Energieversorgung am Anschlag
Dieses Mini-Amt soll die Schweiz retten

Der Schweiz droht eine Mangellage. Das Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung rückt ins Zentrum des Sturms. Doch dafür ist es denkbar schlecht gerüstet.
Publiziert: 28.08.2022 um 00:23 Uhr
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Aktualisiert: 28.08.2022 um 10:06 Uhr
Danny Schlumpf

Die weltweite Energiekrise verschärft sich. Jetzt droht auch den Eidgenossen der Extremfall. «Das Land muss sich auf eine Mangellage vorbereiten», warnte Bundesrätin Simonetta Sommaruga (62) am Mittwoch bei einer Pressekonferenz mit Kollege Guy Parmelin (62). Der schlug allerdings an- dere Töne an. Parmelin forderte: «Wir müssen eine Mangellage verhindern.»

Mit anderen Worten: Die Energieministerin rechnet mit dem Ernstfall, der Wirtschaftsminister hofft immer noch, dass dieser nicht eintritt. Das ist bezeichnend. Seit Monaten schiebt Parmelin die Krisenvorbereitung auf die lange Bank. Doch wenn die Mangellage kommt, steht er in der Verantwortung.

Nun hat der Wirtschaftsminister einen Massnahmenkatalog für den Fall eines Gasmangels angekündigt. Damit rückt Parmelins Bundesamt für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) ins Zentrum des Sturms. Seine Beamten feilen unter Hochdruck an den entsprechenden Verordnungen. Das BWL muss die Schweiz über den Winter retten.

Rückt ins Zentrum des Sturms: Werner Meier, Delegierter für wirtschaftliche Landesversorgung.
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Nur leider ist das Amt dafür denkbar schlecht gerüstet. Das fängt schon bei der Personaldecke an. Zum Vergleich: Das Bundesamt für Gesundheit hat die Pandemie mit 660 Beamten verwaltet, das BWL zieht mit 35 Mitarbeitenden in die Energiekrise. Hinzu kommen 250 Milizleute aus der Wirtschaft. Doch ihre Pensen sind mickrig. Für den Leiter des zentralen Fachbereichs Energie sind 20 Einsatztage im Dienst der Landesversorgung vorgesehen – pro Jahr. Und an der Spitze steht der Delegierte Werner Meier (66), der die Organisation mit einem 40-Prozent-Pensum führt.

«Die Wirtschaft spielt eine zentrale Rolle bei der wirtschaftlichen Landesversorgung», sagt Meier zu SonntagsBlick. «Der Bund unterstützt sie dabei. Die enge Verbindung bleibt auch im Krisenfall bestehen, denn die Wirtschaft setzt die Bewirtschaftungsmassnahmen um.»

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Ein anfälliges System

Eine solche Verzahnung von Wirtschaft und Verwaltung in einem Bundesamt ist einzigartig. Und anfällig für Blockaden, weil am Ende immer ein Dritter entscheidet – der Bundesrat. Jüngstes Beispiel: Das BWL liess sich von den Unternehmen überzeugen, auch die privaten Haushalte zum Sparen zu zwingen, doch Parmelin kam damit bei den anderen Bundesräten nicht durch. Sie führen rechtliche Hürden ins Feld. Vielleicht denken sie aber auch an die Wahlen im nächsten Jahr, denn kalte Stuben sorgen für frostige Stimmung an der Urne.

Die Ressourcen des BWL sind bescheiden, doch sein Einfluss ist massiv. «Das Amt hat grosse Macht», sagt Simon Banholzer (36), Leiter Politik bei der Schweizerischen Energie-Stiftung. «Das Bundesgesetz über die wirtschaftliche Landesversorgung erlaubt Eingriffe in alle Teile von Wirtschaft und Bevölkerung. Die endgültige Entscheidung liegt aber beim Bundesrat. Er unterzeichnet die Verordnungen.»

So auch kommende Woche, wenn es um die Bestimmungen zur Gasmangellage geht. Die Verordnungen werden für Zunder sorgen. Denn sie bestehen ausschliesslich aus Befehlen und Verboten. Heisst: Wenn Sommarugas Sparappelle nicht greifen, kommt Parmelin mit dem Vorschlaghammer. Dazwischen gibt es nichts.

Anders in den Nachbarländern, die längst mit verschiedenen Anreizsystemen arbeiten. So erhalten deutsche Firmen, die ihre Maschinen zwischendurch abstellen, vom Staat eine Entschädigung. «Das BWL hingegen scheint an Anreize gar nicht zu denken», sagt Simon Banholzer. «Es überspringt die zentrale Phase zwischen Appellen und Verboten einfach.»

Keine Anreize

Das ärgert auch SP-Nationalrat Roger Nordmann (49): «Verbote können nicht von heute auf morgen umgesetzt werden. Deshalb braucht es einen Plan für die Phase davor. Dazu gehören Anreize etwa in Form von Ausschreibungen, wie sie jenseits der Grenze schon längst angeboten werden.»

FDP-Ständerat Damian Müller (37) ist in dieser Sache auf Sommarugas Bundesamt für Energie zugegangen. «Wir besprechen Anreize, um freiwillige Einsparungen lohnenswert zu machen», sagt Müller. «Sie könnten für den Gasverbrauch schon jetzt lanciert werden. Die Massnahmen wären eine Ergänzung zwischen den Sparappellen und Kontingentierungen, wie sie der Bund bereits skizziert hat.»

Im Departement Parmelin scheint man sich dafür nicht zu interessieren. Es gibt aber noch einen anderen blinden Fleck im BWL: Die Verordnungen, über denen das Amt jetzt brütet, befassen sich ausschliesslich mit einem Gasmangel. Und der Strom, dessen Preise gerade durch die Decke gehen? Fehlanzeige.

Zwar steht mit Ostral eine Organisation bereit, die im Extremfall knallhart den Saft abstellt. «Aber offenbar gibt es auch beim Strom kein Konzept für die Phase davor», kritisiert Roger Nordmann. «Parmelin muss das jetzt dringend an die Hand nehmen und auch bekannt machen. Es braucht Transparenz, um Vertrauen zu stiften.»

Träges Milizsystem

Je näher die Mangellage rückt, desto stärker fällt Parmelins Zaudern ins Gewicht. Denn das BWL ist schwerfällig. Das Milizsystem bei der Landesversorgung sei grundsätzlich etwas Gutes, sagt Alexander Keberle (30), Leiter Energie bei Economiesuisse. «Der Nachteil ist, dass wir in der Schweiz in einer akuten Krisensituation nicht gleich rasch reagieren können wie professionelle Krisenorganisationen in anderen Ländern.»

Swissmem-Direktor Stefan Brupbacher (54) nimmt die Behörde in Schutz: «Wir müssen das Amt jetzt unterstützen, statt darauf einzuprügeln. Aber das BWL und die Stromwirtschaft müssen sich auch bewusst sein, welche Verantwortung sie tragen.»

Kein Zweifel: Werner Meier ist zurzeit nicht zu beneiden. «Natürlich ist der Druck gross», sagt der BWL-Chef. «Die Arbeitslast steigt.» Seit Jahren ist bekannt, dass sein Amt unterdotiert ist. Aber erst im letzten März gelangte der Bundesrat zur Einsicht, dass es aufgestockt werden müsse und ein Delegierter mit einem Vollzeitpensum an die Spitze gehöre.

Was ist seither passiert? «Der Bundesrat hat erkannt, dass die personelle Situation ungenügend ist, und hat bereits grünes Licht für eine zielgerichtete Aufstockung im personellen Bereich gegeben», lässt Parmelins Wirtschaftsdepartement ausrichten. Mit anderen Worten: Es ist nichts passiert.

Meiers Nachfolge ist immer noch offen. Ende November tritt der Chef des Mini-Amts ab – mitten in einer Energiekrise historischen Ausmasses.

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