Im Autoland mit dem goldenen Führerausweis
So verrückt fährt Japan

Das Land der Olympischen Spiele 2021 ist auch verrückt nach Autos. Ein enormer Anteil davon sind winzige Kei-Cars, und fast alle sind bei uns unbekannt. Am Steuer träumt man in Japan vom goldenen Führerausweis für bussenfreie Fahrt – und bleibt stets höflich.
Publiziert: 12.09.2021 um 13:30 Uhr
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Aktualisiert: 10.09.2021 um 17:35 Uhr
Timothy Pfannkuchen

Im Einsatz mit Blaulicht und Sirene sagt der Polizist über den Lautsprecher: «Entschuldigung, wir müssen vorbei. Bitte fahren Sie vorsichtig! Vielen Dank.» In Zürich undenkbar – in Tokio (dort mit Rot- statt Blaulicht – mehr dazu hier) Alltag. Ebenso wie weisse Handschuhe der Taxi-Chauffeure und deren höflich ferngesteuert öffnende Fondtür, dass man nach Spurwechseln per Warnblinker Danke sagt – und nachts extremst getunte Boliden ohne Tempoüberschreitung über die Autobahn sausen.

Japan – das Land der Olympischen Spiele 2021 und der Gegensätze. Eine in Tradition verhaftete Hightech-Nation. Das Land der aufgehenden Sonne baut seit 1907 Autos. Nur kannten wir die bis in die 1960er-Jahre nicht – oder sagt Ihnen der Nissan-GT-R-Urahn Prince Skyline was? Dann begann der Export mit einer Perfektion und Vehemenz, dass Amis wie Europäer erschraken. In der Schweiz verkauften japanische Marken 2020 gut 12,5 Prozent der Neuwagen.

Der goldene Führerausweis

Die 125 Millionen Einwohner Japans kauften stolze 4,6 Millionen Autos, womit Japan (jp. Nippon, ausgesprochen meist «Nihon») auf Rang drei hinter China (19,3 Mio.) und den USA (14,6 Mio.) und vor Deutschland (2,9) liegt: In Japan werden in 19 Tagen so viele Autos verkauft wie bei uns im Jahr. Und was dem Swiss-Vielflieger der «Senatoren»-Status, ist Japanern die «Golden License». Fünf Jahre ohne Busse belohnt der Fahrausweis mit einem goldenen Streifen.

Japan ist ein ausgesprochenes Autoland – dessen Autos wir nicht nur früher (Bild: 1960er Prince Skyline) kaum kannten.
Foto: Timothy Pfannkuchen
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Damit er nicht wieder blau (Anfänger grün) wird, muss man alle Bussenzettel meiden. Die sind weiss, blau oder rot – je nach Schwere. In Japan wird sehr, sehr dezent gefahren. Man hält sich an Tempolimiten (Land 60, Autobahn 100, jüngst auf Teilstrecken 120 km/h). Weniger als die Bussen (plus 30 km/h gleich 500 Fr.) sorgen Anstand und Höflichkeit dafür. Dafür verbeugen sich die Fussgänger auch oft, nachdem man sie über den Zebrastreifen gelassen hat.

Die Schweiz von Asien

Der Verkehr ist fast so sicher wie Tokios Partymeilen mitten in der Nacht: In den internationalen Verbrechensstatistiken streitet sich Japan mit Ländern wie Island noch vor der Schweiz um Top-Plätze in der Sicherheit. Im Vergleich der Unfallstatistiken rangiert Japan wie die Schweiz in den Top Ten der sichersten Flächenländer und liegt in Asien so um Welten vor etwa China oder Thailand.

Auch sonst ist Japan ein wenig die Schweiz Asiens. Wir haben die Alpen. Japans Hauptinseln sind Bergland mit schmalen Küstenstreifen. In Rankings schnappt der Inselstaat unter den Flächenländern uns den Sieg bei der besten Bahn-Infrastruktur weg. Wir sind neutral, Japan war lange isoliert. Letzteres spürt man auf der Strasse: Neun von zehn Neuwagen sind japanische (in Deutschland etwa sind bloss sechs von neun deutsche), bei uns meist unbekannte Automodelle.

Toyota ist fast Monopolist

Die Autos heissen meistens Toyota. Die Welt-Nummer-Eins ist in Japan sogar fast Monopolist: 2020 kam über ein Drittel aller Neuzulassungen von Toyota. Dahinter Toyota-Partner Suzuki, Honda, Toyota-Tochter Daihatsu, Nissan, Mazda, Subaru, Mitsubishi, Isuzu und Toyota-Spross Hino. Erst auf dem elften Rang folgt ein Import aus Deutschland. Mercedes liegt damit sogar vor der Toyota-Nobeltochter Lexus – denn in der Heimat verkauft Toyota sogar selbst Luxuslimousinen.

Sucht man Zahlen, wird es kompliziert – denn der Markt ist zweigeteilt. Wegen der Kei-Cars: Cityautos müssen in Städten keinen Parkplatz nachweisen, um zugelassen zu werden, und halten 40 Prozent der Immatrikulationen. Kei-Cars dürfen 3,40 Meter lang und 1,48 Meter breit sein, bis zu 64 PS und 140 km/h Spitze und als Verbrenner 660 ccm Hubraum haben. Bei den Kei-Cars teilen sich Leader Daihatsu und Suzuki je ein Drittel des Marktes. Oft tragen sie Namen, die Weltläufigkeit suggerieren, darunter auch mal Opa oder Lapin (fr. Kaninchen). Bei «normalen» Autos macht Toyota irre 49 Prozent aus, weit vor Honda und Nissan. Die zehn meistverkauften Automodelle in Japan 2020 zeigt unsere Bildergalerie.

Kaum Elektro, viel Hybrid

Der globale SUV-Boom hat die drittgrösste der Autohersteller-Nationen der Welt daheim noch nicht wirklich erfasst. Der Elektro-Boom auch nicht: Nur 0,6 (Schweiz 8,2) Prozent der Neuwagen waren 2020 reine Stromer – aber dafür fast die Hälfte (Schweiz ein Fünftel) Hybride. Bis in zwei Jahrzehnten sollen Verbrenner verboten werden, damit einheimische Marken Starkstrom geben.

Im Mietwagen durch Japan? Nur mit Mut oder Japanisch-Kenntnissen. Japan ist enorm faszinierend, aber gefühlt teils weiter entfernt von uns als der Mond. Also ÖV. Nicht nur wegen des Shinkansen: Man muss links fahren (hier mehr, warum) und findet auf dem Land oft nur Strassenschilder mit Schriftzeichen. Allerdings: Wer es wagt, wird trotzdem belohnt. Zwar liegt Japan bei Englisch-Kenntnissen auf Platz 55 (Schweiz 18). Aber alle sind auch ohne Englisch stets äusserst hilfsbereit zum «Gaijin» (dt. Fremden) aus der «Suisu» (dt. Schweiz).

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