Wirtschaftsexperte Vontobel ordnet ein
So zieht die Pharmaindustrie den Patienten das Geld aus der Tasche

Die Pharmaindustrie löst die Probleme, die sie selber schafft – und verdient damit viel Geld. So werden die Schwächen eines offenbar nicht sehr wirksamen Medikaments durch ein weiteres kompensiert.
Publiziert: 13.05.2021 um 11:03 Uhr
Werner Vontobel

Das irisch-amerikanische Pharmaunternehmen Amarin ist der Zufallstreffer einer Diskussion, bei der es darum ging, wo denn heute noch Jobs geschaffen werden. Und in der Folge wollte die Runde wissen, welche bahnbrechende Innovation das Unternehmen bewogen hat, Hunderte neue Stellen zu schaffen.

Gefragt, gegoogelt. Es stellte sich heraus, dass Amarins einziges Produkt, der Blutfettsenker Vascepa, seit März auch in Europa und in England zugelassen ist. Davon verspricht sich Amarin – wie der CEO seinen Investoren verheisst – einen Umsatzsprung von mehreren Milliarden Dollar.

Mehrere Mittel gegen ein Problem

Und das geht so: In der EU und in England schlucken 52 Millionen Patienten regelmässig Statine, um ihr Cholesterin zu senken. Dennoch erleiden 35 Prozent von ihnen innerhalb von sieben Jahren einen Herzinfarkt oder einen Schlaganfall, was meistens mit hohen Blutfettwerten (Triglyceride) einhergeht.

Der Wirtschaftsexperte Werner Vontobel (75) macht auf ein lukratives Geschäft der Pharmaindustrie mit dem Patienten aufmerksam.
Foto: Paul Seewer
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Vascepa senkt diese Werte. Es soll aber laut den Empfehlungen der Zulassungsbehörden nicht anstelle, sondern zusätzlich zu den Statinen, eingenommen werden.

Schwächen werden kompensiert

Wir halten also fest: Die Schwächen eines offenbar nicht sehr wirksamen Medikaments (Helsana und das Universitätsspital Zürich raten von Statinen ab) werden durch ein zusätzliches Medikament kompensiert.

Idealerweise ist dieses erst noch teurer. Eine Tagesdosis Statine kostet in der Schweiz etwa zwei Franken, für Vascepa muss man – bzw. muss die Krankenkasse – in den USA täglich etwa 12 Dollar ausgeben. Diese Kosten kommen jetzt auch auf die Krankenkassen der EU zu.

Typisch für die Pharmaindustrie

Dieser Vorgang ist nicht untypisch für die Pharmaindustrie: Man führe ein Symptom (Herzinfarkt) auf einen Messwert (Cholesterin) zurück und korrigiere diesen mit einem Wirkstoff (Statin), für das man tüchtig die Werbetrommel rührt.

Dann stellt man fest, dass ein anderer Messwert (Triglyceride) entgleist und korrigiere diesen mit einem anderen Wirkstoff, in unserem Fall Vascepa. Auch da geht das Geld vor allem in die Werbung und in den Vertrieb.

Ob die Patienten profitieren, bleibt offen

Bei Amarin verschlingen die Herstellung und die Forschung nur rund einen Viertel des Umsatzes. Das Top-Management beanspruchte etwa acht Prozent und für die Investoren resultierte 2020 ein kleiner Verlust.

Ob die Patienten profitiert haben, bleibt eine offene Frage. Zwar senken laut einer Studie von Amarin vier Gramm Vascepa täglich die Blutfette um 33 Prozent, was bei Patienten mit sehr hohen Ausgangswerten die Sterblichkeit signifikant senken soll.

Allerdings könnte man dieselbe blutfett-senkende Wirkung aber auch mit täglich 1,5 Gramm Vitamin 3 (Niacin) zum Preis von rund 20 Rappen erzielen. Da Niacin zudem das schlechte Cholesterin senkt und das gute erhöht, ersetzt man damit auch noch die Statine.

Kommt dazu, dass Niacin mit Ausnahme von temporären Hautrötungen (Flush) praktisch keine Nebenwirkungen hat, ganz im Gegensatz zu Vascepa (u.a. Muskelschmerzen, Herzrasen, Atemnot und Verstopfung) und vor allem zu den Statinen.

Besser den Lebensstil ändern

Noch besser und billiger kann man das Risiko von Herzinfarkten und Schlaganfällen (und vielen anderem mehr) vermindern, wenn man den Lebensstil ändert: viel Bewegung, weniger Zucker und Mehlspeisen, mehr Gemüse, Früchte, Ballaststoffe und Omega-3-Fettsäuren.

Zur Ehrenrettung der Pharmaindustrie muss gesagt werden, dass genau dies auch auf den Beipackzetteln der Statine bzw. von Vascepa steht. Doch wer liest schon Beipackzettel?

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