«Es gibt keinen Spielraum mehr»
Jetzt wird der FIS-Renndirektor deutlich

Es wird heiss diskutiert im Ski-Zirkus, wie der Sport sicherer und nachhaltiger organisiert werden kann. Ein Mann, der dabei an der Front ist, heisst Markus Waldner, der FIS-Renndirektor der Männer. Er spricht Klartext.
Publiziert: 09.02.2024 um 15:58 Uhr
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Aktualisiert: 09.02.2024 um 16:06 Uhr
FIS Chef-Renndirektor Markus Waldner ergreift das Wort.
Foto: Sven Thomann
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Die heftigen Stürze der aktuellen Weltcup-Saison lassen niemanden kalt. Schon 28 Ski-Stars haben sich diesen Winter schwer verletzt (hier gehts zum Blick-Protokoll des Schreckens).

Viel Kritik und Ansätze zur Verbesserung kursieren im Alpin-Lager. Ein Wort hat Gewicht. Es ist das von FIS-Renndirektor Markus Waldner. Der Südtiroler wird bei SportNews.bz deutlich. Die wichtigsten Ausschnitte aus dem Interview des Südtiroler Mediums.

Zur Verletzungswelle in diesem Winter

«Natürlich blutet mir das Herz», sagt Waldner. Aber er relativiert auch: «Es ist nicht das erste Jahr, dass es so schlimm ist. Heuer ist der Unterschied, dass es sehr viele Weltklasse-Athleten erwischte. Deshalb erzeugt es mehr Aufmerksamkeit, der Aufschrei ist grösser. Aber so blöd es klingt: Wir sind im Durchschnitt. Die ganze Geschichte ist sehr komplex. Jeder Sturz hat seine eigene Vorgeschichte.»

In diese Richtung äusserte sich auch der Schweizer Alpin-Direktor Hans Flatscher zu Blick: «Jeder Sturz ist einer zu viel, aber man kann nicht alle Fälle über einen Kamm scheren, sie sind zu unterschiedlich.» Zum Beispiel ist beim schweren Kilde-Sturz bei der Lauberhornabfahrt am 13. Januar zu beachten, dass sich der Norweger gesundheitlich angeschlagen ins längste Rennen des Kalenders stürzte.

Zum Hochrisikospiel im Ski-Zirkus

Waldner mahnt: «Das Material hat den Fahrer längst überholt. Um immer schneller zu sein in diesem Hochrisikosport, wird das Material immer mehr ausgereizt. Es sind längst nicht mehr nur die Ski alleine, die gefährlich sind. Es ist die Kombination Bindung, Bindungsplatte, Skischuh und Ski, die fatal ist. Die Serviceleute, die Industrie, die Entwickler und Tüftler – alles wird einer noch höheren Kurvengeschwindigkeit untergeordnet. Es gibt absolut keinen Spielraum mehr für Fahrfehler. Dann explodiert das ganze Paket. Die Bindungen sind zudem derart fest eingestellt, dass sie kaum mehr aufgehen. Mit fatalen Konsequenzen für die Athleten.»

Zur Kritik am Rennkalender

Ein häufiger Kritikpunkt lautet: 45 Rennen pro Geschlecht und Saison sind zu viel des Guten. Auch Waldner ist selber unzufrieden, kritisiert drei Punkte: Dass die Saison für die Abfahrer Mitte Februar schon fast durch ist (bei Männern nur noch Kvitfjell und Saisonfinal in Saalbach), dass man die Reiserouten zu wenig berücksichtigt habe und für Technikrennen nochmals nach Übersee geht. Und der grosse Stress mit verschobenen Rennen – allen voran diesen Januar Wengen. Hierzu sagt er: «Ich bin gegen das Einschieben von Nachholrennen. Die haben null Marketingwert. Das sollten wir in Zukunft nicht mehr machen, es ist eine Überladung des Sports. Zu oft präsent sein, finde ich nicht gut.»

Doch Waldner muss neben dem vielen Applaus für die Konsequenzen, die er nach den vielen Stürzen zieht, auch einiges an Kritik anhören. Der österreichische Abfahrtschef Sepp Brunner (65) ist der schärfste Ankläger: «Nachdem die beiden Abfahrten in Chamonix aufgrund von Schneemangel abgesagt werden mussten, kommen in dieser Woche alle Athleten in den Genuss vor einer Ruhepause. Deshalb könnten wir übernächste Woche im Kvitfjell problemlos neben der ursprünglich geplanten Abfahrt und dem Super-G ein drittes Rennen durchführen. Aber leider schaltet Waldner jetzt auf stur.»

Zum Durchsetzen von Sicherheitsausrüstung

Kilde erlitt bei seinem Lauberhorn-Sturz gruselige Schnittwunden und sagte im Eurosport-Interview: «Ich habe in Wengen keine schnittfeste Unterwäsche getragen – das war das letzte Mal. Es hätte mich mein Leben kosten können.»

Waldner will auch hier wachrütteln: «Einige Athleten verwenden die Unterwäsche und die Airbags, einige nicht. Es wäre höchst an der Zeit, Klarheit zu schaffen, sprich es als Pflicht einzuführen. (...) Ein Topfahrer hat mir einmal gesagt, dass er auf jedes Sicherheitsdetail verzichten würde, wenn er dafür einige Zehntelsekunden schneller ist. Beim MotoGP oder in der Formel 1 werden Entscheidungen von oben herab getroffen. Dort werden nicht die einzelnen Piloten gefragt, ob ihnen etwas passt oder nicht. Der weltbeste Skirennfahrer – Marco Odermatt – fährt seit jeher mit Airbag. Von ihm habe ich noch nie Klagen gehört, dass er sich damit in irgendeiner Weise eingeschränkt fühlt.» (str)

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