Wer zahlt die Emissionsabgabe?
Das Märchen von der KMU-Steuer

Die Stempelsteuer belaste kleine und mittlere Firmen, so der Gewerbeverband. Detaillierte Zahlen aus den Kantonen zeigen ein anderes Bild.
Publiziert: 16.01.2022 um 19:02 Uhr
Simon Marti

Herz zeigen für die Kleinen, das funktioniert immer. Dachte sich jedenfalls der Gewerbeverband (SGV) und setzte im Kampf gegen die Emissionsabgabe auf Eigenkapital früh den Ton: Die Stempelsteuer, die zum Beispiel fällig wird, wenn Firmen Aktien ausgeben, sei in Wahrheit eine «KMU-Steuer». Ihre Abschaffung liege daher im Interesse der kleinen und mittleren Betriebe – ein Goodie für die ganz Grossen sei sie keineswegs. Nur, stimmt das auch?

Eine Erhebung der Eidgenössischen Steuerverwaltung (ESTV) lässt daran zweifeln. Der Bund hat für die Jahre 2018 bis 2020 ermittelt, wie hoch die Emissionsabgaben der Unternehmen in einzelnen Kantonen ausfielen.

Die Zahlen widersprechen dem Gewerbeverband

Die Ergebnisse liegen SonntagsBlick vor. Sie zeigen: Die Anzahl KMU, die in einem Kanton ansässig sind, hat mit den Einnahmen aus dieser Abgabe wenig zu tun. Insbesondere die Daten aus dem prosperierenden Kanton Zug springen ins Auge: Total nimmt der Schweizer Fiskus an Emissionsabgaben jährlich 200 Millionen Franken ein – aus Zug stammen im Schnitt 55,7 Millionen, also mehr als ein Viertel. Übrigens auch mehr, als beim grossen Nachbarn zusammenkommt: Zürcher Firmen zahlten im Durchschnitt 48,7 Millionen Franken pro Jahr. Dabei waren dort laut Bundesamt für Statistik 2019 mehr als 107'000 KMU angesiedelt. In Zug sind es 17'000.

Ein Herz für die kleinen und mittleren Betriebe? Zahlen des Bundes lassen Zweifel an der Argumentation des Gewerbeverbandes aufkommen.
Foto: Keystone
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Noch schiefer wird das Bild der «KMU-Steuer» im Hinblick auf Kantone, die weniger international aufgestellt sind. In Bern geschäften rund 70'000 KMU. Sie liefern im Schnitt gerade einmal zehn Millionen Franken oder fünf Prozent der Emissionsabgaben ab. Im Aargau zahlen Firmen im Schnitt 4,3, in St. Gallen 7,3 und im Waadtland 15,7 Millionen pro Jahr.

Nirgends fallen die Abgaben auch nur annähernd so hoch aus wie in Zürich, dem grössten Kanton und Wirtschaftsmotor der Schweiz und in Zug.

Samira Marti (27) ist SP-Nationalrätin aus dem Baselbiet. In ihrem Kanton summieren sich die Emissionsabgaben der Unternehmen jährlich auf etwa vier Millionen Franken. «Die Zahlen zeigen klar, dass eine Abschaffung der Emissionsabgabe nicht den KMU, sondern in erster Linie den Banken und Holdinggesellschaften zugutekäme», folgert Marti. Anders liessen sich die Steuererträge aus Zug nicht erklären. «Dieser Kanton hat eine ganz eigene Wirtschaftsstruktur. Die dort ansässigen Holdinggesellschaften und multinationalen Unternehmen wären die grossen Profiteure, sollte die Abgabe fallen.» Statt effektiv für die KMU zu politisieren, mache sich der Gewerbeverband zu deren Handlanger, kritisiert die Parlamentarierin.

0,3 Prozent der Firmen sind von der Steuer betroffen

Tatsächlich sind bereits heute Eigenkapitalerhöhungen bis zu einer Million Franken steuerbefreit. Das ist auch der Grund dafür, dass lediglich 2000 Firmen diese Steuer jährlich bezahlen müssen – 2000 von insgesamt 600'000 Firmen im Land.

Passend dazu zitierte die «Wochenzeitung» am Donnerstag eine Einschätzung von alt Bundesrat Hans-Rudolf Merz (79) aus dem Jahr 2005. Schon damals stand die Abschaffung der Emissionsabgabe auf dem Programm. FDP-Finanzminister Merz meinte dazu: «Die Nutzniesser wären in erster Linie bei den multinationalen Unternehmen, den Banken, Versicherungen und Holdinggesellschaften zu suchen, nicht aber bei den KMU.»

Worum es geht

Am 13. Februar entscheidet die Bevölkerung über die Abschaffung der Emissionsabgabe auf Eigenkapital. Die sogenannte Stempelsteuer erhebt der Bund, wenn Unternehmen Eigenkapital beschaffen – etwa indem sie Aktien ausgeben. Die Abgabe beträgt ein Prozent des aufgenommenen Betrags. Summen unter einer Million Franken sind davon befreit. Eine Mehrheit des Bundesrats und des Parlaments will die Steuer abschaffen. Das senke die Kosten für Investitionen und wirke sich positiv auf Wachstum und Arbeitsplätze aus. Der Bund schätzt die Einbussen auf rund 250 Millionen Franken jährlich. SP, Grüne und Gewerkschaften haben das Referendum gegen die Abschaffung ergriffen. Sie kritisieren den geplanten Schritt als Privilegierung von Grosskonzernen.

Am 13. Februar entscheidet die Bevölkerung über die Abschaffung der Emissionsabgabe auf Eigenkapital. Die sogenannte Stempelsteuer erhebt der Bund, wenn Unternehmen Eigenkapital beschaffen – etwa indem sie Aktien ausgeben. Die Abgabe beträgt ein Prozent des aufgenommenen Betrags. Summen unter einer Million Franken sind davon befreit. Eine Mehrheit des Bundesrats und des Parlaments will die Steuer abschaffen. Das senke die Kosten für Investitionen und wirke sich positiv auf Wachstum und Arbeitsplätze aus. Der Bund schätzt die Einbussen auf rund 250 Millionen Franken jährlich. SP, Grüne und Gewerkschaften haben das Referendum gegen die Abschaffung ergriffen. Sie kritisieren den geplanten Schritt als Privilegierung von Grosskonzernen.

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Von solchen Feststellungen lässt sich der Gewerbeverband jedoch nicht aus dem Konzept bringen: «Es ist tatsächlich so, dass von 2000 Unternehmen, welche die Emissionsabgabe bezahlen, 30 Unternehmen etwa die Hälfte des gesamten Steuervolumens bezahlen», sagt Verbandspräsident und Mitte-Nationalrat Fabio Regazzi (59, TI). Diese Angaben bedeuteten aber auch, dass 1970 Betriebe wesentlich weniger Emissionsabgabe bezahlt hätten. «Das sind Firmen im Wachstum, welche auf jeden Franken angewiesen sind. Start-ups sind per se KMU und keine Grosskonzerne», so Regazzi.

Der Kanton Zug wiederum sei Standort von einigen finanzstarken Firmen, darunter auch KMU. «Wenn diese Unternehmen Eigenmittel aufbauen, schlägt dies beim gesamten Steuervolumen anteilsmässig stark zu Buche», so der SGV-Präsident. Zudem würden in der Schweiz heute mehr Firmen gegründet als 2005. «Deshalb ist die Betroffenheit der KMU heute auch wesentlich grösser, als dies der Bundesrat damals beurteilt hat.» Da mag Regazzi recht haben.

Nur ist der Ertrag aus der Emissionsabgabe noch immer gleich hoch wie in der Amtszeit von Bundesrat Merz. Die dramatische Geschichte von der «KMU-Steuer» ist und bleibt also ein Märchen.

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