Schweizer Schwimm-Ikone Jérémy Desplanches tritt zurück
«Ich habe noch nie in meinem Leben so geweint»

Nach drei Teilnahmen an Olympischen Spielen, einer Bronzemedaille und unbezahlbaren Erinnerungen tritt die Schweizer Schwimm-Ikone Jérémy Desplanches (30) zurück. Was der Genfer zum Abschied zu sagen hat, geht unter die Haut.
Publiziert: 04.08.2024 um 23:45 Uhr
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Aktualisiert: 05.08.2024 um 10:20 Uhr
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Patrick MäderAutor Blick Sport

Blick: Jérémy Desplanches, es ist vorbei.
Jérémy Desplanches: Ja, es ist vorbei. Ich realisiere das noch nicht. Vielleicht schwimme ich noch bis Dezember, bis zu den Militär-Meisterschaften, um einen etwas sanfteren Abgang zu haben, damit es weniger brutal ist.

Wie sieht es jetzt nach dem letzten Rennen Ihrer langen Karriere in Ihnen aus?
Oh weh, ganz verrückt. Viele gute Gefühle, ich bin sehr emotional.

Haben sich die Opfer, die Schmerzen, all die Mühen schliesslich gelohnt?
Alles hat sich gelohnt. Jedes Opfer, das ich gebracht habe, war es wert. So vieles ist zurückgekommen: persönliche Siege, Siege des Teams, das Lachen im Training. Nichts davon werde ich vergessen. Keinen Meter, den ich geschwommen bin, werde ich bereuen.

Das wars! Jérémy Desplanches schwamm am Samstag sein letztes Rennen. Es war die 4x100-Meter-Staffel.
Foto: keystone-sda.ch
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Ist es der richtige Zeitpunkt, um aufzuhören?
Der perfekte. Ich bin wirklich froh, dass ich den Zeitpunkt selber bestimmen konnte und dass nicht eine Verletzung oder eine Krankheit ihn bestimmt hat. Ich habe Glück.

Wie war es, das letzte Mal nach einem Rennen aus dem Bassin zu steigen?
Nach der Staffel, meinem allerletzten Rennen am Samstag, fühlte ich mich glücklich und aufgewühlt. Nach dem letzten Einzelrennen am Freitag aber, da brachen alle Dämme.

Erzählen Sie.
Ich habe in der Mixed Zone Interviews gegeben, da spürte ich schon ein paar Gefühlswallungen hochkommen. Dann ging ich in die Garderobe, und da ging es richtig los. Ich weinte eine Stunde lang einen Ozean voll. Eigentlich bin ich nicht der Typ, der seine Emotionen rauslässt, bin eher zurückhaltend. Aber da konnte ich nicht anders. Ich habe noch nie in meinem Leben so geweint. Es waren keine Tränen der Enttäuschung, weil ich nicht ins Finale gekommen bin, es waren Tränen der Freude, der Erleichterung, des Dankes.

Konnten Sie die Emotionen in diesem Moment mit jemandem teilen?
Ja, mit dem ganzen Schweizer Team, das in der Halle war. Alle haben mit mir geweint – ein kollektives Schluchzen. Ich werde jede und jeden vermissen und denke, dass sie mich auch ein bisschen vermissen werden.

War das der emotionalste Moment Ihrer Karriere?
Er war jedenfalls sehr emotional, getoppt nur durch Tokio.

Den Gewinn der Bronzemedaille.
Nein, es war der Moment danach, nach den Interviews in der Mixed Zone. Ich war gefasst, glücklich, zufrieden. Die Medaille war für mich keine Sensation, ich habe sie ein bisschen erwartet, weil ich so hart dafür gearbeitet hatte. Dann stand meine Frau Charlotte vor mir in ihrer ganzen Schönheit und weinte das ganze Glück dieser Erde. Da realisierte ich erst, wie bedeutend diese Leistung war, für die anderen, für mich. Dieser Moment ist für immer in meinem Herzen präsent.

In Paris ging es für Sie nicht mehr um eine Medaille, sondern darum, nochmals alles einzusaugen, zu geniessen. Hat das geklappt?
Oh ja. Ich bin mit einem Lächeln im Gesicht in meine letzten Rennen gegangen. Ich habe noch nie vor einem Rennen in die Kamera gelächelt, aber jetzt habe ich mir selber ein Lächeln auferlegt, um mir bewusst zu machen, wie viel Glück ich habe, hier zu sein. Ich werde mit meiner Familie und meinen Freunden hier am 7. August meinen 30. Geburtstag und das Ende meiner Karriere feiern – ohne einen einzigen Gedanken des Bedauerns.

Also sind Sie zufrieden, wie Ihre Karriere verlaufen ist.
Sie war grossartig. Ich bin stolz auf mich. Stünde ich nochmals am Anfang, ich würde nichts anders machen. Ich war nicht der Talentierteste, aber ich war vielleicht derjenige, der am härtesten gearbeitet hat, um das zu erreichen, was ich mir erträumt habe. Ich habe tausend Prozent gegeben. Wenn man nicht an seine Grenzen geht, weiss man auch nicht, wie es da aussieht. Ich gehe ohne Bedauern.

Sie waren der Anführer einer neuen, jungen und hungrigen Schweizer Schwimmgeneration, sind vorangegangen. Was haben Sie Ihren Nachfolgern beibringen können?
Ich denke, dass ich mit meiner Einstellung einen Weg geebnet habe. Ich habe nicht gedacht, dass etwas nicht möglich ist, weil wir die kleinen Schweizer sind. Ich habe die Ziele selbstbewusst und mit sehr viel Ehrgeiz angepackt. Dann sind die Jungen gekommen, und für die ist das selbstverständlich, die trainieren wie verrückt, die schwimmen verrückte Resultate, verrückte Zeiten. Und das Potenzial ist noch längst nicht aufgebraucht. Jetzt fängt die gute Zeit erst an. Es würde mich nicht wundern, wenn es bei den nächsten Olympischen Spielen nicht mehr um Bronze geht, sondern um Gold.

Was nehmen Sie aus Ihrer Karriere mit in Ihr neues Leben?
Wenn ich nach Hause komme, werde ich all die Medaillen haben, die ich gewonnen habe. Aber das Wichtigste sind meine Freunde, mit denen ich so viel Zeit verbracht habe, und meine unglaubliche Frau. Sie sind es, die ich festhalten und behalten werde.

Ein Wort zum Franzosen Léon Marchand, dem grossen Schwimmhelden dieser Spiele. Ganz Frankreich ist verrückt nach ihm.
Ich kenne ihn gut, wir sind schon vor zehn Jahren gegeneinander geschwommen. Ich habe ihn viele Male geschlagen. Aber klar, das war früher. Einmal hatten wir ein Interview, in dem der französische Journalist Marchand fragte, wie es sich denn anfühle neben einem wie Jérémy Desplanches zu schwimmen.

Ist er für Sie einer der grössten Schwimmer aller Zeiten?
Die Bedeutung, die er für den ganzen Schwimmsport hat, ist enorm. Er kann so viele Menschen mitreissen, dass er diesen Sport auf eine neue Popularitätsebene gehievt hat. Er gehört sicher zu den ganz Grossen. Ich hoffe, dass er bleibt, wie er ist, dass er dem riesigen Rummel standhält und er weiter Spass hat, an dem, was er tut.

Wie sehen nun Ihre Pläne für die Zukunft aus?
Ich werde im November mit meinem Papi am New-York-Marathon teilnehmen. Er ist sechzig, ich dreissig, trotzdem wirds für mich die grössere Herausforderung. Ich kann nicht laufen, muss es zuerst lernen. Das heisst, in zwei Wochen werde ich mir Laufschuhe kaufen und mit dem Training loslegen.

Wie sieht Ihr Leben in zehn Jahren aus?
Mal sehen, welche Türen sich öffnen. Aber etwas ist klar: Ich werde etwas machen, das mir Spass macht. Und darin so gut zu sein, wie es mir möglich ist. Aber zuerst steht eine Reise an. Im Januar werden meine Frau und ich unsere Hochzeitsreise nachholen, für die wir noch keine Zeit hatten. Wir werden in die Welt hinausfahren und das Leben geniessen.

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