Puff ums Poulet in Saint-Aubin
Bau von Mega-Geflügelschlachthof der Migros stösst auf Widerstand

Das geplante Geflügelverarbeitungszentrum in Saint-Aubin FR spaltet die Gemeinde. Gegner warnen vor Verkehrschaos und Umweltbelastungen, während Gemeindepräsident Michael Willimann das Projekt als wirtschaftlichen Katalysator und Jobmotor verteidigt.
Publiziert: 25.09.2024 um 00:31 Uhr
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Aktualisiert: 25.09.2024 um 08:44 Uhr

Auf einen Blick

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Ein Riesen-Bauvorhaben der Migros spaltet das Dorf Saint-Aubin im Freiburger Broye-Bezirk.
Foto: Philippe Rossier
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Im idyllischen Saint-Aubin FR fliegen die Federn. Der Streit um den künftig grössten Geflügelschlachthof in der Schweiz spaltet die 2000-Seelen-Gemeinde, mehr noch: die ganze Region. Auf dem bestehenden Agrico-Areal am Dorfeingang – vor fünf Jahren als Innovationszentrum für Landwirtschaft und Nahrungsmittelproduktion lanciert, aber bisher noch wenig ausgebaut – plant die Migros-Tochter Micarna ein sogenanntes «ATV». Das Atelier de transformation de volaille, wie es in der Ausschreibung heisst, kann ganz nüchtern mit Geflügelverarbeitungszentrum übersetzt werden.

Die Dimensionen der neuen industriellen Fleischfabrik sind gewaltig, wie ein Augenschein zeigt. Das Areal ist 90'000 Quadratmeter gross. Bauvisiere ragen in den grauen Himmel. Über 30 Millionen Poulets pro Jahr, das sind 580'000 pro Woche, will Micarna hier einst zu Fleisch, Nuggets und Katzenfutter verarbeiten. Aber erst einmal braucht es die Baubewilligung. Und diese wird durch Einsprachen torpediert. 1800 Einspruchbegehren gingen auf der Gemeinde ein, sie füllen 17 Bundesordner. Für deren Bearbeitung musste Michael Willimann (62), Gemeindepräsident von Saint-Aubin, extra Temporärkräfte einstellen, wie er Blick sagt.

Geflügelverarbeitungszentrum spaltet Dorf
2:28
Sorge um Lärm und Gerüche:Geflügelverarbeitungszentrum spaltet Dorf

Gegner befürchten Verkehrschaos

Der lautstärkste Gegner des Projekts ist Vincent Beuret (48), Laborant beim Bundesbetrieb Agroscope und Mitglied der Grünen. Er findet das Agrico-Areal «eine tolle Sache», versteht jedoch nicht, «was ein Schlachthof in dessen Forschungsumfeld soll», so Beuret.

Mehrere kleine Schlachthöfe an diversen Standorten würden aus seiner Sicht mehr Sinn ergeben. Er befürchtet Verkehrsprobleme: Rund 600 Lastwagenfahrten pro Tag seien nötig, um das Geflügel aus den Schweizer Landwirtschaftsbetrieben zum Schlachthof und die Produkte hinaus zu den Märkten zu karren. Dazu kommen rund 2500 Fahrten von Mitarbeitenden.

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«Die ganze Region wird leiden»
Vincent Beuret (48), Gegner des Projekts
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Neben dem ATV ist ein siebenstöckiges Parkhaus mit 1200 Stellplätzen vorgesehen. Komme hinzu, dass Saint-Aubin keinen Bahnanschluss habe. «Die ganze Region wird leiden», so Beuret. Das benachbarte Domdidier FR noch schlimmer als Saint-Aubin.

Migros betont Einhaltung der Vorgaben

Auf einer gemeinsamen Plattform im Internet zum Mega-Projekt betonen Migros und Micarna, dass die neue Fabrik deutlich umweltfreundlicher sei. «Es soll ein CO2-neutraler Betrieb aufgebaut werden, mit welchem die Kreislaufwirtschaft gefördert wird.» Und weiter: «In Sachen Tierwohl wird die Anlage die neuesten wissenschaftlichen Erkenntnisse berücksichtigen und verschiedene Verbesserungen bieten.» Kurze Wege zu den Bauern könnten eingehalten werden.

Beuret hält dagegen, dass die Wasserversorgung stark beansprucht werde. «Wir müssen extra Wasser aus Corcelles-sur-Payerne holen». Da das Areal nur wenige hundert Meter vom Dorfkern entfernt ist, erwartet Beuret zudem Geruchsimmissionen, die beim Verbrennen von Federn und Schlachtresten entstehen. Und überhaupt sei Pouletfleisch generell «zu billig», ein Fleischkonsum «ein bis zweimal pro Woche» sei genug.

Gemeindepräsident Michael Willimann hat die Einsprachen nun an die Migros weitergeleitet. Die Bauherrin hat nach eigenen Angaben alle entscheidenden Punkte beim Mega-Projekt berücksichtigt.

Standorte Geflügelfabriken

Der Schlachthof als Entwicklungs-Katalysator

Der orange Riese kann bis Ende September zu den Einsprachen Stellung nehmen. Interessant: Laut Willimann stammen lediglich 83 der 1800 Einsprachen aus Saint-Aubin und umliegenden Gemeinden. Auch die regionale Bevölkerung unterstützt mehrheitlich das Bauvorhaben, wie Blick beim Ortsrundgang erfährt.

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«Das Investment ist ein Katalysator für unsere lokale und regionale Entwicklung»
Michael Willimann (62), Gemeindepräsident von Saint-Aubin
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Der Gemeindepräsident steht voll hinter dem Migros-Vorhaben, wie er betont. «Das soll der Motor von Agrico sein und erlauben, dieses Projekt erfolgreich und innert angemessener Zeit zu entwickeln.» Das Investment auf dem Agrico-Areal – die Rede ist von rund 800 Millionen Franken – sei ein «Katalysator für unsere lokale und regionale Entwicklung». Da 70 Prozent der Geflügelproduzenten in einem Umkreis von 50 Kilometern von Saint-Aubin liegen, biete sich sein Ort für den Micarna-Schlachthof geradezu an.

Ein «Glücksfall» für die Gemeinde

Willimann nennt Micarna einen «Glücksfall»: Auf dem Agrico-Gelände sollen rund 400 Millionen Franken Wertschöpfung und 1700 Vollzeitstellen entstehen. Das bringe Verbesserungen in der Verkehrsanbindung und biete wichtige Arbeits- und Ausbildungsplätze für die wachsende Bevölkerung.

Bei der Wassernutzung sieht er kein Problem: Der Wasserverbrauch werde gegenüber dem aktuellen Micarna-Standort im nur 15 Kilometer entfernten Courtepin FR deutlich reduziert – um rund ein Drittel. Dieses Wasser sei vorhanden. Geruchsimmissionen befürchtet Willimann nicht.

Sobald die Migros und die anderen Gesuchsteller Stellung zu den Einsprachen genommen haben, erfolgt die Prüfung der Baugesuche durch den Kanton Freiburg. Dieser wird das Prüfungsresultat dem Bezirksammann schicken, der über die Baugenehmigung entscheidet.

Wird dagegen auf Kantonsebene rekurriert, würden die Bewilligungen um rund ein Jahr verzögert. Danach wäre noch der – teure – Gang vors Bundesgericht möglich.

Eines ist heute bereits klar: Vor 2028 wird der neue Migros-Geflügelschlachthof nicht in Betrieb gehen.


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