Weg vom Macho-Gehabe – Spitzenpolitikerinnen sorgen für massiven Zulauf an der Basis
Der Rechtspopulismus ist weiblich geworden

Meloni, Le Pen, Weidel: Bei den Rechtspopulisten und -extremisten geben immer mehr Frauen den Ton an. Und seit das so ist, gibts bei den Rechten auch mehr Zulauf. Forscherin Dorit Geva nimmt die Sozialdemokraten in die Pflicht.
Publiziert: 03.06.2024 um 12:22 Uhr
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Aktualisiert: 05.06.2024 um 18:54 Uhr
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Guido FelderAusland-Redaktor

In drei der vier grossen Nachbarländer der Schweiz mischen Rechtspopulistinnen zuoberst in der Politik mit. In Italien regiert Giorgia Meloni (47) als erste rechtsradikale Ministerpräsidentin Europas, in Frankreich und Deutschland beherrschen Marine Le Pen (55) und Alice Weidel (45) Parteien mit grossem Zulauf und Einfluss.

Die Soziologin Dorit Geva, die an der Universität in Wien zum Rechtspopulismus in Europa forscht, stellt fest, dass die Rechtsaussen-Politik weiblicher geworden ist. «Ein langjähriges Problem der radikalen Rechten seit den 1970er Jahren war, dass sie für männliche Wähler stets attraktiver war als für weibliche», sagt Geva gegenüber Blick. Doch dann kam Marine Le Pen.

Die Tochter des ehemaligen Chefs des rechtsextremen Front National, Jean-Marie Le Pen (95), übernahm die Partei 2011. Es gelang ihr, das bisherige, für Frauen abstossende Macho-Image aufzuweichen. 2022 gab sie die Leitung der in Rassemblement National umbenannten Partei an Jordan Bardella (28) weiter, zieht aber nach wie vor die Fäden und wird wohl 2027 erneut als Staatspräsidentin kandidieren.

Marine Le Pen sorgt in Frankreich für grossen Zulauf zum Rassemblement National.
Foto: keystone-sda.ch
Marine Le Pen dürfte 2027 wieder als Präsidentschaftskandidatin antreten – mit guten Chancen.
Foto: Anadolu via Getty Images
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Rasanter Zuwachs dank Marine Le Pen

Die Zahlen sind beeindruckend. Stimmten bei den französischen Präsidentschaftswahlen 2007 noch 9 Prozent der Frauen für Vater Le Pen, stimmten ein Jahrzehnt später 30 Prozent der Frauen für Tochter Le Pen. Damit hatten die rechten Wählerinnen anteilsmässig zu den rechten Wählern aufgeschlossen. Bei den Jungen lag der Stimmenanteil der Frauen sogar noch höher als bei den Männern.

Rechtspopulistinnen könnten sich als moderne, starke Frauen präsentieren, die sich patriarchalischen Normen nicht beugten, sagt Dorit Geva. «Le Pen, und auch Meloni, haben dieses Image erfolgreich vermittelt. Beide stellen sich als Kämpferinnen für die Rechte der Frauen in ihren Heimatländern dar.»

Kampf für die Frauen

Marine Le Pen betont in ihrem Wahlprogramm von 2022, dass alleinerziehende berufstätige Mütter stärker unterstützt werden müssten. Die italienische Ministerpräsidentin Giorgia Meloni kämpft für Lohngleichheit und geht gegen Gewalt an Frauen vor. Ihr Kampfruf: «Ich bin eine Frau, ich bin eine Mutter, ich bin eine Christin!»

Melonis Weiblichkeit hebt sich deutlich ab vom bisherigen Macho-Gehabe ihrer Vorgänger wie etwa Silvio Berlusconi (†86). Ihre öffentliche Trennung von ihrem betrügerischen Partner im vergangenen Herbst stiess auch bei Frauen, die ihre Politik strikt ablehnten, auf Bewunderung.

Selbst sozial-liberale Frauen können sich inzwischen damit identifizieren, wie sich Le Pen und Meloni als Frauen präsentieren, die gegen patriarchalische Normen kämpfen. Geva: «Ihre Fähigkeit, aus dem Kampf für die Rechte von Frauen – mit Ausnahme der Rechte von Migrantinnen – Kapital zu schlagen, lässt sie weniger radikal und damit für Wählerinnen attraktiver erscheinen.»

Von der Leyen höfelt Meloni

Auch hochrangige Vertreter bürgerlicher Parteien suchen den Schulterschluss mit den Rechten. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen (65) von der Europäischen Volkspartei (EVP) schliesst inzwischen nicht mehr aus, mit der Fraktion Europäische Konservative und Reformisten (EKR), in der Melonis Fratelli d’Italia und weitere rechtspopulistische Parteien vertreten sind, zusammenzuarbeiten. Kuss-Bilder zeigen, dass die beiden Frauen sich auch sonst sehr gut verstehen.

Meloni und auch Le Pen hätten sich als pragmatische Politikerinnen erwiesen, sagt Geva. Sie normalisierten ihre Parteien und stellten ihre Fähigkeit zu Kompromissen und zur Zusammenarbeit mit andern Parteien unter Beweis. «Damit tragen sie zur Konsolidierung der Anti-Migrationspolitik in Europa bei», meint Geva.

Bei EU-Wahlen im Aufwind

Am 9. Juni wählt die EU ihr Parlament. Lag der Anteil der Rechtsaussen-Sitze nach den 1980er Jahren lange Zeit bei rund vier Prozent, kommt die EKR zusammen mit der zweiten rechtspopulistischen Fraktion Identität und Demokratie (ID) heute auf rund 16 Prozent.

Prognosen sagen den beiden Fraktionen zusammen einen Zuwachs auf gegen 20 Prozent voraus. Nicht berücksichtigt ist bei diesem Wert die deutsche AfD unter der Co-Leitung von Alice Weidel und Tino Chrupalla (49), die wegen rechtsextremistischen Vorfällen aus der ID ausgeschlossen wurde.

Forscherin Geva zieht eine überraschende Bilanz: Europäische Rechtsparteien – egal, ob mitterechts oder rechtsradikal – sind eher in der Lage, weibliche Führungspersönlichkeiten hervorzubringen, die von der Partei stark unterstützt werden als Parteien oder Gruppierungen der europäischen linken Mitte. Geva: «Sozialdemokratische Mitte-Links-Parteien sind besonders verschlossen gegenüber weiblichen Führungskräften. Sie müssen sich selber fragen, warum das so ist.»

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