«Zu befürchten, dass Schweizer Technik Zivilisten in der Ukraine tötet»
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Journalistin Marguerite Meyer:«Zu befürchten, dass Schweizer Technik Zivilisten in der Ukraine tötet»

Drohnen-Nation Schweiz
Gefährliche Nähe zum Militär

Die Schweiz sieht sich als Forschungsland für die Entwicklung von Drohnen. Unsere Hochschulen arbeiten dabei eng mit Militärs aus dem Ausland zusammen.
Publiziert: 12.06.2022 um 00:45 Uhr
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Aktualisiert: 12.06.2022 um 09:47 Uhr
Marguerite Meyer und Ariane Lüthi

Roland Siegwart (63) leitet das Institut für Robotik und intelligente Systeme an der ETH Zürich – und er weiss, wie Forschungsergebnisse in der Wirtschaft landen. An den Swiss Drone Days in Dübendorf ZH lädt der Professor, Co-Vorsitzender eines neuen Netzwerks, das die Robotik zu einem Pfeiler der Schweizer Wirtschaft machen will, an diesem Wochenende Wissenschaftler zum Gedankenaustausch mit Industrievertretern ein. Auch zum Thema Drohnen.

Wie lässt sich verhindern, dass Länder wie Russland die Schweizer Innovationen als Waffen einsetzen?«Es gibt leider keine Patentlösung», sagt Siegwart. Wichtig seien drei Kriterien: die Auswahl des Personals, der Investoren und der Kunden.

Technologien nicht militärisch gedacht

«Ich kenne keine Mitarbeiter an der ETH, die an Projekten mitarbeiten würden, bei denen es um Aggression oder Waffensysteme geht.» Bei den Investoren, so Siegwart weiter, sei darauf zu achten, dass sie nicht mit Waffen arbeiten: «Da mussten wir schon Geldgeber ablehnen.»

Drohnen-Labor der ETH Zürich: Die Schweiz gilt weltweit als führend in der kommerziellen Drohnentechnologie.
Foto: Keystone
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Auch wegen bedenklicher Kunden seien schon Aufträge gestoppt worden: «In den Projektverträgen muss man festlegen, dass eine Technologie nicht militärisch verwendet werden darf.»

Technologien können beim Militär landen

Problematisch sei, dass Massenware zunehmend militärisch verwendet werde. «Normalerweise kaufen Armeen High-End-Produkte, die der Staat kontrollieren kann. Vermehrt zeigt sich aber, dass auch einfache Massenprodukte militärisch eingesetzt werden können. In vielen Handys sind dieselben Chips drin, die jetzt in der Ukraine aufgetaucht sind. Man kann daher nie sicher sein, dass eine Technologie nicht beim Militär landet.»

Viel lieber spricht Siegwart über die unbestrittenen Erfolge ziviler Drohnen aus der Schweiz: Rund 80 Firmen, Hunderte Arbeitsplätze, spektakuläre Erfindungen. Die erste Drohne mit vier Propellern flog in seinem Labor. Nun ist dieses System überall im Einsatz, für Fotoaufnahmen aus der Luft. Schweizer Drohnen inspizieren Gletscher, vermessen Gelände, helfen bei der Minenräumung. In Lugano TI und Zürich verwendet die Post Drohnen, um Blutproben schneller vom Spital ins Labor zu bringen. Ein Schweizer Start-up entwickelt Rettungsdrohnen für Lawinenunfälle, ein anderes wurde zum Weltmarktführer für Drohnen-Software.

Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und US-Armee

Wahr ist aber auch: Drohnen-Technologie kann im schlimmsten Fall tödlich wirken. Dass ein Unternehmen wie die Thalwiler U-Blox Bauteile produziert, die im Ausland militärisch eingesetzt werden, ist ein Weg dafür. Ein weiterer sind Investitionen ausländischer Armeen in der Schweiz. Hier haben die USA die Nase vorn. Das US-Militär finanziert Forschungsprogramme an hiesigen Hochschulen. Es geht um Grundlagenforschung, die das Seco nicht kontrolliert und deren Ergebnisse veröffentlicht werden. Ist eine militärische Nutzung absehbar, müssen die USA eine Lizenz erwerben oder die Technik von Rüstungsfirmen nachbauen lassen.

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Der sichtbarste Teil der Zusammenarbeit zwischen Hochschulen und US-Armee sind spektakuläre Drohnenrennen. Erst letztes Jahr gewann die ETH mit der «Darpa Subterranean Challenge» in Kentucky einen solchen Wettbewerb und nahm zwei Millionen Dollar Preisgeld mit nach Hause. Darpa ist die US-amerikanische Agentur für fortgeschrittene Verteidigungsforschungsprojekte. Ihre Aufgabe ist es, bahnbrechende Technologien für die nationale Sicherheit zu entwickeln.

Nationalfond unterstützt das Programm

An Bord des Gewinnerteams waren Roland Siegwart und andere Forschende der ETH, amerikanische Universitäten und die Sierra Nevada Corporation, Lieferant der Air Force für Drohnen-Technologie, die auch bei Kriegen wie in Afghanistan eingesetzt wurde. Die Teammitglieder arbeiten schon lange eng zusammen und hätten gemeinsame Software-Grundlagen für ihre Systeme erarbeitet, heisst es im Projektbeschrieb der ETH.

Ebenfalls mit von der Partie war die Schweizer Firma Flyability, hinter der Dario Floreano steht, Professor an der EPFL und Direktor des Nationalen Forschungsschwerpunkts Robotik. Der Schweizerische Nationalfonds unterstützte das Programm seit 2010 mit knapp 40 Millionen Franken. Flyability-Drohnen erkunden primär Industrieanlagen. Die zweite Firma aber, die Floreano auf den Weg brachte, hat eindeutig militärische Ambitionen: Sensefly stellt professionelle Überwachungsdrohnen her und wurde kürzlich vom US-Unternehmen Ag-Eagle gekauft. Nun könne man die beste Technologie anbieten und sich im Rüstungsmarkt aggressiv als Partner der US-Armee positionieren, liess der neue Chef verlauten.

«Drohnen für gute Zwecke»?

Werden Floreanos Erfindungen also militärisch eingesetzt? Wo zieht er die Grenze zwischen Spitzenforschung und einem öffentlich finanzierten Beitrag zur Aufrüstung aus der neutralen Schweiz heraus?

Er sei seit 2016 nicht mehr Teil von Sensefly, betont der Professor auf Anfrage. Damals habe man dort noch ausschliesslich Drohnen für die Landwirtschaft und zivile Inspektionen produziert. «Alle meine Projekte fokussieren auf Drohnen für gute Zwecke», schreibt er. «Die Resultate des Forschungsschwerpunkts werden jedes Jahr streng vom Nationalfonds kontrolliert, mithilfe von internationalen Experten.»

Leitlinien für ethische Fragen formuliert

ETH Zürich und EPFL haben für ihre Forschenden Leitlinien zu Dual-Use-Gütern und ethischen Abwägungen formuliert. Beide Universitäten prüfen internationale Kooperationen. Viel Verantwortung liegt jedoch bei den Forschenden, Entscheidungen werden von Fall zu Fall getroffen. So bleibt unklar, ob Grundlagenforschung auch mit russischen oder chinesischen Militärinstituten gemacht würde.

Dass Wissenschaft für Kriege missbraucht werden kann, ist nicht die Schuld der Forschenden. Und oft können nicht einmal Firmen immer kontrollieren, wo ihre Produkte eingesetzt werden.

Aber gegenwärtig herrscht in der Ukraine – wie anderswo auf der Welt – Krieg. Und die offizielle Schweiz muss sich fragen: Haben wir unsere eigene Neutralität im Griff?

Wie verhindern wir, dass unsere Innovationen womöglich Leben kosten?

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