Zürcher Rechtsexperte Emanuel Cohen (38)
«Sich zu wehren, kann sich lohnen»

Busse für einen Selbstunfall, für zu langsames Fahren, eine ungefütterte Parkuhr und falsches Entsorgen. Der Zürcher Rechtsanwalt Emanuel Cohen (38) ist Experte beim Thema und nimmt die bei Blick eingegangenen Bussen-Vorfälle unter die Lupe.
Publiziert: 11.07.2022 um 00:26 Uhr
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Aktualisiert: 12.07.2022 um 11:08 Uhr
Nicolas Lurati

Eine Busse, weil man beim Velofahren stürzt, aber nur sich selbst verletzt. Ein Strafzettel, weil man zu langsam den Julierpass hinunterfährt. Die Beispiele von Sigi Suhr und Jürg Hirschi werfen Fragen auf – und doch sind sie real.

Einer, der Bussen einordnen kann und sich beim Thema auskennt, ist der Zürcher Emanuel Cohen (38). Er ist Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei in Zollikon ZH und befasst sich mit Strassenverkehrsrecht und Strafrecht.

Seine Botschaft: «Wer eine Busse für ungerechtfertigt hält, kann sich dagegen wehren!» Cohen erklärt: «Wird jemand mittels Strafbefehl verurteilt, gibt es die Möglichkeit, dagegen Einsprache zu erheben – was sich durchaus lohnen kann.» Aber Achtung: Wer Einsprache gegen den Strafbefehl erheben wolle, müsse dies innerhalb von zehn Tagen machen. Stelle sich im Verlauf des Verfahrens dann heraus, dass die Busse gerechtfertigt war, könne eine Einsprache auch wieder zurückgezogen werden.

Er kann Bussen einordnen: Der Zürcher Emanuel Cohen (38) ist Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei in Zollikon und befasst sich mit Strassenverkehrsrecht und Strafrecht.
Foto: Zvg
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«Anonyme Zeugenaussage ist nicht verwertbar»

Ein Beispiel für eine solche Einsprache ist der Fall von Jürg Hirschi, der gemäss Strafbefehl zu langsam gefahren sein soll. Anwalt Cohen: «Er ist nicht einverstanden mit dem, was ihm zur Last gelegt wird.» Und der Experte betont: «Eine anonyme Zeugenaussage, wie sie hier anscheinend vorliegt, ist nicht verwertbar. Diese Aussage wird ja vom Beschuldigten bestritten.»

Der Rechtsexperte erklärt, dass langsam fahrende Motorfahrzeuge ausserorts den schnelleren Motorfahrzeugen das Überholen angemessen erleichtern und, wo möglich, auf Ausweichplätzen halten müssen. «Herr Hirschi hat dies, gemäss seinen Angaben, so gut wie möglich versucht und konnte teilweise gar nicht auf Ausweichplätzen halten, weil diese besetzt waren.»

Zudem stellt sich der Anwalt die Frage, ob tatsächlich alle diese 175 Fahrzeuge hinter dem Berner fuhren. «Entscheidend sind die konkreten Umstände. Diese werden nun von der Staatsanwaltschaft genauer abgeklärt.»

Verfahren hätte eingestellt werden sollen, findet Experte

Beim Fall von Sigi Suhr hätte sich auch eine solche Einsprache aufgedrängt, findet der Anwalt. «Offenbar verursachte er mit seinem Fahrrad einen Selbstunfall und verletzte sich dabei selbst stark. Er gilt zwar dann als beschuldigte Person, aber er ist durch die unmittelbaren Folgen seiner Tat derart schwer betroffen, also in diesem Fall selbst stark verletzt, dass eine Strafe nicht angemessen wäre», sagt Cohen.

Zudem habe Suhr offenbar auch nicht Dritte gefährdet, sagt der Experte. «War sein Verschulden zudem nur leicht, sollte die Strafverfolgungsbehörde von einer Strafverfolgung absehen und das Strafverfahren einstellen.»

Eine Einstellung des Verfahrens bei Sigi Suhr hätte aber auch deswegen erfolgen sollen, da offenbar Schuld und Tatfolgen gering sind, so Cohen. «Sind diese Voraussetzungen erfüllt, müssen Strafverfolgungsbehörden Strafverfahren ebenfalls zwingend einstellen.»

Liegt überhaupt Littering vor?

Bei Ursula Mettler wiederum stellt sich Cohen die Frage, ob – zumindest was das grosse Glas betrifft – überhaupt ein Fall von Littering vorliegt. Denn der Kanton Aargau bezeichnet Littering als «das Wegwerfen oder Liegenlassen kleiner Mengen Siedlungsabfall, ohne dabei die bereitstehenden Entsorgungsstellen zu nutzen. Littering geschieht aus Bequemlichkeit, Nachlässigkeit oder mangelndem Problembewusstsein [...].» Cohen sagt: «Schliesslich hätte aber auch hier durchaus von einer Busse abgesehen werden können, da Schuld und Tatfolgen als gering erscheinen.»

«Augenmass walten lassen»

Ähnliches wäre auch bei Philipp Hausheer beim Parkuhr-Fall möglich gewesen, sagt Cohen: «Er wollte eigentlich alles richtig machen und für seinen Parkplatz bezahlen. Dies war aber nicht möglich aufgrund der Bauarbeiten.»

Dazu stellt sich Cohen auch folgende Frage: «Vielleicht hätte die Stadt Zug darauf hinweisen müssen, dass die Parkgebühr bei den Bauarbeitern entrichtet werden kann?» Sein Fazit zum Fall Hausheer: «Die Behörde hätte in diesem Fall durchaus mehr Augenmass walten lassen und von der Busse absehen können.»


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