«Wenn wir fallen, fallt ihr auch»
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Klitschko am WEF:«Wenn wir fallen, fallt ihr auch»

Wladimir Klitschko im grossen Blick-Interview
«Wenn die Schweiz passiv steht, ist Blut an ihren Händen»

Er war einst Boxweltmeister – heute kämpft er für seine Heimat, die Ukraine: Wladimir Klitschko ist am Sonntag für das WEF in Davos angekommen. Im Blick-Interview sagt er, was er sich von dem Besuch in der Schweiz erhofft. Und hat klare Erwartungen an die Schweiz.
Publiziert: 23.05.2022 um 06:49 Uhr
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Aktualisiert: 23.05.2022 um 09:10 Uhr
Interview: Lea Hartmann

Aus dem Krieg in die Bündner Berge: Der Kontrast könnte für Wladimir Klitschko (46) nicht grösser sein. Der Ukrainer, bekannt geworden durch seine Boxkarriere, ist einer der Stargäste am Weltwirtschaftsforum (WEF) in Davos GR, das heute losgeht. Am Sonntagnachmittag landete er mit dem Helikopter in Davos – kurz bevor auch sein Bruder Vitali (50) am WEF ankam. Auch der ukrainische Aussenminister Dmytro Kuleba (41) gehört zur hochrangigen ukrainischen Delegation, die sich aus Kiew in Richtung Davos aufgemacht hat.

Blick hat Klitschko gleich nach seiner Ankunft zum Interview getroffen. Im schwarzen Anzug, den obligaten WEF-Badge um den Hals, eilt er zum vereinbarten Treffpunkt vor dem abgeriegelten Hotel, in dem er logiert. Er kommt allein – jedenfalls fast. Im Hintergrund hält sich während des Gesprächs diskret ein Bodyguard auf. Der ehemalige Schwergewichtschampion wirkt während des Gesprächs sehr konzentriert, man merkt: Er weiss genau, was er sagen will. Klitschkos Blick ist eindringlich. Und seine Worte sind es ebenso.

Blick: Herr Klitschko, Sie sind ein Kämpfer. Wie gross ist Ihr Kampfgeist noch nach drei Monaten Krieg?
Wladimir Klitschko: Für einen Kämpfer ist nicht nur der Kampfgeist wichtig, sondern auch die Willenskraft. Und der Wille ist gross, nicht nur bei mir, sondern in der ganzen Ukraine. Auch wir haben nicht erwartet, dass Russland uns angreift und wir in diesen sinnlosen Krieg hineingezogen werden.

Wladimir Klitschko ist am Sonntag in Davos angekommen.
Foto: Philippe Rossier
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Sie haben kein politisches Amt – in welcher Funktion sind Sie eigentlich unterwegs?
Ich würde sagen: als Aktivist. Mit meinem sportlichen Hintergrund habe ich das Privileg, dass ich erkannt werde und man mir zuhört. Vergangenen Monat bin ich beispielsweise nach Deutschland gereist, wo ich Bundeskanzler Olaf Scholz getroffen habe, um mit ihm über Waffenlieferungen und ein Gas-, Kohle- und Ölembargo zu sprechen. Ich tue einfach das, was ich für mein Land tun kann. Damit dieser Krieg gestoppt wird.

Was wollen Sie mit Ihrem Besuch am WEF erreichen?
Wir sind mittlerweile drei Monate im Krieg und wir brauchen nach wie vor Unterstützung. Es allein zu schaffen, wird ganz schwierig. Wir müssen gemeinsam in einer Front gegen diesen sinnlosen Krieg stehen. Denn: Wenn wir fallen, fallt ihr auch. In Davos sind nicht nur Vertreter der Wirtschaft, sondern auch viele Regierungsführer. Es ist ganz wichtig, sie zu überzeugen, die Ukraine zu unterstützen. Finanziell, humanitär und militärisch.

Weltmeister mit Doktortitel

Wladimir Klitschko (46) ist einer der prominentesten Ukrainer und gilt als einer der erfolgreichsten Boxer aller Zeiten. 2017 hängte der zweifache Weltmeister im Schwergewicht – Kampfname «Dr. Steelhammer» – seine Sportkarriere an den Nagel. Klitschko hat einen Doktor in Sportwissenschaften. Heute ist der Multimillionär Unternehmer und leitet einen eigenen Management-Studiengang an der Uni St. Gallen. Er ist Vater einer Tochter (7) und lebte mehrere Jahre in Deutschland. Seit Kriegsausbruch setzt Klitschko sich an der Seite seines älteren Bruders Vitali, ebenfalls ehemaliger Box-Champion und seit 2014 Bürgermeister von Kiew, für internationale Hilfe ein.

Wladimir Klitschko (46) ist einer der prominentesten Ukrainer und gilt als einer der erfolgreichsten Boxer aller Zeiten. 2017 hängte der zweifache Weltmeister im Schwergewicht – Kampfname «Dr. Steelhammer» – seine Sportkarriere an den Nagel. Klitschko hat einen Doktor in Sportwissenschaften. Heute ist der Multimillionär Unternehmer und leitet einen eigenen Management-Studiengang an der Uni St. Gallen. Er ist Vater einer Tochter (7) und lebte mehrere Jahre in Deutschland. Seit Kriegsausbruch setzt Klitschko sich an der Seite seines älteren Bruders Vitali, ebenfalls ehemaliger Box-Champion und seit 2014 Bürgermeister von Kiew, für internationale Hilfe ein.

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Sie forderten den Westen in den vergangenen Monaten mehrfach eindringlich auf, Waffen in die Ukraine zu liefern. Bekommt die Ukraine in dieser Hinsicht aus Ihrer Sicht noch immer nicht genügend Unterstützung?
Solange dieser Krieg herrscht, ist es nicht genug. Über 2000 Raketen haben schon auf ukrainischem Boden eingeschlagen. Abertausende Zivilisten sind ermordet worden. Infrastruktur ist zerstört worden. Es ist Terror, was Russland in der Ukraine macht.

Wie kann und soll die Schweiz die Ukraine unterstützen?
Es ist ganz wichtig, dass die Schweiz nicht einfach passiv an der Seitenlinie steht. Wenn sie passiv danebensteht und beobachtet, hat sie auch Blut an ihren Händen. Russland muss wirtschaftlich und auf jede andere Art und Weise isoliert werden. Jeder Handel mit Russland bedeutet, dass Russland mehr Geld bekommt, um den Krieg zu finanzieren. Waffen, die uns Ukrainer heute töten. Deshalb ist es wichtig, laut zu sein gegen diesen Krieg.

Die Schweiz ist eine Drehscheibe für russisches Gas und Öl. Sie finden also, wir müssten dem einen Riegel schieben?
Die Welt muss gegenüber Russland zeigen: Wir sind gegen diesen Krieg. Was Öl und Gas betrifft, braucht es ein Embargo. Über weitere Massnahmen muss man sprechen – und genau das wird am WEF geschehen. Aber lassen Sie mich eins ergänzen ...

Ja?
Ich habe realisiert: Die schlimmste Waffe sind die Medien. Ihre Kollegen, die nicht wie Sie Fakten, sondern Lügen verbreiten. Wenn ich heute in der Schweiz den Fernseher einschalte und russische Sender schaue, höre ich, dass alle Ukrainer Nazis und Faschisten seien. Dass die Ukraine ein Fehler der Geschichte sei – und Russland diese Geschichte umschreiben werde. Das höre ich hier im Fernsehen!

Die Schweiz sollte also russische Staatsmedien verbieten?
Absolut, weil dort läuft die Propaganda. Die Gehirnwäsche findet auch hier in der Schweiz statt.

In der Schweiz haben bisher über 50'000 Ukrainerinnen und Ukrainer Zuflucht gesucht. Doch nun fordert die grösste Schweizer Partei, die SVP, dass nur noch Ukrainer aus dem Osten des Landes in der Schweiz Schutz erhalten sollen. Was sagen Sie dazu?
Menschen haben ihre Verwandten, ihre Kinder, ihr Zuhause verloren. Menschen sind verletzt worden und brauchen Hilfe. Ich möchte mich einfach bei der Schweiz bedanken, dass sie unsere Flüchtlinge aufgenommen hat. Glauben Sie mir: So schön es in der Schweiz auch ist: Jeder will irgendwann nach Hause zurückkehren. Doch im Moment ist das nicht möglich, weil sie kein Zuhause mehr haben. Es wurde dem Erdboden gleichgemacht.

Es heisst, dass Sie auf Putins Todesliste stehen würden. Haben Sie Angst?
Es spielt keine Rolle, ob du auf der Todesliste stehst oder nicht. Niemand, der für Freiheit und demokratische Prinzipien einsteht und in der Ukraine ist, kann sich sicher sein, den nächsten Tag zu überleben. Es gibt kein sicheres Leben mehr in der Ukraine. Ich war in Butscha, nachdem die russischen Streitkräfte die kleine Stadt verlassen haben. Ich habe mehrere junge Menschen gesehen, mit auf dem Rücken gebundenen Händen, auf Knien, die per Kopfschuss getötet wurden. Ich habe ein Fahrzeug gesehen, auf dem «Kinder» stand – es ist von einem Panzer platt gedrückt worden. Man sah noch die sterblichen Überreste im Fahrzeug. Diese gequälten und ermordeten Menschen lagen wahrscheinlich zehn Tage auf der Strasse. Diese Bilder, diesen Geruch, das werde ich nie vergessen. Hier in der Schweiz, im Rest Europas, ist es schwer vorstellbar, was in der Ukraine gerade passiert. Doch es ist Realität. Und laut der Propaganda Russlands ist das nur der Anfang.

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