Chef Mario Irminger baut das Dutti-Universum um wie kein anderer vor ihm
«Wir müssen uns von Aktivitäten, die wild gewachsen sind, wieder trennen»

Es ist sein erstes grosses Interview, seit er den Chefposten bei der Migros übernommen hat. Seit Mai befindet sich der Dutti-Konzern im Grossumbau. Gegenüber Blick spricht Mario Irminger exklusiv über seine Pläne mit dem Kerngeschäft und den Fachmärkten.
Publiziert: 09.11.2023 um 00:14 Uhr
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Aktualisiert: 09.11.2023 um 17:51 Uhr

Er hat im Mai den Spitzenposten der Migros angetreten – des grössten privaten Arbeitgebers der Schweiz: Mario Irminger (58), langjähriger Denner-Chef. Seitdem läuft der umfassendste Umbau in der Geschichte des Dutti-Universums. Im Fokus: die Supermarkt AG. Das Kerngeschäft mit den Supermärkten will die regional geführte Migros zentralisieren und profitabler machen. Ausgerechnet die Kontrolle über die neue Einheit muss der Präsident der Generaldirektion des Migros-Genossenschafts-Bundes (MBG) abgeben. Dennoch besteht Irminger für sein erstes grosses Interview auf Bilder im Supermarkt, der sich im Untergeschoss des Hauptsitzes der Migros-Zentrale in Zürich befindet.

Blick: Herr Irminger, der Fototermin muss vor der Migros-typischen Brotauslage auf dem Hoheitsgebiet der von Peter Diethelm geführten Supermarkt AG stattfinden. Wollen Sie Ihre Macht demonstrieren?
Mario Irminger: Wenn Konsumentinnen und Konsumenten über die Migros sprechen, dann meinen sie den Supermarkt. Dieses Geschäft ist das Herz der Migros. Darum ist es mir wichtig, dass es im Vordergrund steht. Es geht mir nicht um eine Machtdemonstration.

Ihre Vorgänger hatten Jahrzehnte lang das Sagen. Jetzt verschieben sich die Machtverhältnisse im Konzern. Wie gehen Sie damit um?
Dass der MGB-Chef faktisch der Migros-Chef ist und über alles das Sagen hat, ist falsch. Das war auch bei meinen Vorgängern nicht anders. Der Chef des MGB und die der zehn regionalen Migros-Genossenschaften sind zusammen elf Entscheidungsträger, die die operative Verantwortung innehaben. Die Kommunikation der ganzen Migros-Gruppe nach aussen gehört zu meinen Aufgaben. Übrigens bin ich nicht angetreten, um ein möglichst grosses Reich zu führen. Im Inneren bin ich ein Händler geblieben.

Seit Mai 2023 an der Migros-Spitze: Ex-Denner-Chef Mario Irminger.
Foto: Thomas Meier
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Sie sind seit 6 Monaten für fast 100'000 Mitarbeitende zuständig. Was macht diese grosse Verantwortung mit Ihnen?
Ich fühle mich in meiner Arbeit beflügelt, die Herausforderungen sind allerdings immens. Das Thema Klimawandel beispielsweise beschäftigt mich stark, weil die Migros massiv von der Landwirtschaft abhängt. Innerhalb der Migros-Gruppe sind es die Super- und Fachmärkte, wo wir uns neu aufstellen müssen, um die aktuellen Herausforderungen zu meistern.

Sie krempeln das Kerngeschäft um, packen die Supermärkte in eine neue Einheit. Die Migros, ein Fall für den Sanierer?
Nein, es braucht keinen Sanierer, die Migros ist finanziell kerngesund. Die Gewinne haben sich aber weg vom Kerngeschäft hin zum Handel (Anm. d.R. Migrolino, Denner) und zur Migros Bank verschoben, die operativ sehr gut unterwegs sind. Bei den Supermärkten verlieren wir seit über einem Jahrzehnt substanziell Marktanteile, während beispielsweise unser Denner viel besser vom Bevölkerungswachstum in diesem Zeitraum profitieren konnte. Wir sind teilweise ineffizient und können unserer Kundschaft nicht immer das beste Preis-Leistungs-Verhältnis bieten. Mit der neuen Supermarkt AG wollen wir auf den Erfolgspfad zurück.

Was sind die Vorteile der Supermarkt AG für die Kundinnen und Kunden?
Wir haben es verpasst, unser Ladennetz in gewissen Regionen zu erneuern und die Expansion mit kleineren Ladenformaten, die heute dem Kundenwunsch entsprechen, voranzutreiben. Das ändern wir jetzt. Zudem vereinheitlichen wir die Leistungen und Sortimente für unsere Kunden über die ganze Schweiz. Mehr Effizienz bedeutet auch, dass wir unseren Kunden gute Preise bieten können, um die steigende Belastung der Haushalte durch die Kostenexplosion bei Krankenkassenprämien, Strompreisen und mehr etwas abzufedern.

Langweilen Sie so nicht Ihre Kundschaft, wenn es alles überall einheitlich zu kaufen gibt?
Überhaupt nicht, denn die zehn Genossenschaften werden weiterhin ihre regionalen und lokalen Produkte, vor allem in der Frische, anbieten.

Bringt die Restrukturierung einen Personalabbau mit sich?
Weil wir Doppelspurigkeiten beseitigen, was zu Effizienzsteigerungen führen soll, kann ich einen Personalabbau nicht ausschliessen. Wie viele Arbeitsplätze wegfallen, wissen wir im kommenden Jahr. Auf der anderen Seite haben wir 1700 Stellen in der ganzen Migros-Gruppe, die derzeit unbesetzt sind. Wir haben nicht nur einen Fachkräftemangel in der Schweiz, sondern laufen strammen Schrittes in einen Arbeitskräftemangel hinein.

Die Migros bleibt super-komplex, kaum einer steigt da mehr durch. Tun sich die Delegierten deshalb so schwer mit der Reorganisation?
Die Migros hat ein einzigartiges, föderales und basisdemokratisches System. Dass die Genossenschafter bei gewissen Themen abstimmen können, ob sie etwas wollen oder nicht, gibt es in diesem Umfang nirgends auf der Welt. Ich finde das grossartig, auch wenn das manchmal mühsam ist.

Die Delegierten-Versammlung stimmt am 11. November über die Verkleinerung der MGB-Verwaltung ab. Vor zwei Monaten kamen Sie nicht durch damit. Was lassen Sie den Delegierten nun vorschlagen?
Wir schlagen eine substanzielle Verkleinerung der Verwaltung von 23 auf 13 Personen vor. Es soll nur noch 5 Vertreter aus den Regionen, 5 externe Vertreter, Präsidentin und zwei Arbeitnehmer-Vertreter geben.

Sie verzichten auf Ihre Stimme?
Bislang hatte der Präsident der Generaldirektion auch in der Verwaltung einen Sitz. Künftig bin ich nicht mehr stimmberechtigt, aber als beratendes Mitglied weiterhin dabei.

Diese 110 Delegierten werden auch über die Gründung der Supermarkt AG abstimmen. Nur noch Formsache?
Ich bin zuversichtlich, dass wir sowohl für die Verkleinerung der Verwaltung als auch für alle Traktanden zur Supermarkt AG eine Mehrheit finden. Damit schaffen wir den formalen Rahmen, dass wir mit der neuen Einheit wie geplant am 1. Januar 2024 starten können.

Sie gelten als der Manager mit dem «Effizienzgedanken im Erbgut». Warum stellen Sie die M-Industriebetriebe nicht gleich in den Zuständigkeitsbereich der Supermarkt AG?
Die Umstellung der Technologiebasis im Kerngeschäft ist ein gigantisches Projekt, die uns bis Ende 2027 beschäftigen wird. Unmöglich, hier auch gleich noch die Industrie unter das Dach der Supermarkt AG zu migrieren.

Es rumpelt in den Migros-Fabriken. Deren Chef muss den Posten räumen, weitere Führungskräfte wie der Micarna-CEO steigen aus. Was läuft hier falsch?
Falsch läuft hier gar nichts. Personalwechsel gehören zum Geschäftsalltag. Zufällig fallen einige Abgänge gerade zusammen.

Fast 6 Milliarden Umsatz, zuletzt aber fast einen Verlust eingefahren. Wo hat sich die M-Industrie, Hauptlieferant der Migros-Supermärkte, verzettelt?
Migros-Gründer Gottlieb Duttweiler hat sich selber geholfen und die eigene Industrie gegründet, weil seine Läden mit ganz vielen Produkten nicht mehr beliefert wurden. Mit der Zeit kamen immer mehr Industriezweige hinzu. Den Hauptzweck, für die Migros die besten Produkte zu den günstigsten Preisen herzustellen, haben wir zuletzt etwas aus den Augen verloren. Wenn wir die Industrie nun neu aufstellen, müssen wir uns von Aktivitäten, die wild gewachsen sind, auch wieder trennen.

Worauf soll sich die M-Industrie konzentrieren?
Unsere Industrie hat ihren Beitrag zur Versorgung des Landes sicherzustellen, sie muss wieder wirtschaftlich sein und die Wettbewerbsfähigkeit zurückgewinnen.

Nicht nur die M-Industrie krankt, offenbar liegen auch die Fachmärkte Melectronics, SportX, Micasa oder Do it + Garden in der Notaufnahme. Wie ist Ihre Diagnose?
Hier geht es nicht um Lebensmittel, sondern um Produkte, die heute häufig nur noch online gekauft werden – und das zu immer tieferen Preisen. Die Margen sinken, der stationäre Handel mit Produkten wie Heimelektronikgeräten, Mode oder Möbel ist extrem unter Druck. Wir haben diese Fachformate auf den Prüfstand gestellt. Wir müssen für sie sinnvolle Lösungen finden, weil sie heute effektiv ein Problem für uns darstellen.

Wann fallen erste Entscheide zu den Fachmärkten?
Wir werden nun sorgfältig prüfen, mit welchen Fachmärkten wir noch in welchem Umfang in die Zukunft gehen. Bei Melectronics sprechen wir beispielsweise von einer stärkeren Integration der Sortimente in die Migros-Supermärkte.

Könnten Fachmärkte auch verkauft oder ganz eingestellt werden?
Wir prüfen grundsätzlich alle Optionen. Entschieden wird dann im Verlauf des kommenden Jahres. Ich möchte aber betonen, dass die Migros breit aufgestellt ist und andere Bereiche erfreulich wachsen.

Mario Irminger ist seit Mai 2023 Chef der Migros.
Thomas Meier
Persönlich: Mario Irminger

Mario Irminger (58) arbeitete bei EY als Wirtschaftsprüfer, ab 1996 als Finanzchef bei Heineken Schweiz. 2009 wechselte er zu Denner – zuerst als Finanzchef, seit September 2011 führte er den Discounter als CEO. Dann 2023 der Wechsel in den Büroturm der Migros in Zürich: Anfang Mai übernimmt Irminger die Spitze der MGB-Generaldirektion von Vorgänger Fabrice Zumbrunnen (53). Die Migros-Gruppe beschäftigte 2022 durchschnittlich 97'727 Personen, erzielte einen Umsatz von 30,1 Milliarden Franken und verzeichnete einen Gewinn von 459 Millionen Franken (minus 31 Prozent). Der Handelsprofi Irminger wuchs in Zürich auf. Er hat einen erwachsenen Sohn und lebt mit seiner Partnerin ausserhalb der Stadt Zürich. Lässt es das Wetter zu, strampelt Irminger mit dem Stromer-E-Bike ins Büro. Seine Freizeit verbringt er oft in den Bergen.

Mario Irminger ist seit Mai 2023 Chef der Migros.
Thomas Meier

Mario Irminger (58) arbeitete bei EY als Wirtschaftsprüfer, ab 1996 als Finanzchef bei Heineken Schweiz. 2009 wechselte er zu Denner – zuerst als Finanzchef, seit September 2011 führte er den Discounter als CEO. Dann 2023 der Wechsel in den Büroturm der Migros in Zürich: Anfang Mai übernimmt Irminger die Spitze der MGB-Generaldirektion von Vorgänger Fabrice Zumbrunnen (53). Die Migros-Gruppe beschäftigte 2022 durchschnittlich 97'727 Personen, erzielte einen Umsatz von 30,1 Milliarden Franken und verzeichnete einen Gewinn von 459 Millionen Franken (minus 31 Prozent). Der Handelsprofi Irminger wuchs in Zürich auf. Er hat einen erwachsenen Sohn und lebt mit seiner Partnerin ausserhalb der Stadt Zürich. Lässt es das Wetter zu, strampelt Irminger mit dem Stromer-E-Bike ins Büro. Seine Freizeit verbringt er oft in den Bergen.

Rechnen Sie für die Migros-Gruppe erneut mit einem Gewinneinbruch wie im vergangenen Geschäftsjahr?
Absolute Zahlen kann ich noch keine nennen. Wir werden beim Umsatz über die ganze Gruppe im einstelligen Prozentbereich wachsen. Beim Gewinn erwarte ich ein wesentlich besseres Resultat als im Vorjahr. Es ist aber möglich, dass wir in diesem Jahr Wertberichtigungen vornehmen müssen, beispielsweise bei Immobilien.

Relevanz für das Jahresresultat hat auch die Inflation. Bremst sie nicht den Konsum?
Die Teuerung bei den Lebensmitteln lag in der Spitze bei 5 Prozent in der Schweiz, bei den Nachbarn im Norden lag diese bei rund 20 Prozent. Mit Blick auf die letzten Jahrzehnte sind Lebensmittel für die Schweizer Haushalte günstiger geworden. Das hat zwei Gründe: Der Wettbewerb durch den Markteintritt der beiden deutschen Discounter ist schärfer geworden und parallel hat die Schweiz davon profitiert, dass der Euro immer günstiger zum Franken geworden ist.

Aber das Einkaufsverhalten hat sich geändert...
... was natürlich so ist. Die massive Teuerung in der Gesundheit, Elektrizität und bei den Mieten schlägt sich in den Einkaufsbudgets stark nieder. Das verfügbare Einkommen nimmt stetig ab, weil die strukturellen Kosten zunehmen. Davon ist ein Grossteil der Haushalte betroffen. Und wo kann man am einfachsten sparen? Wenn sie bei einem Produkt auf den Mehrwert verzichten und auf Standardware oder Artikel der Tiefpreislinien ausweichen. Diese Entwicklung sehen wir gerade in unseren Läden.

Was tut die Migros, um Haushalte zu entlasten?
Wir berücksichtigen die schwindende Kaufkraft und bauen unsere Sortimente so auf und aus, dass sich die Kunden aus jeder Bevölkerungsschicht in ihrer Preisklasse bei der Migros versorgen können.

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