer Sport bekannt geworden. (Symbolbild)
Foto: Keystone
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Bereits Anfang Jahr hat die neue Meldestelle für Opfer von Missständen ihre Arbeit aufgenommen. Hier können Verstösse gegen das Ethik-Statut angezeigt werden.

Mehr Meldungen als gedacht

Obwohl erst seit kurzem aktiv, soll die unabhängige Meldestelle regelrecht überrannt werden. Offiziell kann das zuständige Bundesamt für Sport (Baspo) keine Zahlen nennen. Aus seinem Umfeld aber ist zu hören, dass es viel mehr Meldungen seien als gedacht. So sei man von einem bis zwei Fälle pro Woche ausgegangen. Tatsächlich aber seien es seit Anfang Jahr schon rund 60 Meldungen. Das Problem im Schweizer Sport scheint grösser zu sein als befürchtet.

Die Konsequenz: Weil der Ansturm derart gross ist, kommt die Meldestelle gar nicht nach mit dem Untersuchen der Meldungen.

Anzahl und Umfang von Meldungen und Verfahren seien mangels Vergleichswerten kaum abzuschätzen, ist auch im erläuternden Bericht des Bundesrats zu lesen. Mit Blick auf eine «vernünftige Kostenpolitik» habe sich die verantwortliche Stiftung Swiss Sport Integrity daher bewusst dazu entschlossen, in einer ersten Phase mit einer minimalen Personaldecke zu arbeiten, ergänzt Baspo-Sprecher Tobias Fankhauser.

Sollte sich aber zeigen, dass die Kapazitäten für die Untersuchung von Verdachtsmeldungen und die Durchführung von Verfahren nicht ausreichen, könnten auch Externe mit gewissen Arbeiten beauftragt werden.

«Meldungen dürfen nicht zwischen Stuhl und Bank fallen»

Grünen-Fraktionschefin Aline Trede (38) ist mit diesem Vorgehen nicht zufrieden. «Das Bedürfnis ist offensichtlich. Will man es ernst nehmen, muss man auch genügend Ressourcen zur Verfügung stellen», sagt die Sportpolitikerin. «Manche Sportlerinnen und Sportler haben jahrelang gelitten.» Nun gebe es endlich eine Stelle, an die sie sich wenden können. «Da darf nicht die Gefahr bestehen, dass die Meldungen dann zwischen Stuhl und Bank fallen.»

Mit der neuen Verordnung soll der Bund künftig über die geeigneten Instrumente verfügen, um bei entsprechenden Vorkommnissen die erforderlichen Sanktionsmassnahmen durchsetzen zu können. Mit den neuen Vorgaben müssen Sportorganisationen, die Subventionen beziehen, die Ethikvorgaben einhalten und umsetzen.

Kulturwandel im Schweizer Sport angestrebt

Bei den Verhaltenspflichten handelt es sich etwa um den Schutz vor Gewalt, Ausbeutung und sexuellem Missbrauch, Diskriminierung sowie Überforderung oder anderen psychischen Persönlichkeitsverletzungen wie Drohung, Demütigung, Belästigung oder Mobbing.

Zudem sollen ab 2023 auch Vorgaben zur guten Verwaltungsführung von Sportorganisationen in der Sportförderungsverordnung festgehalten werden. Dabei geht es um Bereiche wie Transparenz in Finanzfragen oder den Umgang mit Interessenkonflikten.

Auch eine ausgewogene Geschlechterverteilung in Leitungsgremien wird gefordert. Konkret müssen in mehrköpfigen Organen beide Geschlechter mit mindestens 40 Prozent der Sitze vertreten sein. Wenn es nur drei Mitglieder sind, muss mindestens eine Frau darunter sein. Auch sonst können Gelder gekürzt werden.

Der Magglingen-Skandal reichte nicht nur bis ins Bundeshaus, sondern hat auch den Schweizer Turnverband heftig durchgeschüttelt. Geschäftsführer Ruedi Hediger (64) trat in der Folge zurück, auf ihn folgte Béatrice Wertli (46), die den Verband nun seit einem Jahr als Direktorin leitet. (dba)

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