Der böse Bruder von Uno
Kleine St. Galler Spielschmiede fordert die Grossen heraus

Spielwaren sind längst nicht mehr nur für Kinder. Die Spielwarenbranche erlebt einen Aufschwung unter Erwachsenen, wovon auch ein Schweizer Spieleentwickler profitiert.
Publiziert: 24.06.2024 um 12:40 Uhr
|
Aktualisiert: 25.06.2024 um 06:44 Uhr
Die Rulefactory AG in St. Gallen hat seit einem Monat ein eigenes Büro, wo wir den Game Designer Pierre Lippuner trafen.
Foto: Philippe Rossier
1/10
RMS_Portrait_AUTOR_484.JPG
Olivia RuffinerRedaktorin

Es ist eine Frage, die so manche Freundschaft auf die Probe stellt: Darf man im Uno-Spiel eine «Plus-Zwei-Karte» mit der gleichen kontern? Der Gegenspieler müsste dann vier statt zwei Karten aufnehmen. Nach den offiziellen Uno-Regeln ist das nicht erlaubt, Pierre Lippuner findet: «Blödsinn.» Für den 32-jährige Spieleentwickler ist die Debatte ein klares Zeichen dafür, dass letztlich die Gesellschaft über die Dynamik eines Spiels entscheidet.

Wir befinden uns in einem Provisorium gleich neben dem St. Galler Güterbahnhof – eingepfriemelt zwischen Tattoo-Studio, Architekturbüro und Keramik-Werkstatt findet man seit gut einem Monat den Hauptsitz der Spielschmiede Rulefactory AG. Lippuner und seine Kollegen Fabian Engeler, Pascal Frick und Stefan Weisskopf geben seit 10 Jahren unter diesem Namen eigene Gesellschaftsspiele heraus. 

Das Büro ist noch spartanisch eingerichtet. An der Wand hängen Designkonzepte für die Zahlenkarten ihrer Spiele und Eisenregale schmücken die Wand, vollgepackt mit Kartonschachteln aller Grössen. In einer Ecke findet sich ein Schrein mit allen Ausgaben des Kartenspiels Frantic.

Mit Hilfe einer Kickstarter-Kampagne hatten es die vier St. Galler 2015 lanciert – und prompt einen Spielehit gelandet. Das Spiel basiert auf dem gleichen Prinzip wie Uno. Ereigniskarten verändern den Spielverlauf, wie etwa die Karte Kommunismus, die bewirkt, dass alle Spieler wieder gleich viele Handkarten haben.

Die Tücken und Fallen machen Frantic zum bösen Bruder von Uno, der sich an hoher Beliebtheit erfreut: International wurde es fast eine halbe Million Mal verkauft, in der Schweiz ist bereits die 27. Auflage im Handel. Der Umsatz reicht aus, um die Gründer zu zehn Prozent bei der Rulefactory anzustellen.

«
«Wir würden wir jedes Jahr ein Spiel wie Frantic auf den Markt bringen, hätten wir ganz schnell ganz viel Geld.»
Pierre Lippuner, Gamedesigner
»

Gesellschaftsspiele im Aufschwung

Der Erfolg überraschte Lippuner, er kann es sich aber erklären: Besonders während der Pandemiejahre erlebten Gesellschaftsspiele einen Boom. Die Leute sassen zu Hause fest und versuchten, der Langeweile mit einer Runde «Eile mit Weile» oder Frantic am Esstisch zu entkommen. Dann der Bruch: Nach Angaben des Spielwarenverbands Schweiz (SVS) stagnierte der Umsatz im Bereich Spiele und Puzzles im Jahr 2022, im Jahr 2023 ging er um 5,7 Prozent zurück.

Für 2024 zeichnet sich wieder ein positiver Trend ab. Sandro Küng vom SVS sagt: «Mit einem Plus von 4,5 Prozent im 1. Quartal ist der gesamte traditionelle Spielwarenmarkt gut gestartet.» Weitere Einschätzungen seien jedoch schwierig, da fast die Hälfte des Jahresumsatzes vor Weihnachten erzielt werde.

Einen ähnlichen Trend beobachtet der Online-Händler Digitec Galaxus. In den Jahren 2020 und 2021 gehörten Gesellschaftsspiele mit einer Verkaufszunahme von 52 Prozent zu den Top 10 der umsatzstärksten Produktegruppen bei Galaxus. Ab 2022 stagnierten die Zahlen – im laufenden Jahr scheint sich der Trend aber zu erholen. «Wir spüren dieses Jahr eine rekordhohe Nachfrage nach Gesellschaftsspielen», so ein Sprecher von Galaxus. Konkret nahmen die Verkaufszahlen von Gesellschaftsspielen im Vergleich zum Vorjahresquartal um 17 Prozent zu.

Uno ist das beliebsteste Kartenspiel

Das weitaus beliebteste Kartenspiel in der Galaxus-Trendliste ist Uno. Der Onlinehändler nennt zwar keine Zahlen, jedoch schätzen Marktanalysten das Verkaufsvolumen auf über 150 Millionen Uno-Grunddecks. Das Spiel wurde 1971 zuerst von einem Eigenverlag herausgegeben. Heute gehört es dem Spielwarenkonzern Mattel an, der auch für Barbie verantwortlich ist. Nach Uno im Galaxus-Ranking folgt Skyjo, ein Spiel des deutschen Verlags Magilano. Das Spiel entstand im Jahr 2015, bereits 2020 seien 200'000 Exemplare verkauft worden. Aktuelle Zahlen finden sich nicht. Auf Platz 3 im Ranking der Kartenspiele von Galaxus ist Frantic.

  1. Uno
  2. Skyjo
  3. Frantic
  4. Hitster
  5. Skip-Bo
  6. Kampf gegen das Bünzlitum
  7. Stadt Land Vollpfosten
  8. Cards Against Humanity
  9. Skull King
  10. Phase 10
Shutterstock

Das weitaus beliebteste Kartenspiel in der Galaxus-Trendliste ist Uno. Der Onlinehändler nennt zwar keine Zahlen, jedoch schätzen Marktanalysten das Verkaufsvolumen auf über 150 Millionen Uno-Grunddecks. Das Spiel wurde 1971 zuerst von einem Eigenverlag herausgegeben. Heute gehört es dem Spielwarenkonzern Mattel an, der auch für Barbie verantwortlich ist. Nach Uno im Galaxus-Ranking folgt Skyjo, ein Spiel des deutschen Verlags Magilano. Das Spiel entstand im Jahr 2015, bereits 2020 seien 200'000 Exemplare verkauft worden. Aktuelle Zahlen finden sich nicht. Auf Platz 3 im Ranking der Kartenspiele von Galaxus ist Frantic.

  1. Uno
  2. Skyjo
  3. Frantic
  4. Hitster
  5. Skip-Bo
  6. Kampf gegen das Bünzlitum
  7. Stadt Land Vollpfosten
  8. Cards Against Humanity
  9. Skull King
  10. Phase 10
Mehr

Aus dem Scheitern lernen

Kein schlechter Zeitpunkt also für die Rulefactory, ihr viertes Spiel auf den Markt zu bringen. Library of Jakkarth ist ein Brettspiel, bei dem die Spielerinnen und Spieler eine verlassene Bibliothek erkunden – inklusive Fallen, Aktionen und Geheimnissen. Das Spiel ist seit 2021 in Arbeit, für die Entwicklung nimmt sich das Team viel Zeit. Das war nicht immer so: Ein Jahr nach Frantic brachte die Rulefactory ihr zweites Spiel auf den Markt, Darwin's Dice. «Ein Fehler», sagt Pierre Lippuner heute. 

Darwin’s Dice hätte eine längere Testphase gebraucht, meint der studierte Gamedesigner. Das Stichspiel, bei dem Tierkarten und Würfelzahlen gegeneinander antreten müssen, um zum Alphatier zu werden, wurde nicht zu einem Hit wie Frantic. Im Büro liegen noch immer vereinzelt eingeschweisste Spieleboxen von Darwin’s Dice.

«Natürlich schwingt da auch Reue mit, das Spiel hätte Potenzial gehabt», sagt Lippuner. Nichtsdestotrotz war es für die Rulefactory auch eine wichtige Lehre. Nach dem Flop konzentrierte sich das Team wieder auf Frantic, begann neue Ideen früher zu testen und legte vermehrt Wert auf den Wissenstransfer. Denn trotz Konzepterarbeitung und endlosen Testrunden, meint Lippuner: «Das Formulieren der Regeln ist immer das schwierigste.»

Fehler gefunden? Jetzt melden
Was sagst du dazu?
Externe Inhalte
Möchtest du diesen ergänzenden Inhalt (Tweet, Instagram etc.) sehen? Falls du damit einverstanden bist, dass Cookies gesetzt und dadurch Daten an externe Anbieter übermittelt werden, kannst du alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen lassen.