Nach Albert Röstis Eingreifen
Walliser Wolfswelpen droht der Hungertod

Im Wallis dürfen statt eines drei Wolfsrudel erlegt werden. Tierschützer zeigen sich empört über die eilends angepasste Verfügung. Der Bundesrat habe darin eine Auflage zum Schutz der Elterntiere abgeschwächt. Jungtiere könnten jetzt kläglich verenden.
Publiziert: 00:30 Uhr
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Aktualisiert: 15:00 Uhr

Kurz zusammengefasst

  • Das Bafu passte seine Verfügung zur Wolfsregulierung im Wallis an
  • Dabei wurde auch der Elterntierschutz aufgeweicht
  • Tierschützer kritisieren das Vorgehen scharf
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Wolfswelpen kommen im Mai auf die Welt – erst im Frühling des nächsten Jahrs können sie auf eigene Faust überleben.
Foto: Shutterstock
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Peter AeschlimannRedaktor

Das Treffen in Bundesbern dauerte nicht viel länger als eine halbe Stunde. Zu Beginn, so heisst es, war die Stimmung ziemlich unterkühlt. Dann aber signalisierte SVP-Bundesrat Albert Rösti (57) der Delegation aus dem Wallis, man wolle in Sachen Wolf nochmals über die Bücher gehen.

Ein Entscheid wurde an jenem Freitagnachmittag zwar nicht gefällt, vom Austausch auf höchster Ebene gibt es deshalb auch kein Protokoll. Doch gerade mal drei Tage später hatten die Walliser, was sie sich vom Umweltminister erhofft hatten: die Erlaubnis, statt eines Wolfsrudels nunmehr drei vollständig zu eliminieren.

«Respektvoller Umgang»

Und das ist noch nicht alles: Die Verfügung vom 16. September, die Blick vorliegt, kommt den Walliser Behörden erheblich weiter entgegen. So wurde eine zentrale Passage des Dokuments entscheidend verändert: In der ursprünglichen Version, datiert auf den 9. September, knüpfte Röstis Bundesamt für Umwelt (Bafu) seine Zustimmung zur proaktiven Jagd auf Wölfe noch an die Bedingung, dass den Rudeln zuerst die Jungtiere «entnommen» werden.

Im angepassten Dokument steht jetzt nur noch, dass ein «respektvoller Umgang mit dem Wild» zu gewährleisten sei, «einschliesslich der Einhaltung des Tierschutzgesetzes in Bezug auf Welpen».

Obwohl beide Versionen den Elterntierschutz hochhalten – und damit indirekt den Schutz der Welpen –, gibt es einen gewichtigen Unterschied: Während der Bund in der ursprünglichen Verfügung noch auf Einhaltung des Jagd- und Tierschutzrechts pochte und entsprechende Auflagen machte, hält er sich nun komplett zurück. Neu betrachtet Bern die Angelegenheit ausschliesslich als Sache des Kantons.

Wolfsschützer: «Das ist Wischiwaschi»

David Gerke (39), Geschäftsführer der Gruppe Wolf Schweiz, ist empört über das Vorgehen des Bafu: «Der Elterntierschutz wurde faktisch aufgehoben und durch eine Wischiwaschi-Formulierung ersetzt.»

Jungwölfe werden zumeist im Mai geboren. Im Alter von fünf Monaten haben sie den Zahnwechsel abgeschlossen – bis dahin sind sie komplett von ihren Eltern abhängig, also auch nicht fähig, selbständig zu jagen. «Ohne Versorgung durch die Eltern verhungern diese Welpen rasch und wohl ohne Ausnahme», sagt Gerke, der in Wien Jagdwirtschaft studiert hat. Erst im Februar würden sich die Jungtiere schrittweise von ihren Eltern lösen.

Unter Jägern gilt der Grundsatz «jung vor alt». Das hat einen einfachen, tierethischen Grund: Jungtiere sind bis zu einem gewissen Alter auf ihre Mütter und Väter angewiesen. Tötet man diese vorher, gehen die Jungen ein. So gesehen verhindert man also Tierquälerei: indem man zuerst Jungtiere schiesst, bevor man auf deren Erzeuger anlegt.

Und: Indem man ältere Wölfe schont, unterstützt man das Sozialgefüge innerhalb der Population. Elterntiere verteidigen ihr Revier und verhindern so, dass immer wieder neue Einzelwölfe eindringen und Schäden verursachen.

Zerfällt ein Rudel jedoch aufgrund von Abschüssen, geschieht genau das, was mit der sogenannten proaktiven Regulierung eigentlich verhindert werden soll: Die Risse bei Nutztieren nehmen zu – weil ungeübte Wölfe sich auf leichte Beute konzentrieren.

Für Jäger ist es praktisch unmöglich, aus der Distanz zu beurteilen, ob es sich bei einem erwachsenen Wolf um ein Elterntier handelt oder nicht. Deshalb, so David Gerke, sei die Schonung aller erwachsenen Wölfe nötig, bis die Welpen entfernt sind. «Ansonsten kommt es immer zu einem tierquälerischen Verenden von Jungtieren.»

«Zutiefst unethisch»

Drei Tage nachdem das Bafu grünes Licht für die Ausrottung der zwei weiteren Rudel gegeben hatte, knallten in der Region Augstbord bereits die Büchsen. Tags darauf geschah das Gleiche in Les Toules.

Beide Male töteten die Jäger einen erwachsenen Wolf. Ob es sich um Elterntiere handelte, ist unbekannt. DNA-Analysen lägen derzeit noch nicht vor, lässt die Walliser Dienststelle für Jagd, Fischerei und Wildtiere knapp verlauten. «Wie gewohnt dauert dies einige Wochen.»

Jäger, die sich an solchen Praktiken beteiligen, handeln laut Wolfsschützer Gerke «zutiefst unethisch». Selbst bei der Jagd auf Wildschweine, die oftmals grosse Schäden hinterlassen, werde die Regel eingehalten, keine Muttertiere von Frischlingen zu schiessen.

David Clavadetscher, Geschäftsführer des Verbandes Jagd Schweiz, nimmt seine Kolleginnen und Kollegen jedoch in Schutz. Eine behördliche Massnahme habe nichts mit regulärer Jagd zu tun. «Man kann diese Situationen nicht vergleichen mit einer Pirsch, auf der man einem kapitalen Kronenzehner nachsteigt.» Die Jäger seien bei der proaktiven Regulierung der Wildhut unterstellt und handelten korrekt. «Egal, ob Wolf oder Hirsch: Am Ende entscheidet der Jäger oder die Jägerin, ob er oder sie abdrückt.»

«Ein kräftiges Waidmannsheil»

Das Bafu unterstreicht die Wichtigkeit des Grundsatzes «jung vor alt» bei Regulierungsabschüssen. «Es handelt sich bei der neuen Formulierung nicht um eine Abschwächung, sondern um eine Präzisierung», sagt Sprecherin Viola Mauri.

Für die Umsetzung ihrer Abschussverfügungen seien die Kantone verantwortlich. «Sie müssen dafür besorgt sein, dass Jungwölfe, solange diese noch von der Futterzufuhr der Elterntiere abhängig sind, aus Tierschutzgründen vor diesen geschossen werden.»

Dass sich der Bund aus der Verantwortung nimmt, birgt indes Risiken. Eine allenfalls notwendige gerichtliche Überprüfung einer kantonalen Jagdpraxis wird dadurch deutlich komplizierter.

Auch deshalb hofft man beim WWF, dass die revidierte Jagdverordnung künftig mehr Klarheit bringen wird. WWF-Anwalt Stephan Buhofer sagt: «Die Rechtsgrundlagen, nach denen der Wolf jetzt reguliert wird, sind unklar und komplex. Und je nach politischem Hintergrund der Behörden werden sie anders ausgelegt. Kein System kann unter diesen Umständen gut funktionieren.»

Auf der Website zur proaktiven Regulierung von Wolfsrudeln wendet sich der Kanton Wallis direkt an die dortigen Jägerinnen und Jäger. Wer im Besitz einer gültigen Regulierungsbewilligung sei, dürfe in den vorgesehenen Perimetern Wölfe erlegen. «Wir bedanken uns schon jetzt bei Ihnen für Ihr Engagement und wünschen Ihnen für die kommende Jagdperiode ein kräftiges Waidmannsheil.»

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