«Kann mir negative Erlebnisse nicht merken»
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SCB-CEO verrät vor Saisonstart:«Kann mir negative Erlebnisse nicht merken»

SCB-Boss Marc Lüthi im grossen Krisen-Interview
«Ich habe endlos viele Fehler gemacht»

Seit vier Jahren befindet sich der grosse SC Bern in der sportlichen Dauerkrise und sorgt daneben mit seinen vielen Personalwechseln für Schlagzeilen. Blick nimmt den ins Amt des CEO zurückgekehrten SCB-Boss Marc Lüthi (62) ins Kreuzfeuer.
Publiziert: 13.09.2023 um 11:31 Uhr
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Aktualisiert: 14.09.2023 um 10:52 Uhr
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Marcel AllemannReporter Eishockey

Herr Lüthi, Sie haben kürzlich mit Ihrer Aussage, der SCB sei ein Arbeiter- und Bauern-Verein, für Aufsehen gesorgt. Wie viele erboste Mails haben Sie deswegen erhalten?
Marc Lüthi: Keine. Diese Aussage ist falsch rübergekommen. Sie ist aus den Emotionen heraus entstanden. Grundsätzlich wollen wir bodenständig und geerdet auftreten. Wir wollen ein Hockey spielen, das modern ist. Wir wollen ein Hockey spielen, das nicht aus Bescheissen besteht. Es geht um das Auftreten, nicht darum, ein Bauernklub zu sein. Wir sind Bern. Das waren wir immer und das werden wir immer sein. Im Sinn der Sache war es richtig, was ich gesagt habe, in der Ausdrucksweise aber falsch.

Es wirkte schon ein wenig spassig, dass der SCB plötzlich ein Bauernverein sein soll. Wollten Sie für Unterhaltung sorgen oder war es die Verzweiflung nach vier desolaten Jahren?
Verzweifelt bin ich überhaupt nicht. Es ist einfach so, dass wir zurück zu unseren Wurzeln und zur Kernbotschaft wollen. Wir sind früher bekannt geworden als die Big Bad Bears. So kann man heute nicht mehr agieren, weil es das moderne Hockey nicht zulässt. Die Zeiten der Ziegler-Brothers, die für die damalige Zeit sensationelle Spieler waren, sind vorbei. Mir ist das bewusst und all unseren Leuten genauso. Aber im weitesten Sinn ist es unsere DNA, es geht immer noch um eine gewisse Härte in Verbindung mit modernem Hockey.

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«Wenn man von 65 Millionen Franken Umsatz auf 27 Millionen Franken Umsatz herunterknallt, dann geht es nur noch ums Überleben.»
Marc Lüthi, CEO SC Bern
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Weshalb ist beim SCB seit dem letzten Meistertitel 2019 gefühlt alles schiefgegangen?
Das ist nicht so. In der Saison 19/20 haben wir ein paar Fehler gemacht. Wir haben einige Dinge getan, die wir nicht hätten tun sollen, was wir retrospektiv auch hätten wissen können. Das ging einfach in die Hosen.

SCB-Boss Marc Lüthi ist eine Institution im Schweizer Eishockey.
Foto: Sven Thomann
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Und dann?
Danach kamen zwei Pandemie-Jahre – und in diesen ging es nur noch ums Überleben. Das hat uns einerseits Geld gekostet und andererseits auch den Anschluss an die Spitze. Weil schlicht kein Geld vorhanden war, konnten wir nicht an die Leistungen von zuvor anknüpfen. Wenn man von 65 Millionen Franken Umsatz auf 27 Millionen Franken Umsatz herunterknallt, geht es nur noch ums Überleben. Letzte Saison haben wir dann ganz bewusst investiert und auch erstmals, seit ich dabei bin, ein negatives Budget vorgewiesen. Dabei ist nicht alles so herausgekommen, wie wir uns das vorgestellt haben. Dieses Jahr werden wir nochmals investieren, dann sollte es vorbei sein. Und wir werden auch wieder schwarze Zahlen schreiben.

Aber trotzdem. Sportchef Chatelain weg, Sportchefin Schelling weg, CEO Raffainer weg, insgesamt sieben Trainer verbraucht. All das liest sich wie eine Chronologie des Grauens.
Eine Chronologie des Grauens nicht gerade, aber es macht keine Freude.

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«Florence Schelling hat enorm gelitten während der Pandemie. Weil es schlicht keine Zeit gab, sie zu begleiten.»
Marc Lüthi, CEO SC Bern
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Ist dies das Einzige, was Sie dazu sagen? Das sind enorm viele Wechsel auf Schlüsselpositionen.
Gewisse Sachen sind auf die Pandemie zurückzuführen. Gewisse Sachen haben wir bewusst in Kauf genommen. Florence Schelling hat enorm gelitten während der Pandemie. Weil es schlicht keine Zeit gab, sie zu begleiten. Und so weiter. Das haben wir alles schon x-mal rückwärts und vorwärts geklärt. Ich schaue grundsätzlich nicht gerne zurück, sondern nach vorne. Jetzt stehen wir vor einer neuen Saison.

Vor der wieder alles auf den Kopf gestellt wurde.
Es ist nicht so, dass wir jedes Mal wieder alles auf den Kopf stellen. Neue Leute führen das weiter, was andere angefangen haben. Aber sicher ist es so, dass es keinen Spass macht – zumindest auf Manager-Stufe. Auf Trainer-Stufe waren wir nie dafür bekannt, dass wir sehr lange die gleichen Trainer hatten – obschon ich das eigentlich sehr gerne hätte. Aber es ist, wie es ist. Wir können es nicht mehr ändern und müssen nicht in der Vergangenheit Korrekturen anbringen, sondern für die Zukunft.

Was war Ihr grösster Fehlentscheid in dieser Zeit?
Das will ich gar nicht quantifizieren, denn sonst sind wir rasch einmal bei Personalentscheiden. Und darüber rede ich sicher nicht.

Aber Sie haben Fehler gemacht?
Mein Gott, ich habe in den letzten 25 Jahren endlos viele Fehler gemacht. Wie Sie auch, abgesehen davon.

Das streite ich nicht ab, die begehe ich konstant. Aber bei Ihnen hat man das Gefühl, dass es in den letzten Jahren viel mehr geworden sind als in all den Jahren zuvor.
Das täuscht. Manchmal sieht man die Fehler und manchmal sieht man sie weniger.

Sie waren sich über all die Jahre viel Erfolg gewöhnt. Was macht das mit Ihnen, über eine längere Zeitspanne erfolglos zu sein?
Wir konnten in diesem Jahrzehnt mit dem Cupsieg 2021 noch einen Titel feiern. Jetzt haben wir 2023. Klar ist das noch nicht so viel. Aber zu Beginn habe ich sieben Jahre auf den ersten Titel gewartet. Ich hoffe, es geht nicht sieben Jahre, bis wir wieder schlagkräftig sind. Ich sage bewusst nicht Titel, sondern einfach nur schlagkräftig.

War in der Nachbetrachtung der letzten Jahre die Einstellung von Raeto Raffainer Ihr grösster Fehler?
Nein, überhaupt nicht. Auch hier gab es Umstände, die nicht nur glücklich waren. Aber ich habe es schon x-mal gesagt – darüber sprechen wir nicht.

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«Aber wir reden jetzt nicht mehr über Raffainer, sonst stehe ich auf und gehe.»
Marc Lüthi, CEO SC Bern
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Aktuell erhält der zukünftige Sportdirektor Martin Plüss von Ihnen viele Vorschusslorbeeren. Wie früher Raffainer. Nicht etwas gar viel, für das, dass er noch gar nicht offiziell im Amt ist?
Plüss kenne ich seit vielen Jahren aus der Erfahrung heraus als Captain unserer Mannschaft und daher auch als Ansprechpartner in der Mannschaft. Das zum einen. Und zum anderen ist er schon jetzt als Berater tätig und tut seine Meinung kund. Ich gebe zu, das sind Vorschusslorbeeren. Weil ich weiss, was er tat, wie er es tut und wie er es angeht. Es ist auch richtig, dass Raffainer als Sportdirektor viele Vorschusslorbeeren bekommen hat und das hat er auch gut gemacht.

Was kann Plüss besser als Raffainer?
Das weiss ich nicht. Es sind zwei unterschiedliche Persönlichkeiten.

Das bedeutet, dass Raffainer noch immer beim SCB im Amt wäre, wenn er als CSO im Sport geblieben und nicht CEO geworden wäre?
Ich sage ja, es waren unglückliche Umstände. Aber wir reden jetzt nicht mehr über Raffainer, sonst stehe ich auf und gehe.

In der NZZ erschien kürzlich ein Artikel unter dem Titel «Zieht Phlipp Gaydoul neuerdings im SC Bern die Fäden?» Er soll auch die Absetzung von Raffainer und Ihre Rückkehr befeuert haben. Ist der ehemalige Verbandsboss, Kloten-Präsident und bekannte Unternehmer Ihr prominenter Einflüsterer?
Er ist ein guter Freund von mir. Wir sprechen ziemlich viel über Eishockey, seit er damals Verbandspräsident war. Damals hatten alle das Gefühl, wir würden rasch einmal zusammen Krach bekommen. Stattdessen wurden wir gute Freunde. Wir sprechen über alles, auch über den Sport. Aber beim SCB zieht keiner die Fäden. Wie in jeder Firma gibt es bei uns ein Gremium, einen Verwaltungsrat und eine Geschäftsleitung. Philippe Gaydoul und ich sprechen zusammen, aber er hat keinerlei Mandate.

Aber haben Sie Einflüsterer?
Was sind Einflüsterer? Es gibt Leute, denen ich zuhöre und es gibt Leute, mit denen ich spreche.

Am Schluss entscheiden aber Sie alles?
Nein, es ist der Verwaltungsrat, der im strategischen Bereich entscheidet. Im operativen Bereich gibt es eine Geschäftsleitung. Und klar habe ich eine gewisse Entscheidungskompetenz. Und klar entscheide ich gewisse Sachen. Aber es ist nie nur einer, der entscheidet. Und solche Entscheide sowieso nicht.

Wie findet der SCB wieder in die Erfolgsspur?
Durch Gewinnen.

Das ist zu simpel.
Es ist aber so.

Zum Gewinnen braucht es ein Erfolgsrezept.
Es bestehen viele Ideen. Aber darüber müssen Sie mit den Verantwortlichen im Sport sprechen.

Haben Sie manchmal das Gefühl, der SCB befinde sich in einer Negativspirale, aus der herauszufinden, enorm schwierig ist?
Dieses Gefühl habe ich nicht. Nochmals: Wir wissen, was wir falsch gemacht haben in den letzten Jahren. Wir wissen aber auch, was wir richtig gemacht haben. Daraus mussten wir die richtigen Lehren ziehen und das haben wir gemacht.

Was habt Ihr denn falsch gemacht?
Einiges. Aber das lassen wir jetzt weg. Das sind interne Geschichten.

Und was habt Ihr richtig gemacht?
Wir haben sicher einen ausgewiesenen Trainer angestellt. Wir haben Leute eingestellt, die jung und dynamisch sind und Erfahrungen haben bei dem, was sie tun. Das Wichtigste ist, dass wir nun die richtigen Leute an den richtigen Positionen haben und hoffentlich das richtige Spieler-Potenzial engagieren konnten.

Das glaubten Sie auch vor einem Jahr. Sven Bärtschi, Ihr Königstransfer von 2022 hat nach einer enttäuschenden Saison seine Karriere inzwischen beendet. Und nach einer Saison Theater mit Chris DiDomenico hat auch dieser den Notausgang genommen.
Man ist nie gefeit. Bärtschi ist eine Geschichte, die niemandem Freude macht. Uns nicht, aber auch ihm nicht. Und DiDomenico hat gute Seiten, aber auch schwierige Seiten. In Fribourg hatte er ähnliche Eiszeiten wie bei uns. Mit dem Unterschied, dass es bei uns riesig im Blick stand und bei Fribourg keinen Menschen interessierte.

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«Wenn wir einigermassen gesund bleiben und unser Potenzial abrufen, dann werden wir eine ansprechende Saison hinlegen können.»
Marc Lüthi, CEO SC Bern
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Wie muss die bevorstehende Saison ausfallen, damit sie zufriedenstellend für Sie ist?
Zufriedenstellend ist für mich, wenn wir uns problemlos für die Playoffs qualifizieren und das Optimum herausholen.

Und wenn der SCB wieder um die Playoffs zittern muss? In dieser ausgeglichenen Liga keinen wirklichen Schritt nach vorne macht? Wird dann wieder alles über den Haufen geworfen?
Nein, es gilt schon zu unterscheiden, wie wir auftreten. Wenn wir sieben Verletzte haben und um die Playoffs zittern müssen, dann sieht die Welt anders aus. Sofern die Mannschaft engagiert auftritt und keine lustlosen Auftritte wie letztes Jahr an den Tag legt. Wenn Pech mitspielt, dann kann niemand etwas dafür, aber wenn wir einigermassen gesund bleiben und unser Potenzial abrufen, dann werden wir eine ansprechende Saison hinlegen können.

Sie haben angekündigt, dass Sie nach Ihrer Rückkehr als CEO nicht mehr der alte Marc Lüthi mit seinen alten Charakterzügen sein werden, sondern ein Marc Lüthi 2.0. Der auf Kabinenansprachen und andere Poltereien verzichten will. Das hört sich langweilig an.
(lacht) Sehen Sie, ich hatte ein Chiptuning (lacht). Nein, im Ernst – solche Auftritte sollten definitiv der Vergangenheit angehören. Wir haben die richtigen Leute am richtigen Ort und das ist nun ihre Sache. Sie sollen dafür sorgen, dass es funktioniert. Es soll nicht mehr immer nur an mir liegen und ich bin überzeugt, dass dies klappt.

Wie ist denn dieser Marc Lüthi 2.0?
Ein wenig gelassener.

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«Ich gelte als vollständig genesen. Ich bin positiv und optimistisch, dass ich das Ganze physisch ertrage.»
Marc Lüthi, CEO SC Bern
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Nach einer Hirnblutung und einer Herz-OP anfangs 2022 mussten Sie den Hauptfokus auf Ihre Gesundheit legen. Jetzt sind Sie zurück im Stressjob CEO. Nehmen Sie den «Schuss vor den Bug», wie Sie ihn damals bezeichneten, doch nicht so ernst?
Doch. Ich habe ja gesagt, ich sei ein wenig gelassener geworden. Ich war jahrelang allein, noch mit Rolf Bachmann zusammen und mittlerweile sind einige Leute mit an Bord, die helfen an dem Karren zu ziehen und Verantwortung wahrnehmen. Das ist gut so.

Aber gesundheitsfördernd ist das, was Sie tun, schon nicht wirklich. Verdrängen Sie das?
Eine Hirnblutung entsteht nicht wegen Stress. Ich habe auch nicht das Gefühl, dass ich Stress hatte, es war eine Verkettung von unglücklichen Umständen. Ich hoffe, es ist vorbei, ich gelte als vollständig genesen. Ich bin positiv und optimistisch, dass ich das Ganze physisch ertrage. 

Immerhin haben Sie damals das Rauchen aufgegeben. Sind Sie standhaft geblieben?
Nein, ich rauche meine drei bis fünf Zigaretten am Tag. Deutlich weniger als vorher und ein halbes Jahr habe ich gar nicht geraucht. Aber ich lasse mir das nicht nehmen. Ich trinke schliesslich fast keinen Alkohol mehr und eine kleine Freude muss man noch haben können.

Keine Angst, dass Sie, wenn mal drei Spiele verloren gehen, wieder vermehrt zum Glimmstängel greifen?
Nein. Ich bin, wie gesagt, gelassener geworden. Aber ich habe auch Vertrauen in meine Leute.

Schlussfrage: Bald sind Nationalratswahlen. Wählt SCB-Lüthi die klassische Arbeiterpartei SP oder die klassische Bauernpartei SVP?
Ich weiss, was ich wähle. Das sind Namen und nicht primär Parteien. Und die kommen querbeet aus allen Richtungen.

National League 24/25
Mannschaft
SP
TD
PT
1
HC Fribourg-Gottéron
HC Fribourg-Gottéron
1
3
3
2
SC Bern
SC Bern
1
2
3
2
ZSC Lions
ZSC Lions
1
2
3
4
EV Zug
EV Zug
1
1
3
4
Lausanne HC
Lausanne HC
1
1
3
6
HC Lugano
HC Lugano
2
1
3
7
EHC Kloten
EHC Kloten
1
1
2
7
SC Rapperswil-Jona Lakers
SC Rapperswil-Jona Lakers
1
1
2
9
HC Ambri-Piotta
HC Ambri-Piotta
1
-1
1
10
HC Davos
HC Davos
2
-3
1
11
Genève-Servette HC
Genève-Servette HC
1
-1
0
12
EHC Biel
EHC Biel
1
-2
0
12
SCL Tigers
SCL Tigers
1
-2
0
14
HC Ajoie
HC Ajoie
1
-3
0
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