Erschütternder Turn-Skandal in Wil
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Ein weiterer Fall
Erschütternder Turn-Skandal in Wil

Erfahrungsberichte von Athletinnen aus der Rythmischen Gymnastik schockieren gerade die Schweiz. Doch auch im Kunstturnen gibts einen Fall, der für Entsetzen sorgt.
Publiziert: 23.06.2020 um 13:05 Uhr
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Aktualisiert: 23.06.2020 um 14:03 Uhr
  • Trainer nach Missbrauchsvorwurf entlassen
  • Ausgerechnet seine Frau wird Nachfolgerin
  • Opfer-Hilfe-Expertin schlägt Alarm
Emanuel Gisi

Ex-Athletinnen der Rhythmischen Gymnastik erheben schwere Vorwürfe. Sie berichten, wie sie von ihrer Trainerin gequält und gedemütigt wurden (BLICK berichtete). Ein Fall, der erschüttert, genau wie dieser im Kunstturnen aus der Ostschweiz, der 2019 publik wurde. Der Frauen-­Cheftrainer am Regionalen Leistungszentrum (RLZ) der Turner in Wil wird verhaftet und in ­Untersuchungshaft gesteckt. Laszlo G. soll sich 2017 an einer ­damals 15-jährigen Turnerin sexuell vergangen haben. Der Vorwurf: Er habe die Kunstturnerin nach Hause gelockt, mit Alkohol gefügig gemacht und sie mehrfach sexuell missbraucht.

Er wird fristlos gefeuert. Als Ersatz befördert das RLZ ausgerechnet seine Ehefrau zur Cheftrainerin, obschon die 41-Jährige sich öffentlich hinter ihren Ehemann stellt. Die Rochade hat den Segen des Schweizerischen Turnverbandes (STV) – dieser hat für die Besetzung des Cheftrainer-Postens in allen RLZ der Schweiz Mitspracherecht.

Angefeindet, als Lügnerin bezeichnet

«Wenn ich das höre, stehen mir die Haare zu Berge», sagt Agota Lavoyer, stellvertretende Leiterin der Opferberatungsstelle Lantana. Und dies, obwohl der Fall noch hängig ist. «In ­einem solchen Fall muss der Beschuldigte weg und jeder, der sich mit ihm solidarisiert. Dem jeden Tag ausgesetzt zu sein, ist auf mehreren Ebenen höchst problematisch. Die Beförderung seiner Frau zur Cheftrainerin ist nicht auf rechtlicher, aber umso mehr auf ethisch-moralischer Ebene sehr fragwürdig. Das kann für das Opfer massive psychische Folgen haben.»

Der Cheftrainer der Kunstturnerinnen wurde nach den Vorwürfen entlassen.
Foto: Zvg
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So auch in Wil: Die junge Turnerin muss fortan mit der Frau ihres mutmasslichen Peinigers zusammenarbeiten, gleichzeitig wird sie von Kunstturnkolleginnen und deren Eltern angefeindet, als Lügnerin bezeichnet. Im November schmeisst das mutmassliche Opfer hin und hört mit dem Turnsport auf.

Verband wusste Bescheid

Ein Karriereende, weil bei der Beförderung zu wenig sensibel vorgegangen wurde? Wie lässt sich die Weiterbeschäftigung der Trainer-Gattin mit der Ethik-Charta von Swiss Olympic vereinbaren? Dieser hat sich auch der STV verpflichtet und darin heisst es: «Physische und psychische Gewalt sowie jegliche Form von Ausbeutung werden nicht toleriert. Sensibilisieren, wachsam sein und konsequent eingreifen.»

Bei Swiss Olympic gibt man sich zurückhaltend. «Letztlich ist es so, dass gegen die Frau keine relevanten Vorwürfe vorliegen und daher für sie auch keine Sippenhaft gelten darf», sagt ein Swiss-Olympic-Sprecher zu BLICK. Der Dachverband hat keinen Einfluss darauf, wen ein Verband im RLZ als Trainer einstellt, hat im Fall Wil aber vermittelt. «Es fand eine Aussprache zwischen Vertretern des mutmasslichen Opfers und des STV statt. Thema war die Klärung und Verbesserung der schwierigen Situation der Turnerin im RLZ. Swiss Olympic hatte bei diesem Gespräch eine koordinierende und moderierende Aufgabe.» Zum Inhalt des Austauschs mit dem STV macht der Dachverband in der Öffentlichkeit keine Angaben. Bekannt ist: «Es gibt entsprechende Fachstellen für diese Thematik. Diese wurden im Rahmen des vorliegenden Falles einbezogen.»

Wie ein Schlag ins Gesicht

Vom Fach ist auch Opferhilfe-Beraterin Lavoyer. «Wie kann man ernsthaft sagen, man nehme sexuelle Gewalt ernst und dann so etwas zulassen?», fragt sie. «Das ist ein Schlag ins Gesicht für die Betroffene und auch ein ganz fragwürdiges Zeichen an die anderen Turnerinnen.» Den Mut aufzubringen, den Täter anzuzeigen und dafür noch bestraft zu werden, «das ist ein verheerendes Signal».

Ausserdem könnte es nun sein, dass das Opfer noch stärker leide als ohnehin schon. «Wenn das Umfeld gut reagiert, erleichtert das die Traumabewältigung. Wenn betroffene allerdings für die Tat verantwortlich gemacht werden oder ihnen gar kein Glauben geschenkt wird, erschwert das die Verarbeitung des Traumas.»

Der STV sieht sich am Montag nicht in der Lage, Fragen von BLICK zum Thema zu beantworten. Klar ist jetzt schon: Ein bisschen wird die Ehefrau des Beschuldigten künftig zurückgestuft. Sie ist neu Assistenztrainerin in Wil. Ende Mai wurde der US-Amerikaner Christopher Lakeman als neuer Cheftrainer und Technischer Direktor vorgestellt.

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