Biel-Goalie Van Pottelberghe
«Musste zwei Monate auf dem Boden schlafen»

Zweimal setzten sie ihm in Davos einen neuen Goalie vor die Nase. Jetzt steigt Joren van Pottelberghe in Biel in die Fussstapfen von Hockey-Legende Jonas Hiller.
Publiziert: 14.09.2020 um 18:18 Uhr
Angelo Rocchinotti

Lachen ist gesund, sagen Studien. Die Abwehrkräfte werden gestärkt, der Stresspegel sinkt und der Hormonschub sorgt für Glücksgefühle. Kinder lachen im Schnitt bis zu 400 Mal am Tag. Erwachsene bloss noch 15 Mal. Nicht so Joren van Pottelberghe.

Der 23-Jährige lässt sich die gute Laune nicht nehmen. Selbst wenn er über Rückschläge spricht, huscht immer wieder ein Lächeln über sein Gesicht. «Ich habe gelernt, dass nicht immer alles eitel Sonnenschein ist. Das tat auch gut», sagt er.

Zwei Jahre lang war Van Pottelberghe gemeinsam mit Gilles Senn im HCD-Tor unbestritten. Bis die Bündner eine Woche vor dem Saisonstart 2018 den Schweden Anders Lindbäck holten. «Unser Fokus liegt nicht auf der Ausbildung von Spielern für ausländische Klubs», echauffierte sich Präsident Gaudenz Domenig, nachdem seine Torhüter mit Nordamerika geliebäugelt hatten. Van Pottelberghe betont jedoch: «Bei mir war das kein konkretes Thema. Es gab zuvor während des Spengler Cups Gespräche. Doch für mich kam ein Wechsel zu früh.»

Hütet künftig das Tor des EHC Biel: Joren van Pottelberghe.
Foto: Sven Thomann
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Im Privatwagen ans Spiel

Van Pottelberghe kommt zu keinen Einsätzen mehr. «Ein Schock. Es stinkt dir. Doch ich versuchte, schnell umzudenken. Negative Gedanken bringen nichts. Ich sah es als Lernprozess.» «JvP» landet in Dänemark bei Rungsted. «Am Montagabend kam die Zusage. Am Dienstag in der Früh ging der Flug. Und am Abend stand ich bereits im Einsatz», sagt der Goalie. «Ich wäre bis nach China gereist. Hauptsache, ich konnte spielen.»

Der 23-Jährige kommt beim späteren Meister zu vier Einsätzen. Und zeigt sich noch heute beeindruckt darüber, dass die Spieler in ihren Privatwagen an ein Auswärtsspiel nach Kopenhagen fuhren. «Weil die Fahrt bloss 20 Minuten dauerte.»

Er würde rückblickend nichts anders machen, sagt Van Pottelberghe, der nach seinem Abstecher nach Dänemark Absteiger Kloten verstärkt. «Meine Einstellung und die Arbeitsweise zahlten sich aus.»

Der 1,91 m grosse Goalie, 2015 von Detroit gedraftet, kehrt zwar nach Davos zurück. Doch dann wiederholt sich die Geschichte. Der Klub verpflichtet auf diese Saison hin mit Robert Mayer eine potenzielle Nummer 1. «Das kam überraschend. Sandro Aeschlimann und ich gingen anschliessend mittagessen. Wir sprachen kaum ein Wort. Das werde ich nicht so schnell vergessen.» Es habe Zeit gebraucht, das Ganze zu verarbeiten. «Trotzdem denke ich, konnten wir das gut wegstecken und spielten die Saison unbeeindruckt weiter.»

Schönste Zeit in Schweden

«JvP», dessen Vertrag in Davos bis 2021 gelaufen wäre, hegt keinen Groll. Die Gelassenheit habe er von seinem Vater. «Bei ihm braucht es auch viel, bis er hektisch wird.» Zudem setzt der Biel-Goalie seit zwei Jahren auf Mentaltraining. «Nicht, weil ich gebrochen war», betont er. «Ich wollte mehr aus mir herausholen. Zudem tut es gut, mit einer Person zu reden, die eine andere Sichtweise reinbringt als meine Eltern oder die Freundin.»

Geprägt hat den belgisch-schweizerischen Doppelbürger auch die Zeit im Nachwuchs von Linköping. Drei Saisons verbringt er in Schweden, wagt den Schritt ins Ausland schon vor seinem 16. Geburtstag. «In Schweden erlebte ich meine schönste Zeit», sagt Van Pottelberghe. «Ich wurde selbständig, musste zum ersten Mal waschen, kochen und die Woche planen. Zudem habe ich Freundschaften fürs Leben geschlossen.»

Täglich besucht er die Schule. «Ich wollte einen geregelten Alltag. Es ist nicht gut, wenn du mit 16 Jahren den Tag zu Hause verbringst. Hatten meine Mitschüler Mathe-Unterricht, lernte ich weiter Schwedisch.»

Zum Eishockey fand Van Pottelberghe durch seine Tante, die ihn mit vier Jahren zum freien Eislauf mitnahm. «Meine Eltern haben wenig Ahnung von Hockey. Aber ich schätze es, nach Hause zu kommen und nicht über den Sport zu reden.»

Törmänens Erkrankung traf ihn

Van Pottelberghes Eltern stammen aus Belgien, kamen als Physiotherapeuten in die Schweiz und lernten sich hier kennen. Die Mutter war Kunstturnerin. Der Vater, der mit 58 Jahren noch Kampfsport betreibt, Schwimmer. Hin und wieder besucht er mit Jorens drei Jahre jüngeren Schwester ein Spiel seines Sohnes. Die Mutter hingegen war nur einmal an einem HCD-Match. «Sie ist zu nervös, kann es nicht geniessen. Im zweiten Drittel ging sie spazieren.»

Der Entscheid, nach Biel zu wechseln, fiel Van Pottelberghe, der in Zug aufgewachsen ist und fliessend Flämisch spricht, leicht. «Biel machte einen Riesenschritt. Die Halle ist genial. Die Fans laut. Und Antti Törmänen war mir stets sympathisch.»

Dass der Trainer aufgrund einer Krebserkrankung ausfällt, traf den Goalie. «Das beschäftigte mich stark.» Er habe Törmänen als aufgestellte und stets freundliche Person kennengelernt. «Er ist noch immer derselbe», sagt Van Pottelberghe. «Für uns Spieler ist es speziell: Wir versuchen, normal mit ihm umzugehen, kein Mitleid zu zeigen. Ist Antti im Stadion, probieren wir, im Training eine Schippe draufzulegen.»

Ziel bleibt die NHL

Van Pottelberghe tritt in Biel in die (riesigen) Fussstapfen des zurückgetretenen Jonas Hiller. Unter Druck setzen lasse er sich aber nicht. «Die Situation ist ähnlich wie damals in Davos nach Leonardo Genoni», sagt er. Und trägt ein Porträt eines anderen grossen Torhüters auf seiner Maske: Olivier Anken (63).

Lachend erzählt Van Pottelberghe, wie er sich für die 30 entschieden habe, als er nach Vertragsunterschrift nach der Trikotnummer gefragt wurde. «Kurz darauf spielte ich in Biel. Da sah ich unter dem Dach die 30 und merkte erst, dass die Nummer gar nicht verfügbar ist, weil Anken sie trug. Jetzt spiele ich mit der 36.»

Van Pottelberghes Ziel ist die NHL. «Das wird es immer bleiben», sagt er. Trotzdem braucht Biel nicht in Panik zu verfallen. «JvP» hat ohne Ausstiegsklausel bis 2022 unterschrieben. Und seine Wohnung fertig eingerichtet. «Die ersten zwei Monate musste ich auf einer Matratze am Boden schlafen, weil noch nicht alle Möbel geliefert wurden», erzählt der Keeper. Wieder gehen die Mundwinkel nach oben. Nach dem Motto von Charlie Chaplin: «Ein Tag ohne Lächeln ist ein verlorener Tag.»

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