«Es darf keinen Pisten-Lockdown bei uns geben»
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Bergbahn-Chef Berno Stoffel:«Es darf keinen Pisten-Lockdown bei uns geben»

Der oberste Seilbähnler Berno Stoffel (50) verteidigt den Schweizer Sonderweg
«Es darf keinen Pisten-Lockdown bei uns geben»

Der oberste Seilbähnler Berno Stoffel verteidigt den Schweizer Sonderweg. Im Interview mit BLICK legt er die Gründe auf den Tisch, warum die Pisten in der Schweiz offen bleiben und die Bergbahnen fahren sollen. Für Maskenverweigerer hat Stoffel keine guten Nachrichten.
Publiziert: 28.11.2020 um 10:21 Uhr
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Aktualisiert: 01.12.2020 um 22:36 Uhr
Interview: Ulrich Rotzinger

Es herrscht dicke Luft in Europa. Die Schweizer Nachbarländer Deutschland, Italien und Frankreich wollen ihre Skigebiete bis in den Januar hinein schliessen. Österreich stemmt sich dagegen. Der Pisten-Lockdown für ganz Europa wird verlangt – auch in der Schweiz – um eine dritte Corona-Welle abzuwenden. «Die Forderung ist unverhältnismässig», sagt Berno Stoffel (50) als er BLICK in Meiringen BE empfängt. Der neue Direktor von Seilbahnen Schweiz ist überzeugt, dass unser Land weiterhin einen Corona-Sonderweg fahren kann.

BLICK: Herr Stoffel, können wir uns die Winterferien in den Bergen ans Bein streichen?
Berno Stoffel: Bei uns jedenfalls nicht. Es darf keinen Pisten-Lockdown in der Schweiz geben! Die Skisaison wird anders stattfinden als im letzten Jahr – die Destinationen haben sich vorbereitet und wenden die Schutzkonzepte konsequent an.

Was macht Sie da so sicher?
Wir sind im Gespräch mit Bergbahnbetreibern, Behörden und Bern, und auch mit Österreich. Wir sind uns einig und überzeugt, dass es richtig ist, wenn die Wintersaison bei uns stattfindet. Sie ist ja bereits schon erfolgreich in ersten Skigebieten wie Andermatt, Arosa, Davos, Diavolezza, Glacier 3000, Engelberg, Saas-Fee, Verbier oder Zermatt angelaufen. Bei uns kann man im Winter Ski fahren.

Die Skisaison wird anders stattfinden als im vergangenen Jahr – die Destinationen haben sich vorbereitet und wenden die Schutzkonzepte konsequent an, sagt Berno Stoffel, Direktor von Seilbahnen Schweiz.
Foto: Blick TV
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Ein Ski-Stopp in den Schweizer Bergen ist damit vom Tisch?
Der Druck auf die Schweiz wächst spürbar, wenn sich unsere grossen Nachbarn Deutschland, Italien und Frankreich zusammentun. Wenn die ausländischen Gäste dann auch noch Ansteckungen in ihre Heimatländer brächten, stünde die Schweiz am Pranger. Aber erst mal muss sich ganz Europa einig sein, denn nicht nur in Österreich, sondern auch Polen, Slowenien, Spanien, Tschechien oder Bulgarien gibt es Widerstand gegen einen Pisten-Lockdown.

Hat Brüssel in der Schweiz überhaupt etwas zu sagen?
Die EU kann eine Schliessung der Skigebiete auch in ihren Mitgliedsländern nicht anordnen. Bis jetzt wurden alle Pandemieregeln auf nationaler Ebene gelöst, auch im Sommer bezüglich Strand-Tourismus. Und die Italiener waren die ersten, welche die Grenzen geöffnet haben, trotz hoher Mortalitätsraten. Und jetzt fordern sie eine europäische Regelung für die Skigebiete, die keine besondere Infektionsgefahr darstellen. Das ist über das Ziel hinausgeschossen. Die EU kann in Gesundheitsfragen unterstützen und koordinieren, aber keine Regeln vorschreiben. Die Schweiz hat einen gesunden, pragmatischen Weg gefunden, ohne alles abzuriegeln und Wirtschaft und Gesellschaft lahmzulegen. Diesen bewährten Weg sollten wir weitergehen.

Was wären die finanziellen Folgen eines Pisten-Lockdowns?
Stehen die Bergbahnen still, sind die Ferienorte in den Bergen verwaist. Bei einem Pisten-Lockdown rechnen wir mit einem Umsatzausfall von durchschnittlich 400 Millionen Franken pro Woche. Für die Weihnachtsperiode, in der 30 Prozent des Winterumsatzes erwirtschaftet werden, stehen also 225 Millionen Franken allein für die Bergbahnen und insgesamt 1,8 Milliarden Franken Winterumsatz in den Tourismusdestinationen auf dem Spiel.

Deutsche Gäste sind mit Abstand die grösste Gruppe der Winterferiengäste in der Schweiz. Berlin und andere könnten neue Reiseregeln erlassen und unter Quarantäne setzen, wer in den Schweizer Bergen Ferien machte.
Dies ist ein realistisches Szenario, und einige Bestrebungen in dieser Hinsicht sind bereits am Laufen. Wenn dies so ist, dann gilt es auch, damit zu leben. Jedes Land hat hier seine Verantwortung zu tragen.

Macht eine Schliessung der Skigebiete aus epidemiologischer Sicht Sinn?
Ich bin kein Epidemiologe. Bis heute sind mir keine Infektionen auf den Skipisten bekannt. Ich würde den Fokus vermehrt auf die Bewegung im Freien legen wollen: Dies ist unbestrittenermassen gesund und nachweislich weniger ansteckend. Deswegen macht eine Schliessung der Skigebiete keinen Sinn.

Kommt es zu einer dritten Welle, und die Wintersaison wird wie im Frühjahr vorzeitig abgebrochen, gewähren die Bergbahnen ihren Kunden eine Pandemie-Absicherung?
Dafür gibt es keine Branchenlösung. Jede einzelne Bergbahn entscheidet, ob es eine Geld-zurück-Garantie gibt. Die meisten Unternehmen haben ihre AGB aber angepasst und geben eine Rückvergütung auf Saisonpässe, wenn es zu einer vorzeitigen Schliessung des Betriebs kommt. Diese Massnahme war sehr wichtig, um das Vertrauen der Stammkunden halten zu können.

Die Bergbahnen haben die Schutzkonzepte des öffentlichen Verkehrs übernommen. Wie weit geht die Maskenpflicht?
Es gilt eine Schutzmaskenpflicht auf allen Transportanlagen, dies ab dem zwölften Lebensjahr. Das heisst auch auf dem Förderband, Skilift, Sessellift und in der Gondel.

Mundschutz auf dem Schlepplift! Übertreiben Sie jetzt nicht?
Unsere Erfahrungen zeigen, die Maskenpflicht wird breit akzeptiert. Das gilt auch für die Mundschutzpflicht in allen Wartezonen innen und aussen. Darüber hinaus setzen wir auch die Abstandsregel von 1,5 Metern durch.

Das funktioniert offenbar nicht überall, wie zuletzt das Gedränge von Wintersportlern an den Talstationen von Gstaad oder Zermatt zeigt.
Das war in der Tat eine Momentaufnahme von kurzer Dauer. Das Problem haben wir jetzt im Griff. Wir verlängern die Wartezonen, sodass alle den vorgeschriebenen Abstand halten können. Die Bergbahnen stellen dafür jetzt extra Personal ein, um solche Ansammlungen zu entzerren. Dort, wo die Verlängerung der Warteschlange auf Trottoir und Strasse hinausgeht, nimmt die Polizei diese Kontrollaufgabe wahr. Wir arbeiten hier auch eng mit der Polizei zusammen.

Kommen jetzt Obergrenzen für die Anzahl Skifahrer in einem Gebiet wie von Bundesbern angetönt?
Obergrenzen für Skifahrer auf den Pisten sind theoretisch denkbar. Die grosse Frage ist, wie man definiert, wann das Skigebiet voll ist. Das ist von Gebiet zu Gebiet verschieden. Da dieses Jahr die ausländischen Touristen fehlen, werden die Skigebiete schon deshalb nicht voll ausgelastet sein. Obergrenzen machen Stand heute keinen Sinn.

Warum verlängern die Bergbahnen nicht die Fahrzeiten?
Das passiert bereits in einigen Skigebieten wie Arosa und Saas-Fee. Versuche laufen, am Morgen gegen acht Uhr bereits die Bahn in Betrieb zu nehmen, wenn die Ersten auf den Berg wollen. Das funktioniert bislang gut.

Der Allgemeine deutsche Automobilclub (ADAC) warnt Landsleute vor Übertretungen in der Schweiz. Gibts tatsächlich jetzt eine Skipass-Sperre für Maskenverweigerer?
Maskenverweigerer transportieren wir nicht. Wenn jemand sich weigert, eine Maske zu tragen, stellen wir die Bahn ab und befördern die Person hinaus. Das ist alles schon passiert und wird natürlich von den anderen Skifahrern gar nicht goutiert. Bussen dürfen wir keine verteilen, der Skipass kann jedoch entzogen werden.

Goutiert wird wohl auch Après-Ski nicht mehr?
Sagen wir es so: Auf den Tischen tanzen, Halligalli-Partys und «Alle Hände in den Himmel» wird es diesen Winter nicht mehr geben. Trinken und essen wird man nur im Sitzen können, sowohl drinnen als auch draussen. Wir stellen fest, dass sich die Stimmung im Skigebiet gewandelt hat. Es geht jetzt entspannter zu, und man nimmt stärker aufeinander Rücksicht. Der Gast sehnt sich nach Feriengefühl, nach etwas Schönem. Dafür ist er bereit, einen gewissen Preis zu zahlen.

Apropos Preis: Verteuert Corona im nächsten Jahr das Vergnügen der Bergfahrt?
Es sind keinen Änderungen der Preise von Berg- und Seilbahntickets geplant. Ich möchte jedoch festhalten, dass die Skiticketpreise in anderen Ländern wie Österreich in den letzten Jahren deutlich stärker in die Höhe gingen als in der Schweiz.

Dann schieben Bergbahnen dafür ihre Investitionen auf?
Das ist zu befürchten. Viele stellen Investitionen infrage oder stellen sie zurück. Denn so ungewiss wie in diesem Jahr war eine Wintersaison noch nie.

Wie viele Bergbahnen werden die nächsten Winter nicht überleben?
Die Bergbahnen, die jetzt schon in grossen Schwierigkeiten oder in tiefen Lagen sind, haben es schwer. Wir rechnen, dass der Anteil gefährdeter Bergbahnen bei rund 30 Prozent liegt. Wir sind eine kapitalintensive Branche, die gezwungen ist, in die Zukunft zu investieren. Und wenn das nicht möglich ist, wird man es mittelfristig schwer haben.

Dann dürfte es vielen helfen, wenn die Gäste zahlreich kommen und es keine Zwangsschliessungen gibt?
Man darf eines nicht vergessen in der Corona-Krise. Schneesport findet draussen statt und ist sehr gesund. Die Bewegung in den Bergen, das Sonnenlicht, das alles ist extrem wichtig für das Immunsystem, damit man gesund bleibt. Und zur sozialen Wellness trägt bei, dass man auf den Pisten und beim Wandern im Schnee generationenübergreifend zusammen Sport ausüben kann. Das ist einmalig.

Persönlich: Berno Stoffel

Der Walliser Berno Stoffel (54) ist seit dem 1. Oktober 2020 Direktor von Seilbahnen Schweiz. Er hat einen Abschluss als Executive Master in Business Administration der Hochschule St. Gallen. Ursprünglich hatte er Theologie studiert und in Religionssoziologie an der Uni Freiburg promoviert. Mit der Tourismus- und Bergbahnwelt ist Stoffel bestens vertraut. Der Vermarktungsprofi war seit 2008 bis zu seinem Antritt bei Seilbahnen Schweiz Chef von Grächen-Tourismus und gleichzeitig Direktor der dortigen Bergbahnen.

Der Walliser Berno Stoffel (54) ist seit dem 1. Oktober 2020 Direktor von Seilbahnen Schweiz. Er hat einen Abschluss als Executive Master in Business Administration der Hochschule St. Gallen. Ursprünglich hatte er Theologie studiert und in Religionssoziologie an der Uni Freiburg promoviert. Mit der Tourismus- und Bergbahnwelt ist Stoffel bestens vertraut. Der Vermarktungsprofi war seit 2008 bis zu seinem Antritt bei Seilbahnen Schweiz Chef von Grächen-Tourismus und gleichzeitig Direktor der dortigen Bergbahnen.

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