Der STV-Boss sagt nicht die Wahrheit
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Drohungen und Psychospielchen:So schlimm werden unsere Turnerinnen behandelt

Drohungen, Beschimpfungen, Psychospiele
So schlimm werden unsere Turnerinnen behandelt

Ex-Athletinnen der Rhythmischen Gymnastik erheben schwere Vorwürfe: Sie sollen in der Nati von ihrer Trainerin gequält worden sein. Geschützt habe sie der Verband nicht. Die Sportlerinnen mussten gehen, die Trainerinnen sind weiter im Amt.
Publiziert: 23.06.2020 um 00:44 Uhr
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Aktualisiert: 05.07.2020 um 22:50 Uhr
Cheftrainerin Iliana Dineva beobachtet das Nationalkader der Rythmischen Gymnastik.
Foto: Urs Lindt/freshfocus
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Emanuel Gisi und Bettina Brülhart

Sie träumten von der Olympia-Teilnahme mit der Schweizer Nationalmannschaft. Der Traum platzte, den früheren Nati-Mitgliedern der Rhythmischen Gymnastik bleiben die Schmerzen – körperlich, aber auch seelisch. Es geht um Drohungen, Beschimpfungen, Druck und Psychospielchen und um Trainerin Iliana Dineva, die laut BLICK-Recherchen mit ihren Methoden dafür sorgte, dass der Schweizerische Turnverband in Magglingen das Gastrecht verlor. Etwas, das noch nie einem Verband im Land passiert ist.

«Ich habe immer noch Schmerzen», sagt eine der Ex-Natiathletinnen zu BLICK. Ihre Hüftprobleme werden die 20-Jährige für den Rest ihres Lebens begleiten. «Die Nati-Trainerinnen haben mir gesagt: ‚Du musst es jetzt einfach machen.’ Auch wenn ich klar gesagt habe, dass ich nicht kann. ‚Danach gehst du in die Physio, dann ist es schon gut’, sagten sie darauf.» Ihren Namen will die junge Frau nicht in der Zeitung lesen. Wie die meisten ihrer ehemaligen Nati-Kolleginnen ist sie im Verband immer noch aktiv.

Die Anekdote passt zum Knall, der Anfang 2019 den Schweizerischen Turnverband erschütterte. Da verliert die STV-Abteilung Rhythmische Gymnastik das Gastrecht im Leistzungszentrum Magglingen. Im nationalen Sportzentrum, wo die Schweizer Eliteathleten aller möglichen Disziplinen trainieren, sind die STV-Sportlerinnen vorerst nicht mehr erwünscht. Der Grund: Schwere ethische Verfehlungen. Was konkret bedeutet: Hochproblematische Trainingsmethoden.

Bleibende Schäden

So setzte die Nationaltrainerin Iliana Dineva ihre Schützlinge laut mehreren Athletinnen unter Druck, auch verletzt zu trainieren. «Das ist nur Schauspiel», hörten manche Turnerinnen mehr als einmal über ihre Verletzungen. Die Sportlerinnen, an Fuss, Schulter oder Hüfte verletzt, trugen zum Teil bleibende Schäden davon. Die Ex-Nati-Athletin Gina Dünser sprach im Winter in der «Aargauer Zeitung» davon, wie sie sich mit Schmerzmitteln vollpumpen musste, um Trainings und Wettkämpfe überstehen zu können.

Wenn sie den Spagat nicht im ersten Moment sauber geschafft habe, hätten die Trainerinnen manche Kader-Athletin mit Gewalt nach unten gedrückt, erzählt Jasmin Frieden. Die heute 20-Jährige hat dem STV komplett den Rücken zugekehrt. «Die Trainerinnen waren sehr hart, haben uns angeschrien.» Dineva habe regelrechten Psychoterror ausgeübt. Als «fette Kuh» sei sie von der Nationaltrainerin bezeichnet worden. «Und ich war sicher nicht dick. Aber ich habe bis heute mit den Folgen zu kämpfen. Ich mache kein RG mehr, nur noch ein bisschen Fitness. Wenn ich mich im Spiegel anschaue, habe ich das Gefühl, ich sei ein Walross. Dabei weiss ich eigentlich, dass ich gesund bin.»

Eine ihrer Ex-Kolleginnen erinnert sich: «Eine Teamkollegin war krank, musste erbrechen. Danach kam sie wieder ins Training, völlig abgemagert. Die Nati-Trainerin hat ihr ein Kompliment gemacht: ‚Ok, du warst krank und hast Trainings verpasst, aber wenigstens bist du dünner geworden.’» Es sei einmal auch vorgekommen, dass es nach einem verpatzten Wettkampf fürs Team nichts zu essen gegeben habe.

Im Team habe ein «Klima der Angst» geherrscht, sagt Frieden. «Wir trauten uns nicht, etwas zu sagen. Wenn wir uns beklagten, hiess es, die Zukunft der Rhythmischen Gymnastik in der Schweiz hinge von uns ab. Wegen uns könnte die ganze Sportart gestrichen werden beim STV.» Das sagt auch Tamara Stanisic, eine weitere ehemalige Teamkollegin Friedens, der «AZ». Drohungen, die auch STV-Leistungssportchef Felix Stingelin geäussert habe, wie mehrere Athletinnen bestätigen.

«Das war der reine Terror»

Dineva habe die Turnerinnen gegeneinander ausgespielt, sagt Frieden. «Wenn eine etwas falsch gemacht hat, hat sie uns alle bestraft und uns gesagt, wer schuld ist. Das war der reine Terror.»

Beim Bundesamt für Sport (Baspo), Gastgeber in Magglingen, sind die Probleme bekannt. Sprecher Christoph Lauener bestätigt gegenüber BLICK den Entzug des Gastrechts für die STV-Abteilung. «Die Zusammenarbeit funktionierte nicht in allen Bereichen wunschgemäss; es ging dabei um unterschiedliche Ansichten in der Athletenbetreuung und Trainingsmethodik. Deshalb wurde die Zusammenarbeit mit dem STV im Bereich RG im Frühling 2019 vorübergehend eingestellt und der Leistungsumfang reduziert», so Lauener auf Anfrage.

Weil der STV angekündigt habe, die Einhaltung ethischer Grundsätze zu verbessern, durfte die RG-Abteilung im Sommer wieder zurück ins Leistungszentrum. «Die Gruppe kann entsprechend Reservationen vornehmen.»

Bereits im Oktober 2018 hatte der STV Konsequenzen gezogen, nachdem mit Platz 25 an der WM die Olympia-Quali verpasst wurde. Doch nicht die Trainerinnen wurden gefeuert – nein, das komplette Nationalkader wurde ausgetauscht. «Diesem Team wollten wir eine Chance geben», heisst es beim Baspo. Auch wenn man der Sache noch nicht ganz zu trauen scheint. «Aus diesem Grund stellen wir nach wie vor und soweit möglich die Infrastruktur zur Verfügung, bieten aber im Unterschied zu vorher keine sportwissenschaftlichen und –medizinischen Dienstleistungen mehr an.» Das ist keine vollständige Rehabilitation.

So reagiert der STV

Der STV sah sich am Montag nicht in der Lage, eine BLICK-Anfrage auf die Vorwürfe zu beantworten. «Wir nehmen die Thematik sehr ernst und werden die vorliegenden Informationen und Vorwürfe genau prüfen», so Sprecher Thomas Greutmann.

Es ist bei weitem nicht die erste Eskalation zwischen dem STV und seinen Athletinnen. Schon die Nationaltrainerinnen Vesela Dimitrova und Heike Netzschwitz mussten wegen Fehlverhaltens den Hut nehmen. Zumindest Dimitrova fiel weich: Sie wurde kurz darauf vom RLZ Aargau als Kunstturn-Trainerin eingestellt.

Schon im Jahr 2007 suspendierte der damalige STV-Leistungssportchef Ruedi Hediger das komplette Kunstturn-Frauenteam um Ariella Kaeslin, nachdem sich die Turnerinnen gegen den Führungsstil von Nationaltrainer Eric Demay gewehrt hatten, der die Athletinnen mobbte und tyrannisierte. Kaeslin wurde 2009 Europameisterin und Vize-Weltmeisterin. «Man kann uns den Vorwurf machen, zu spät gehandelt zu haben», sagte Hediger da. «Wir haben versucht, mit einer Mediation und dem Beizug einer Psychologin die Probleme unter Kontrolle zu bringen.» Geändert zu haben scheint sich seither nicht viel. Hediger wurde kurz nach dem Fall Demay Geschäftsführer beim STV. Die Probleme scheinen unter Nachfolger Felix Stingelin dieselben geblieben zu sein.

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