«Die Erholung fängt erst jetzt an»
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Ex-CS-Chef Oswald Grübel:«Die Erholung fängt erst jetzt an»

Oswald Grübel rechnet mit ehemaliger CS-Spitze ab
«Thiam und Rohner waren ganz klar eine falsche Kombination»

Der ehemalige Topbanker Oswald Grübel (78) erklärt, wer für die Misere der Credit Suisse verantwortlich ist – und wieso er letzte Woche Aktien der Grossbank kaufte.
Publiziert: 09.10.2022 um 08:58 Uhr
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Aktualisiert: 18.11.2022 um 17:52 Uhr
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Thomas SchlittlerWirtschaftsredaktor

Die Credit Suisse (CS) durchlebt schwierige Zeiten – einmal mehr. Zuletzt wurde in einigen Medien gar die Frage aufgeworfen, ob die einst stolze Grossbank alleine überleben kann. Oswald Grübel stand von 2003 bis 2007 an der Spitze des Unternehmens. Im Gespräch mit SonntagsBlick nimmt er kein Blatt vor den Mund.

Herr Grübel, im Frühling 2007 haben Sie den Posten als Credit-Suisse-CEO abgegeben. Damals war eine CS-Aktie 88 Franken wert …
Oswald Grübel:… da muss ich berichtigen: Der Kurs war damals über 90 und der Marktwert nahe 100 Milliarden, spätere Kapitalerhöhungen drückten den Aktienkurs.

Diese Woche tauchte die CS-Aktie zeitweise unter vier Franken. Wie viel Geld haben Sie mit den Papieren der Grossbank verloren?
Da ich nach meiner Zeit bei der CS bei der UBS tätig war, durfte ich keine CS-Aktien halten. So sollten Interessenkonflikte verhindert werden. Tatsächlich bin ich erst seit letzter Woche wieder im Besitz von CS-Aktien. Die Bank ist aktuell massiv unterbewertet. Der Börsenwert entspricht nur einem Viertel des Buchwerts der Bank, also dem Unternehmenswert gemäss Geschäftszahlen. Der perfekte Zeitpunkt, um einzusteigen.

Oswald Grübel empfängt SonntagsBlick in seinem Büro in Zürich zum Interview.
Foto: Zamir Loshi
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Die CS befindet sich seit Monaten und Jahren in einem Abwärtsstrudel. Was sind die Hauptgründe?
Der jüngste Kurseinbruch ist Gerüchten und Unwahrheiten geschuldet, die von gewissen Medien verbreitet worden sind. Die Behauptungen, dass die CS am Abgrund stehe und dringend auf neues Kapital angewiesen sei, entbehren jeglicher Grundlage. Die Bank verfügt mit einer Kernkapitalquote von 13,5 Prozent über ein solides Polster.

Auf die Rolle der Medien kommen wir später zu sprechen. Das alleine vermag die Talfahrt der CS aber nicht zu erklären: Die Bank kam besser durch die Finanzkrise 2008 als viele andere Finanzinstitute, namentlich die UBS. Heute sieht es komplett anders aus. Wieso?
Der VR und ich hatten 2007 entschieden, einen Investmentbanker als meinen Nachfolger zu bestimmen. Das war damals die richtige Entscheidung, um durch die Finanzkrise zu kommen. Es hätte allerdings nur eine Übergangslösung sein sollen.

Sie sprechen von Brady Dougan. Er lenkte die CS von 2007 bis 2015. Eine lange Zeit für eine Übergangslösung.
Viel zu lange. Eigentlich hätte man ihn Ende 2009 wieder zum Leiter des Investmentbankings machen sollen. Das war das einzige Geschäft, das ihn interessierte. Er baute es aus, weil dort die finanziellen Anreize, die Incentives, am grössten sind. Das Private Banking oder das Schweiz-Geschäft hatten für Dougan keine Priorität.

Für die Besetzung des CEO-Postens ist der Verwaltungsrat verantwortlich. Welche Schuld trifft ihn?
Der Verwaltungsrat hat es versäumt, die Bank umzustellen, als es ihr noch sehr gut ging. Das rächt sich nun. 2015 holte man mit Tidjane Thiam einen CEO, der keinen Bank-Background hatte. Er sagte zwar von sich selbst, dass er schlau genug sei, um das Bankgeschäft zu verstehen. Aber nur weil man versteht, wie ein Schuster seine Arbeit macht, heisst das noch lange nicht, dass man ein guter Schuster ist.

Nicht nur Thiam hatte keine Bank-Erfahrung. Auch Verwaltungsratspräsident Urs Rohner – der Mann, der Thiam eingestellt hat – ist kein gelernter Banker, sondern Jurist.
Thiam und Rohner waren ganz klar eine falsche Kombination. Das konnte nicht funktionieren. Fairerweise muss man jedoch sagen, dass es für internationale Banken nicht ganz einfach ist, einen CEO zu finden, der alle Sparten abdecken kann und sämtliche Risiken kennt. Heute ist die CS aber sicher besser aufgestellt. Der neue CEO Ulrich Körner ist ein erfahrener Banker und kennt die CS sehr gut. Chairman Axel Lehmann kommt zwar ursprünglich von der Versicherungsseite, war zuletzt aber viele Jahre bei der UBS engagiert.

Die Liste der CS-Skandale ist lang: Die Beschattungsaffäre. Die Greensill-Pleite. Die Milliardenverluste durch den Hedgefonds Archegos – und nie stand jemand hin, der die Verantwortung übernahm.
Das ist für mich auch unverständlich. Bei Spygate hätte sich der CEO am nächsten Tag hinstellen sollen, die Verantwortung übernehmen und erklären müssen, weshalb er das für richtig hielt. Thiam dagegen hat die Verantwortung auf andere abgeschoben und sich nie zum Thema geäussert.

Auch bei Greensill und Archegos nahm auf dem Toplevel niemand den Hut.
Das Problem begann schon früher. Die Fälle Greensill und Archegos hätten gar nie passieren dürfen. Greensill hätte aus Reputations- und Produktgründen nie die Risikokontrolle bestehen dürfen. Aber das merkte oder störte niemanden. Beim Hedgefonds Archegos wiederum waren die Risiken offensichtlich viel zu hoch und auf wenige Aktien konzentriert. Bei einer normalen Prüfung wäre das aufgefallen. Das war schlicht dumm.

Beim Greensill-Fiasko ging es um die Vorfinanzierung von Lieferketten – teilweise von Lieferanten, die noch gar nichts produziert, verkauft oder geliefert hatten. Das einzige Ziel bei solchen Produkten scheint zu sein: Hauptsache undurchsichtig und kompliziert.
Ich glaube nicht, dass es kompliziert ist. Wenn Sie gesunden Menschenverstand anwenden, merken Sie, dass diese Geschäfte nicht gemacht werden sollten. Sie können einem Unternehmen, das fragwürdige Kreditbewertungen hat, nicht etwas vorfinanzieren, was überhaupt nicht existiert.

Greensill ist kein Einzelfall. Es gibt viele Finanzprodukte, die kaum zu durchschauen sind. Versteht überhaupt irgendjemand die Konstrukte, die da teilweise zusammengezimmert werden?
Ja, diejenigen, die diese Produkte zusammenstellen, verstehen sie schon.

Und die Bankspitze?
Die Bankspitze sollte sie schon auch verstehen (lacht). Aber grundsätzlich funktioniert alles nach einem ganz einfachen System: Wenn der normale Zinssatz drei Prozent beträgt und Ihnen acht Prozent angeboten werden, dann müssen Sie sich fragen, wie das sein kann. Es bedeutet nämlich, dass Sie etwas kaufen mit einer viel tieferen Kreditqualität oder dass Sie auf die Optionalität, die Zeitprämie, verzichten. Das ist das Risiko, das Sie eingehen. Aber Sie haben recht: Heute werden viele Produkte verkauft, die der Kunde nicht verstehen kann.

Bei vielen Finanzprodukten stellt sich die Frage nach dem Sinn. Wenn wir zum Beispiel die Hypothekarkredite einer Kantonalbank bündeln und zu einem handelbaren Wertpapier machen würden, dann erreichen wir nur, dass neben den Hausbesitzern und der Kantonalbank auch noch Anleger ins Verderben gezogen werden, falls die Immobilienblase eines Tages platzen sollte. Wem – ausser der Bank – nützt das?
Für die Bank ist es manchmal interessant, die Hypotheken zu verkaufen, weil sie dadurch Kapital freisetzen kann, das sie anderweitig verwenden kann. Für die Anleger wiederum ist es interessant, weil sie höhere Renditen erhalten als bei anderen Anlagen. Die lange Periode der Tiefzinsen war eine gute Zeit für solche Finanzprodukte, weil alle auf der Suche nach höheren Renditen waren.

Nun ist die CS selbst zum Spielball von Spekulanten geworden. Interessant ist, dass die Gerüchte und Negativschlagzeilen meist in der angelsächsischen Finanzpresse publiziert werden. Wieso?
Ich sehe die Rolle von britischen Finanzmedien, auch den seriösen, sehr kritisch: Bereits als ich 1967 das erste Mal in England war, spürte ich grosse Antipathie gegen Schweizer Banken.

Sie gehen also davon aus, dass die Gerüchte um eine Kapitalerhöhung böswillig gestreut wurden?
Böswillig ist das falsche Wort. Im Markt geht es nur darum, Geld zu verdienen. Da gibt es einige Hedgefonds, die shorten, also auf sinkende Kurse wetten. Bei der CS waren definitiv Hedgefonds am Werk – und das seit längerer Zeit. Die wollen einfach ihren Profit maximieren und sprechen dazu mit Analysten und Journalisten, um das richtige Klima für sinkende Kurse zu schaffen.

Persönlich Oswald Grübel

Oswald Grübel (79) ist die einzige Person, die beide Schweizer Grossbanken geleitet hat. Von 2003 bis 2007 war der gelernte Bankkaufmann CEO der Credit Suisse, ab 2009 leitete er für zwei Jahre die UBS. Grübel stammt aus Ostdeutschland und verlor im Krieg seine Eltern. Nachdem er zunächst bei den Grosseltern aufgewachsen war, flüchtete er in den 50er-Jahren in den Westen. 1970 stiess er zur Credit Suisse. Die Bankerlegende hat sein Büro wenige Fussminuten vom Paradeplatz in Zürich entfernt. Von hier aus verwaltet Grübel sein eigenes, mutmasslich dreistelliges Millionenvermögen.

Oswald Grübel (79) ist die einzige Person, die beide Schweizer Grossbanken geleitet hat. Von 2003 bis 2007 war der gelernte Bankkaufmann CEO der Credit Suisse, ab 2009 leitete er für zwei Jahre die UBS. Grübel stammt aus Ostdeutschland und verlor im Krieg seine Eltern. Nachdem er zunächst bei den Grosseltern aufgewachsen war, flüchtete er in den 50er-Jahren in den Westen. 1970 stiess er zur Credit Suisse. Die Bankerlegende hat sein Büro wenige Fussminuten vom Paradeplatz in Zürich entfernt. Von hier aus verwaltet Grübel sein eigenes, mutmasslich dreistelliges Millionenvermögen.

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Am 27. Oktober will die CS über ihre Zukunftspläne informieren. Kann man die Aktionäre und die Öffentlichkeit tatsächlich so lange hinhalten?
Angesichts der Geschwindigkeit der heutigen Medien sind Zweifel berechtigt. Vermutlich müssten sich alle Unternehmen eine neue Medienstrategie überlegen. Zum Beispiel könnte man sagen: Der Plan kommt erst Ende Monat. Wir können aber schon einmal sagen, in welche Richtung es geht. Sonst bleibt nichts anderes übrig als die Gerüchte zu bewirtschaften.

Wie würden Sie die Bank umbauen?
Das kann ich nicht beurteilen, weil ich nicht weiss, wie profitabel die CS in einzelnen Teilbereichen ist. Das ist in den Finanzberichten nicht erkennbar. Es macht aber sicher Sinn, sich gut zu überlegen, welche Sparten des Investmentbankings man noch behalten will, um das erfolgreiche Private Banking zu unterstützen. Die CS-Spitze hat ja angedeutet, dass es in diese Richtung gehen könnte.

Wann verdient die CS wieder Geld?
Das schafft man nicht von heute auf morgen. Das Ziel muss erst einmal sein, den Break-even zu erreichen. Während der Refokussierung wird die Bank nicht wachsen können. Auch eine Dividende sollte es bis auf Weiteres nicht geben. Einen steigenden Aktienkurs erwarte ich aber trotzdem. Die CS mit nur zehn Milliarden zu bewerten ist eine Panikreaktion, der Aktienkurs wird sich auf einem höheren Niveau wieder stabilisieren.

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