Nach russischem Vorbild
Ukraine schickt Häftlinge in den «Fleischwolf»

Die Ukraine braucht dringend neue Soldaten und schickt nun Häftlinge in den Krieg. Russland bedient sich für diesen Zweck schon länger bei Inhaftierten. Zwischen den Vorgaben zur Rekrutierung gibt es jedoch Unterschiede. Ein Experte ordnet ein.
Publiziert: 24.09.2024 um 19:13 Uhr
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Aktualisiert: 25.09.2024 um 15:33 Uhr

Kurz zusammengefasst

  • Gefangene erhalten eine zweite Chance
  • Ukraine rekrutiert Häftlinge für den Krieg gegen Russland
  • Nicht alle dürfen an die Front
Die künstliche Intelligenz von Blick lernt noch und macht vielleicht Fehler.
Im Krieg gegen Russland fehlt es der Ukraine an Soldaten. (Archivbild)
Foto: Getty Images
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Motivierte Soldaten zu finden, die für ihr Land in den Krieg ziehen, gestaltet sich als schwierig. Aufgrund des Mangels an Soldaten rekrutiert die Ukraine nun Häftlinge. Auf russischer Seite ist dies schon länger Usus. Dass ein Land überhaupt im Gefängnis Soldaten für Kriegseinsätze rekrutiert, ist ein Zeichen dafür, dass normale Rekrutierungsmassnahmen nicht funktionieren oder ausreichen.

Bei dem Einsatz von Inhaftierten gibt es aber Unterschiede. Für die Ukraine darf zum Beispiel nicht jeder Gefangene an die Front. Gerhard Mangott, Experte für den Krieg in der Ukraine und Russland-Kenner, erklärt gegenüber «Focus», wie das funktioniert.

Eine zweite Chance für Straffällige

Für die Häftlinge könne das Angebot durchaus attraktiv sein, erklärt Mangott. Mehrere Tausend Häftlinge hätten bereits von dem Angebot, das Gefängnis gegen die Front zu tauschen, Gebrauch gemacht, wie das Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND) berichtete. «Ich bin absolut zufrieden, hier ist es viel besser als im Gefängnis», so ein Häftlingssoldat im Gespräch mit RND. «Man bekommt die Chance, sein Leben zu ändern.» Zwang habe es nicht gegeben. «Das war meine Wahl», erzählt er.

Im Gegensatz zu Russland gelte das Angebot nicht für alle Inhaftierten. Sexualstraftäter zum Beispiel dürften ihre Haftstrafe nicht durch einen Einsatz im Krieg ersetzten, erklärt Gerhard Mangott. Ebenfalls von der Option ausgeschlossen seien Personen, die wegen Korruption oder Verstössen gegen die Sicherheit des Landes verurteilt wurden. Wer wegen eines Mordes verurteilt wurde, dürfe in die Armee eintreten. Ausgeschlossen seien hier wiederum Mehrfachmörder.

Nach Fronteinsatz wieder im Gefängnis

In Russland gelte dies nicht, so Mangott: «Jeder Straftäter darf sich für einen Fronteinsatz melden.» Dass sich in Russland jeder Gefangene für einen Einsatz melden darf, ziehe aber weitere Probleme nach sich. Viele von ihnen würden nach dem Ausscheiden aus der Armee nach einem halben Jahr weiterhin kriminell aktiv und erneut im Gefängnis landen, erklärt der Experte.

Die Front gegen das Gefängnis zu tauschen, könne insbesondere für Schwerverbrecher eine willkommene Option sein, führt er aus. «Die Haftbedingungen in den russischen Strafkolonien sind oft gesundheitsgefährdend und psychisch belastend», so Mangott. In den Gefängnissen gebe es Mangelversorgung, Unterernährung und unzureichende medizinische Betreuung. «Für jemanden, der beispielsweise als Mörder lebenslang im Gefängnis sitzt, ist die Aussicht, an die Front zu gehen und begnadigt zu werden, oft die attraktivere Wahl», so Mangott.

Leben von Häftlingen weniger wert

Ob die Gefangenen ihren Einsatz im Feld überleben, sei dann aber eine ganz andere Frage. Für «anspruchsvolle Aufgaben» würden die Sträflings-Soldaten nämlich nicht eingesetzt. Vielmehr würden sie in die sogenannten «Fleischwölfe» geschickt, wo die meisten von ihnen getötet würden, erklärt der Experte. Dass ein Häftling an der Front stirbt, mag für viele weniger schlimm sein, als wenn ein Soldat aus der zivilen Bevölkerung fällt.

Trotz der düsteren Aussicht sei diese Option auch für die ukrainischen Gefangenen eine willkommene Alternative. «An der Front hat man die Chance, nützlich für die Gesellschaft zu sein. Im Gefängnis ist man nicht nützlich», erzählt ein weiterer Soldat gegenüber RND. Auch die Ausbildner seien zufrieden mit ihren Soldaten. Einer bezeichnet seine neue Truppe gegenüber dem Redaktionsnetzwerk als «diszipliniert» und «zuverlässig». Sie seien ausserdem viel motivierter als Wehrpflichtige.

Es fehlt auch an Munition

Der Mangel beschränkt sich nicht nur auf die Kämpfer selber. Gerhard Mangott erklärt, dass es insbesondere bei der Luftabwehr an Munition fehle. «Die Ukraine versucht, neue Brigaden aufzustellen, kann diese aber oft nicht vollständig ausrüsten, da die westlichen Lieferungen nicht ausreichen.»

Leichte Bewaffnung und Ausrüstung sei zudem einfacher zu beschaffen als zum Beispiel Sturmgewehre oder Luftabwehrsystem mittlerer Reichweite. Diese gebe es nur von Rüstungsindustrien der Länder, die sie herstellen, wie zum Beispiel Grossbritannien. Erst vor zwei Wochen sagte der Verteidigungsminister John Healey der Ukraine ein Luftabwehr-Paket im Wert von 162 Millionen Pfund zu.

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