Neuer VW-Chef Thomas Schäfer fordert mehr Tempo
Volkswagen will wieder volksnah werden

VWs radikaler Umbau auf Elektromobilität verläuft nicht gerade reibungslos. Der neue Chef Thomas Schäfer will die Marke nun so schnell und effizient machen, wie sie schon lange gerne wäre – und wieder mehr auf die Kunden hören.
Publiziert: 07.11.2022 um 03:22 Uhr
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Aktualisiert: 03.01.2023 um 10:07 Uhr
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Andreas FaustLeitung Auto & Mobilität

VWs Start in die Elektromobilität verlief eher harzig. Auf die neue einheitliche Elektro-Plattform lassen sich zwar Autos vom kompakten ID.3 bis zum Familienvan ID. Buzz und wohl bald auch einem E-Pendant zum Flaggschiff Passat stellen. Aber zickende Software, wenig intuitive Bedienung und fade Interieurs nahmen manchem Kunden dann doch den Spass am neuen Stromer.

«Wir haben verstanden», sagt nun Thomas Schäfer. «Die Marke VW hat in den vergangenen Jahren auch durch die Folgen der Diesel-Krise gelitten. Doch die Zeit des Wundenleckens ist vorbei. Wir blicken jetzt nach vorne und wollen es besser machen.» Der 52-Jährige aus Marburg (D) ist seit 1. Juli dieses Jahres neuer Markenchef von VW im Volkswagen-Konzern. Zeit, um eine erste Bilanz zu ziehen und zu erklären, wohin er die Marke künftig steuern will. Seine wichtigste Leitlinie: «Der Kunde ist König.»

Kundenkritik ernst nehmen

Eigentlich eine Selbstverständlichkeit bei jedem Unternehmen. Doch Schäfer hat ein Top-Gremium namens Vorstandsausschuss Kunden (VAC) unter Leitung der Marketing-Vorständin Imelda Labbé installiert. Dort sollen «konkrete Kundenwünsche diskutiert werden» – und das zeigt, wie weit sich der niedersächsische Autobauer von seinem Klientel entfernt und die Nahbarkeit nur noch im Namen getragen hat. Immerhin: Jetzt erreichen die Klagen der Käufer auch das Stammwerk Wolfsburg und werden berücksichtigt.

Der neue Chef der Marke VW, Thomas Schäfer (52), will Kundenkritik an den letzten Modellneuheiten künftig mehr berücksichtigen: «Wir haben verstanden.»
Foto: Anne Hufnagl
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Deswegen zieht VW das Facelift des ID.3 auf nächstes Jahr vor und verbessert unter anderem die Materialanmutung im Innenraum. Das Schwestermodell ID.4 folgt bereits ein Jahr später; auch die aktuelle achte Generation des einstigen Bestsellers VW Golf soll dann sehr umfassend überarbeitet werden – sozusagen Golf 8.5. Allerdings hat die technische Auffrischung bestehender Modelle Grenzen: «Ein Lenkrad zu ändern, kostet 300 Millionen Euro», sagt Schäfer. Den nächsten grossen Verbesserungsschritt vor allem beim Bediensystem – wie den berührungsempfindlichen und deshalb zu nervös reagierenden Tasten auf dem Lenkrad – bringen deshalb erst die neuen Generationen von Tiguan und Passat im kommenden Jahr.

Modelle werden entbehrlich

Was die Kundschaft ebenfalls spüren wird: Nicht jedes existierende Modell bekommt künftig einen Nachfolger. «Brauchen wir ein Fahrzeug wie den Arteon?», fragt Schäfer rhetorisch. «Eher nicht.» Auch beim Golf ist längst nicht entschieden, ob eine neunte Auflage noch kommen wird. Jedes Modell steht auf dem Prüfstand, bevor das Okay für eine Neuauflage gegeben wird.

Klar ist, dass VW in Europa ab 2033 nur noch Elektroautos verkaufen will. Neue Modelle werden bis Ende des Jahrzehnts auf dem gleichen neuen Technikbaukasten stehen. Das erste Auto auf dieser Architektur wird 2026 der VW Trinity sein. Aber: «Wenn wir ein neues Modell machen, dann machen wir es richtig», sagt Schäfer. Schnellschüsse wie den aktuellen Golf und sein instabiles Infotainment soll es nicht mehr geben. Schäfer würde lieber einen Marktstart einige Monate verschieben, statt eine nur halbgare Neuheit zu lancieren.

Zehn neue Stromer bis 2026

Bis 2026 will VW zehn neue Elektromodelle auf den Markt bringen, darunter schon im zweiten Quartal des nächsten Jahres das neue Stromer-Flaggschiff auf Basis der Studie ID. Aero. Quasi ein elektrischer Passat, der vermutlich ID.7 heissen könnte. Oder auch nicht – selbst die Modell-Nomenklatur ist für Schäfer nicht unantastbar. Für mehr Konkurrenzfähigkeit soll vor allem die Ladeleistung auf 200 Kilowatt (kW) gesteigert werden. Kleinster Stromer wird der schon angekündigte ID.2. Wird das Auto tatsächlich unter 25'000 Franken kosten? «Schwierig zu sagen, angesichts der steigenden Preise für Rohstoffe und Energie», sagt Schäfer. Zusätzlich wirds auch einen Einstiegs-Crossover geben. Und soll ein Zwilling ist auch für den ID.3 geplant.

Für Schäfer viel entscheidender für die Zukunftsfähigkeit sind aber die von ihm angestossenen strukturellen Änderungen. VW firmiert gemeinsam mit Seat, Curpa, Skoda und VW-Nutzfahrzeuge als Markengruppe, innerhalb derer flexibel Technologie und Produktionskapazitäten geteilt werden sollen. Die Entscheidungen sollen dabei in einem Ausschuss der Markenvorstände so getroffen werden, dass für alle gemeinsam die beste Lösung gefunden wird – auch wenn eine Marke fürs grosse Ganze dann zurückstecken muss.

Neustart in den USA

«Die Diskussionen, ob Seat oder Skoda unserer Hauptmarke VW nicht zu nahe auf die Pelle rücken, wird es künftig nicht mehr geben.» Schäfer muss es wissen: Er leitete seit 2020 bis zum Juni selbst die tschechische Tochter. Dabei sei diese Diskussion eher theoretisch: «Die Kundenwanderung von VW zu Skoda liegt unter drei Prozent», erklärt Schäfer. «VWs Mitbewerber sind ausserhalb des Konzerns.» Wichtig, um im Wettbewerb zu bestehen, seien jetzt Verschlankung und Effizienzsteigerung. Schnelle Entscheidungen vor Ort, statt jede Schraube und ihre Kosten auf Vorstandsebene zu diskutieren. Wo einst einzelne Bauteile auch durch den Raum geworfen worden sein sollen, wenn sie den Ansprüchen des Führungszirkels nicht entsprachen.

Auch in den USA startet VW einen neuen Versuch, nachdem die Marke seit dem Diesel-Skandal dort eher harzig unterwegs war. Bis 2027 investiert VW in den USA sieben Milliarden Euro. «Der Marktanteil muss fünf Prozent plus X betragen, um dort eine Rolle spielen zu können», erklärt Thomas Schäfer. Türöffner jenseits des Atlantiks soll der ID. Buzz werden, der dafür eine grössere Batterie und langen Radstand bekommt. «Wir hätten das Auto schon viel früher bringen müssen», gibt Thomas Schäfer zu. So viel Selbstkritik war noch nie in Wolfsburg.

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