Auf Facebook reingefallen
Er träumte vom grossen Geld

Er hat 200’000 Franken Schulden und einen Traum. Den will er mit einem Kredit über Facebook verwirklichen – und landet vor Gericht.
Publiziert: 18.06.2024 um 19:42 Uhr
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Aktualisiert: 19.06.2024 um 11:53 Uhr
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Thomas Angeli
Beobachter

Ausgerechnet Abba. «One of us is crying», tönt es aus der Papiertasche am Boden, «One of us is lying …», dann findet der Mann, den wir hier Peter Meiner nennen, das Handy und schaltet es aus. «Abba», sagt der Richter und kann sich ein Lächeln nicht verkneifen. «Gefällt mir halt», sagt Meiner, der Angeklagte. Regionalgericht Berner Oberland, Scheibenstrasse 11, Thun.

Der lange Flur ist mit Pressspanplatten verkleidet, die senkrechten Schlitze erinnern an Gitterstäbe. Rechts liegen die Besprechungszimmer, links die acht Gerichtssäle. Im Gang hängen Fotos von Niesen und Thunersee, in einer Nische Bilder von Stacheldraht, Ketten und einem Korsett. Als ob sich jemand sehr viel überlegt hätte. Oder gar nichts.

Ein Traum hat Peter Meiner vor Gericht gebracht. Der Traum von einfach verdientem Geld, das ihn aus der Misere ziehen sollte. Denn Peter Meiner – 64, gelernter Schreiner – steht nicht auf der Sonnenseite des Lebens. Dreizehn Operationen am linken Knie, fünf am rechten. Ein kaputter Rücken, Schrauben in der Hand, eine chronische Lungenkrankheit, Schlafapnoe. Übergewicht, das eine Magenverkleinerung notwendig macht.

Peter Meiner suchte dort nach Geld, wo alles ein wenig einfacher erscheint ....
Foto: Illustration bunterhund
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Artikel aus dem «Beobachter»

Das ist ein Beitrag aus dem «Beobachter». Das Magazin berichtet ohne Scheuklappen – und hilft Ihnen, Zeit, Geld und Nerven zu sparen.

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Seit über 20 Jahren ist an eine normale Arbeit nicht mehr zu denken. Seit Oktober 2019 lebe er von der IV und von Ergänzungsleistungen, erzählt Meiner dem Richter, vorher mehr schlecht als recht vom Sozialdienst. «Jetzt reicht es gerade so zum Leben.» 2900 Franken pro Monat. Und 200’000 Franken Schulden.

Zu einfach, um wahr zu sein

In seinem Traum hätte Peter Meiner für 1,3 Millionen ein Mehrfamilienhaus in Interlaken gekauft, eines, das «ganz ordeli zwäg» gewesen wäre. Ein Haus mit sechs oder acht Wohnungen, so genau weiss das Peter Meiner nicht mehr. Das Haus hätte Einnahmen abgeworfen. So viel, dass Peter Meiner anständig hätte leben können. Selbst seine Schulden hätte er damit irgendwann abbezahlt. Hätte. Wäre. Es klingt alles etwas zu einfach, um wahr zu werden.

Die Realität holte Peter Meiner schnell ein. «Wenn du IV und Schulden hast, kriegst du von keiner Bank eine Hypothek», sagt er vor Gericht. Für die Hoffnung auf ein besseres Leben gibts keinen Kredit. «Da war nichts zu machen.» Also probierte er es bei einem Kreditinstitut. Er fälschte drei Lohnausweise und bat um 40’000 Franken. Doch die Fälschungen auf dem Antragsformular waren derart dilettantisch, dass die Firma umgehend ablehnte.

«Arglistig» sei das gewesen, schreibt die Staatsanwältin in ihrer Anklageschrift. Tatsächlich war es auch nicht das erste Mal, dass Peter Meiner mit dem Gesetz in Konflikt kam. 2020 hatte er schon einmal eine bedingte Strafe kassiert – wegen Betrugs.

Ein Kredit im Internet

Peter Meiner suchte dort weiter, wo alles ein wenig einfacher erscheint. Wo das Geld locker sitzt und niemand nach Vergangenheit oder Schulden fragt: im Internet. Auf Facebook wurde er fündig.

In der virtuellen Welt schien plötzlich möglich zu sein, was in der realen Welt unerreichbar war: Der IV-Rentner erhielt einen Kredit. Oder besser: das Versprechen auf einen Kredit. 1,5 Millionen Franken, mit einem Zins von zwei oder drei Prozent, so genau weiss er auch das nicht mehr. Sicherheiten wie bei einem normalen Bankkredit, Lohnabrechnungen, Grundpfandbriefe? Brauchte es nicht.

Alles lief so einfach, wie er es sich erträumt hatte. Ein Mann, der sich Lo Grasso nannte, schickte einen Darlehensvertrag, Peter Meiner setzte seinen Namen und das Datum darunter. Man schrieb den Frühling 2020. Die Welt wegen der Pandemie aus den Fugen geraten – und für IV-Rentner Meiner gerade schwer in Ordnung. Die Liegenschaft in Interlaken und das sorgenfreie Leben schienen zum Greifen nah, nur ein paar Formalitäten entfernt.

Der Mann, der sich Lo Grasso nannte, verlangte nach Angaben, die man sonst nicht an Fremde herausgibt: nach Meiners Bankkarte und den Zugangsdaten für das Konto. Der Rentner lieferte, und auf dem Konto trafen Zahlungen ein: 150 Franken, 98 Franken, 582 Franken. Dann noch einmal 660 und 500 Franken. Aber nie die 1,5 Millionen, auf die Peter Meiner so sehnlichst wartete.

Die Gelder stammten von seinen Mitarbeitenden, erklärte Lo Grasso. Diese würden testen, ob das Konto funktioniere – damit der 1,5-Millionen-Kredit dann auch tatsächlich ankomme. Peter Meiner verstand das. Was er nicht verstand: Er machte sich damit strafbar.

«Unbekannte Täterschaft»

Mit der Herausgabe seiner Kontoinformationen wurde Peter Meiner zum «Money Mule»; einem Geldesel, der dabei hilft, Menschen zu betrügen. Über sein Konto wurde Geld gewaschen, das Kriminelle mit einer fiesen Masche ergaunert hatten.

Der Trick, den sie dabei anwendeten, ist fast so alt wie das Internet. Er funktioniert immer wieder, weil Kundinnen und Kunden nicht aufpassen. Weil die Betrüger immer raffinierter werden. Und weil es Gutgläubige wie Peter Meiner gibt.

Denn der Mann namens Lo Grasso heisst mit Sicherheit anders. Und mit ziemlicher Sicherheit handelt er nicht allein. «Unbekannte Täterschaft» heisst das auf Juristendeutsch, und so steht es auch in der Anklageschrift. Diese unbekannte Täterschaft schaltete im Namen von Peter Meiner Anzeigen auf Verkaufsplattformen wie Tutti und Ricardo.

Meiner ist nicht einziges Opfer

Mindestens zwölf Personen fielen darauf herein. Unter ihnen war auch ein kleiner Junge, der monatelang für ein iPhone gespart hatte, 660 Franken dafür bezahlte und das erträumte Handy nie erhielt.

Der Vater des Jungen sitzt an diesem Vormittag schräg rechts hinter Peter Meiner am Tisch für die Privatkläger. Als er realisiert, dass Peter Meiner ebenso sehr Opfer wie Täter ist, zieht er die Klage zurück und verzichtet auf die angebotene Wiedergutmachung von 500 Franken. Peter Meiner atmet ein erstes Mal auf. «Ich wünsche Ihnen alles Gute», sagt der Mann und verlässt den Gerichtssaal.

Meiners Anwältin nickt zufrieden. Sie hat ihren Mandanten gut auf die Verhandlung vorbereitet. «Ich war wohl ziemlich gutgläubig», sagt dieser während der Befragung immer wieder. Und erzählt ungefragt von seinem Vater: dass dieser ein Narzisst gewesen sei, ein «Nicht-Mensch». «Er gab mir das Gefühl, er habe mich nicht gewollt.» Das klingt seltsam einstudiert und tut nichts zur Sache. Der Gerichtspräsident nimmt es mit unbewegter Miene zur Kenntnis. Er weiss, was Anwältinnen und Anwälte ihrer Kundschaft raten.

Als er weiterfragt, wird klar: Peter Meiner wehrte sich lange gegen das Platzen seines Traums. Unzählige Male wurde er von Lo Grasso vertröstet. Auf seinem Konto trudelten derweil weitere Zahlungen ein. Das Geld wurde wieder abgehoben. Doch von seinem versprochenen Kredit – den anderthalb Millionen – sah Meiner nie etwas. Schliesslich hob er selbst 1700 Franken ab. Er habe den Betrag als Pfand verstanden, erklärt er vor Gericht: «Ich wollte etwas in der Hand haben.» Lo Grasso war das herzlich egal. Irgendwann reagierte er nicht mehr auf Meiners Kontaktversuche. Der Geldesel hatte seinen Dienst getan.

Die Polizei steht vor der Tür

Doch Peter Meiner – stur, gutgläubig, naiv – gab nicht auf. Seine nächste Hoffnung nannte sich Anna Paula und versprach sogar noch mehr Kredit. Zwei Millionen Franken sollten es diesmal sein. Alles, was Meiner dafür tun musste: zwei neue Konten eröffnen und alle notwendigen Angaben an eine Adresse in Deutschland schicken. Und wieder tat Peter Meiner wie geheissen. «Ich war wohl etwas gutgläubig», sagt er dazu, ein weiteres Mal. An die Adresse erinnert er sich nicht mehr – auch Anna Paula ist eine «unbekannte Täterschaft».

35’503 Franken und 50 Rappen landeten so auf den beiden Konten: «Meiner Peter stellte die Konten, die Konto- und Zugangsdaten der unbekannten Täterschaft willentlich und im Wissen darum, dass deliktische Gelder eingezahlt werden würden, zur Verfügung», schreibt die Staatsanwältin in ihrer Anklageschrift. Sie ist an diesem Vormittag nicht im Gerichtssaal anwesend. Der Fall ist klar, mit der Anklage alles gesagt.

Polizei holte ihn ab

Wann dämmerte Peter Meiner, dass aus seinem Traum ein Albtraum wurde? Zu vermuten ist: spätestens am 24. Februar 2021, morgens um 6.10 Uhr. Als acht Polizisten vor der Tür standen, Handy und Computer konfiszierten und ihn nach Bern verfrachteten.

Heute, fast drei Jahre später, ist der Traum vom sorgenfreien Leben endgültig geplatzt. Stattdessen erhält Peter Meiner acht Monate Gefängnis bedingt und muss Verfahrenskosten von 14’750 Franken bezahlen. Die Staatsanwältin hatte zehn Monate unbedingt beantragt. «Ich glaube, Sie haben jetzt begriffen, dass mit solchen Krediten der Schuss nach hinten losgeht», sagt der Richter, und Peter Meiner nickt.

Dann klingelt das Handy. «One of us is crying», singt Abba. «Ke Seich meh», sagt der Richter. Die Verhandlung ist geschlossen.

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