Gefährliche Bahnarbeiten
Acht Tote in drei Jahren – wegen Personalfehlern

Von 2021 bis 2023 wurden mehr als 110 Bahnmitarbeitende verletzt – oder sogar getötet. Dies zeigt eine Auswertung der Unfalldaten durch Blick. Nun fordert das Bundesamt für Verkehr ein besseres Sicherheitsmanagement.
Publiziert: 04.02.2024 um 17:11 Uhr
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Aktualisiert: 06.02.2024 um 11:59 Uhr
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Vanessa MistricRedaktorin

Es geschah an diesem Freitag auf einer Baustelle in Göschenen UR, unweit des Gotthardtunnels: Ein Arbeiter stürzte von der Leiter und wurde erheblich verletzt. Der 57-Jährige ist bereits der dreizehnte Beschäftigte der Bahn, der im Spital landete. Dabei hat das Jahr gerade erst begonnen. Schon kurz nach Silvester kollidierte auf dem Lettenviadukt in Zürich ein Bauzug mit einem Bagger; zwei Gleisarbeiter wurden verletzt. Ende Januar zogen sich zehn Arbeiter im Gotthard-Basistunnel eine Rauchvergiftung zu, weil das Fahrzeug einer Sicherheitsfirma brannte.

Laut Protokollen des Bundesamts für Verkehr, die Blick auswerten konnte, wurden von Anfang 2021 bis Ende 2023 rund 110 Bahnmitarbeitende im Dienst Opfer von Unfällen. Ein Grossteil der Verletzungen und Todesfälle, insgesamt 97, wurde durch Fehler und Unachtsamkeiten verursacht. 51 Bähnler benötigten ambulante ärztliche Behandlung, 38 lagen länger als 24 Stunden im Krankenhaus. Acht Mitarbeiter der Bahn verloren ihr Leben.

Wagen fiel auf Rangierleiter

Die Unfälle geschahen vor allem bei Arbeiten in der Nähe von Gleisen, beim Rangieren oder beim Güterverlad – meist in Regie von SBB Cargo und privaten Unternehmen, die Personal verleihen oder Waren mit eigenen Mitarbeitenden transportieren. Nur ein Beispiel: Ende Dezember kippte beim Güterbahnhof in Bern ein Wagen zur Seite und begrub den auf dem Trittbrett mitfahrenden 22-jährigen Rangierleiter von SBB Cargo unter sich. Ursache für den Todesfall war laut Unfallprotokoll ein Fehler bei der Bedienung von Sicherheitstechnik – die Untersuchungen sind aber noch nicht abgeschlossen.

Gleisarbeiten sind in der Schweiz besonders gefährlich.
Foto: Keystone
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«Es ist wichtig, dass Mitarbeitende Verspätungen in Kauf nehmen, wenn sie nur so alle Vorgaben einhalten können.»
Philipp Hadorn, Gewerkschaft des Verkehrspersonals
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Philipp Hadorn, Zentralsekretär der Gewerkschaft des Verkehrspersonals, sagt Personalengpässe könnten dazu führen, dass eher ein Fehler passiert: «Die Mitarbeitenden geben alles, damit die Züge trotzdem pünktlich abfahren. Es ist wichtig, ihnen immer wieder zu sagen, dass sie Verspätungen in Kauf nehmen dürfen.» Gleisarbeiter und Rangierer gingen bei Wind und Wetter in Schichtarbeit mit sehr komplexer Technik um, die nicht immer einwandfrei funktioniere. Hadorns Forderung: «Mehr Personal, eine bessere Schulung und Sicherheitskultur, genügend Ruhepausen und insgesamt bessere Arbeitsbedingungen.»

Seine Gewerkschaft kritisiere immer wieder, Bähnler hätten für ihre schwierigen Aufgaben nicht genügend Zeit und würden nicht ausreichend geschult. Zudem seien die häufigen Schichtwechsel schlecht für die Konzentration, private Unternehmen «ohne Erfahrungen im Bahnbereich» häufig «völlig unkontrolliert» auf SBB-Baustellen tätig.

Die SBB weisen die Vorwürfe zurück: Man investiere viel in Sicherheit. Mit den Gewerkschaften habe sich die Bahn auf Massnahmen wie Verbesserungen bei Schulungen geeinigt.

Warum kommt es dennoch zu so vielen vermeidbaren Arbeitsunfällen? Dazu die SBB: «In absoluten Zahlen gab es zwar mehr Unfälle, das ist aber in erster Linie darauf zurückzuführen, dass wir derzeit sehr viel bauen.» Nach fünf tödlichen Unfällen 2022 sei eine externe Stelle beauftragt worden, um «systematische Herausforderungen oder blinde Flecken bei der Sicherheitsstrategie oder Sicherheitskultur zu detektieren.» Dabei habe sich gezeigt, «dass die SBB bei der Arbeitssicherheit auf einer guten Basis aufbauen können». Man investiere weiter in Ausbildung, Sensibilisierung sowie technische Ausrüstung des eigenen sowie des Personals von Drittfirmen. Aber: «Ein Restrisiko kann bei den teilweise exponierten Arbeiten (Bauarbeiten im laufenden Betrieb, steigendes Bauvolumen) nicht ausgeschlossen werden.»

Beim Sicherheitsmanagement haperts

Das Bundesamt für Verkehr sagt gegenüber Blick, es bestehe weiter Handlungsbedarf: So müsse das Sicherheitsmanagement besser werden. Bahnunternehmen und Drittfirmen tauschten sicherheitsrelevante Informationen nur ungenügend untereinander aus, die Zuständigkeiten seien häufig zu wenig klar definiert.

Rangier- und Gleisarbeiten, so das Bundesamt, seien in der Schweiz besonders gefährlich: «Im Unterschied zu vielen anderen Ländern finden die Arbeiten unter Verkehr statt. Das heisst, die Züge fahren trotz Baustelle weiter, der Fahrplan ist dicht. Das Risiko, dem die Arbeiter ausgesetzt sind, ist hoch.»

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