«Danke, liebe Schweiz, dass du nicht gleichgültig geblieben bist»
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Selenskis Rede im Parlament:«Danke, liebe Schweiz, dass du nicht gleichgültig geblieben bist»

Wolodimir Selenski umschmeichelt das Parlament
«Vielen Dank, liebe Schweiz!»

Der ukrainische Präsident Wolodmir Selenski verzichtete bei seinem Video-Auftritt im Parlament auf klare Forderungen und trat als Bittsteller auf.
Publiziert: 15.06.2023 um 18:23 Uhr
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Aktualisiert: 15.06.2023 um 21:30 Uhr
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Ruedi StuderBundeshaus-Redaktor

Die Ukraine ist im Krieg. Seit dem 24. Februar 2022 verteidigt sich das Land gegen den brutalen Überfall durch Russland. Für die Ukraine geht es ums Überleben als souveräner Staat. Ohne westliche Hilfe – finanziell, materiell und humanitär – wäre das Land dem russischen Aggressor ausgeliefert.

Kein Wunder also, nutzt der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski (45) jede Möglichkeit, bei Regierungen und Parlamenten um Solidarität und Unterstützung zu bitten. Das tat er auch am Donnerstag vor den eidgenössischen Räten.

Selenski schafft Nähe

Dabei bedient sich Selenski eines Musters, das seine Reden prägt. Eindrücklich zeichnet er zunächst die Leiden des ukrainischen Volks nach. Er spricht von Kindern, die sich vor Raketenangriffen in Schutzbunkern verstecken müssen. Vor verängstigten Menschen, die in Frieden leben wollen. Und von den russischen Angreifern, die es gemeinsam zu bekämpfen gilt.

Der ukrainische Präsident Wolodimir Selenski spricht via Videoschaltung zum Parlament.
Foto: keystone-sda.ch
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Dann geht er auf Gemeinsamkeiten ein, welche die Ukraine und die jeweiligen Länder verbinden. Das Streben nach Frieden, Freiheit, Unabhängigkeit beispielsweise. Gemeinsame Grundwerte. Damit schafft Selenski Nähe – und ja, er sorgt damit auch für Sympathiepunkte. Selenski weiss, dass er damit für Identifikation sorgt. Eure Werte sind unsere Werte, unser Kampf ist euer Kampf.

Selenski schmeichelt der Volksseele

Und er weiss gekonnt, auf die Besonderheiten seiner Adressaten einzugehen. Die Schweiz als Land der Guten Dienste. Eine Tradition, auf die Parlament und Bevölkerung besonders stolz sind. Eine Karte, die Selenski bewusst spielt: Die Schweiz solle einen globalen Friedensgipfel durchführen. Ein Anlass, bei welchem die Schweiz ihre nationale Expertise am besten einsetzen könne. Das schmeichelt der schweizerischen Volksseele! Selbst den SVP-Parlamentariern, die den Selenski-Auftritt boykottieren, wird da doch warm ums Herz.

Selenski betont auch immer wieder den Zusammenhalt, den es nun brauche. Ein Zauberwort für die Willensnation Schweiz, in der der nationale Zusammenhalt immer wieder beschworen wird.

Zurückhaltung bei Waffen-Frage

Auffallend zurückhaltend zeigt sich der ukrainische Präsident hingegen, was direkte Forderungen angeht. Er tönt zwar die Diskussion um indirekte Waffenlieferungen an, die das Parlament derzeit führt. Und er lässt durchblicken, dass er auf ein Einlenken der Schweiz hofft. Doch er formuliert seine Erwartung nicht als spitze Forderung, sondern als sanfte Bitte. «Wir bitten um Waffenlieferungen, damit der ukrainische Boden wieder zum Territorium des Friedens werden kann», so sein Appell.

«Es treibt einem jedes Mal fast die Tränen in die Augen»
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Und immer wieder: Dank. Dank ans Parlament. Dank an die Schweiz. Dank an die Bevölkerung. Dafür, dass die Schweiz die EU-Sanktionen mitträgt. Dafür, dass die Schweiz dem Leiden des ukrainischen Volkes gegenüber nicht gleichgültig geblieben ist.

Eindringlich, aber nüchtern

Es ist nicht das erste Mal, dass sich Selenski an die Schweizer Bevölkerung richtet. Schon im März 2022 schaltete er sich während einer Friedenskundgebung auf dem Bundesplatz per Video zu. Damals attackierte er die Schweizer Banken, «die das Geld all derer aufbewahren, die diesen Krieg losgetreten haben». Er giftelte gegen Schweizer Unternehmen, welche Russland nicht verlassen mochten. Und rief die Schweiz auf zum «Kampf gegen das Böse».

Diesmal ist Selenskis Rede zwar eindringlich, aber deutlich nüchterner als vor einem Jahr, als das Überleben der Ukraine wenige Wochen nach Kriegsbeginn noch keineswegs gesichert war. Nun tönt Selenski zuversichtlicher. Fast schon siegesgewiss.

Meinungen sind längst gemacht

Unmittelbare Auswirkungen auf die politischen Entscheide hierzulande wird Selenskis Rede kaum haben. Was die Ukraine von der Schweiz erhofft und erwartet, ist den Parlamentariern nach über einem Jahr Krieg längst klar. Die Meinungen, wo und warum man die Ukraine unterstützen will – oder eben nicht –, sind längst gemacht.

Selenskis Rede hat viel mehr einen psychologischen Aspekt. Es geht darum, den Durchhaltewillen zu stärken. Den Kampf der Ukraine immer und immer wieder in Erinnerung zu rufen, damit die westliche Unterstützung und Solidarität nicht versiegt. So ist Selenskis Rede vor allem eines: Mutmacher für die Ukraine-Unterstützer.

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