Verbandsaustritt wegen EU-Verbrennerverbot
Auto-Gigant schäumt – aber anders als erwartet

Das Verbrennerverbot in der EU ab 2035 schlägt Wogen – vor allem in den Lobbyverbänden der Autoindustrie. Stellantis-CEO Carlos Tavares hat jetzt deshalb genug von ihnen.
Publiziert: 18.06.2022 um 11:12 Uhr
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Aktualisiert: 18.06.2022 um 11:55 Uhr
Andreas Faust

Carlos Tavares (63), CEO des zweitgrössten europäischen Autokonzerns Stellantis, will bis Ende Jahr aus dem europäischen Verband der Autoindustrie ACEA austreten. Damit reagierte der Chef von weltweit 14 Automarken (u.a. Citroën, Fiat, Jeep, Maserati, Opel und Peugeot) auf die EU-Entscheidungen zur Zukunft des Verbrennungsmotors.

Anfangs Juni bebte die Autowelt. Per Abstimmung beschloss das Parlament der Europäischen Union (EU) ein Verbot für Verbrennungsmotoren in Neuwagen ab 2035. Das heisst: Ab Mitte des nächsten Jahrzehnts dürfen Autohersteller in Europa nur noch Fahrzeuge auf den Markt bringen, die keine Treibhausgase ausstossen. Das ist das Aus für Benziner, Diesel und Motoren, die mit Erd- (CNG) oder Flüssiggas (LPG) oder synthetischen Treibstoffen betrieben werden.

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Auto-Lobby wehrt sich

Die Regelung soll nur für ab 2035 verkaufte neue PW und leichte Nutzfahrzeuge gelten – schwere Lastwagen, Schiffe oder Flugzeuge können Stand heute weiterhin mit Verbrennern betrieben werden. Das Verbot für Neuwagen hat auch Auswirkungen auf die Schweiz, obwohl diese kein EU-Mitglied ist. Denn auch unsere Neuwagen müssen EU-Typengenehmigungen erfüllen – und damit auch die europäischen Abgasvorgaben. Noch muss das Verbot aber durch den EU-Gesetzgebungsprozess.

Carlos Tavares (63), CEO des zweitgrössten europäischen Autokonzerns Stellantis, will bis Ende Jahr aus dem europäischen Verband der Autoindustrie ACEA austreten.
Foto: Stephane Sby Balmy
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Im Vorfeld der Entscheidung hatten zahlreiche EU-Parlamentarier von Beeinflussungsversuchen seitens der Lobby-Verbände berichtet. Und auch nach der Entscheidung bezogen der ACEA und der Verband der deutschen Automobilindustrie VDA sofort die Gegenposition: ACEA-Präsident und BMW-CEO Oliver Zipse (58) nannte den Entscheid «verfrüht», weil noch keine ausreichende Ladeinfrastruktur bestehe. Und VDA-Präsidentin Hildegard Müller (54) erklärte, die Abgeordneten hätten «eine Entscheidung gegen die Bürger, gegen den Markt, gegen Innovation und gegen moderne Technologien getroffen.» Auch in der Schweiz äusserten sich Branchenverbände kritisch.

Industrie schneller als EU

Für Stellantis-Chef Tavares offenbar der Tropfen, des das Fass zum Überlaufen brachte: Schluss mit der traditionellen Lobbyarbeit in Verbänden – Stellantis werde sich daran nicht mehr beteiligen und den ACEA verlassen. Hintergrund: Während die Verbände gegen das Verbrenner-Verbot angehen, haben die meisten Autohersteller längst eigene Pläne fürs Verbrenner-Ende. Und die sollen deutlich vor 2035 greifen – bei Stellantis soll spätestens 2030 Schluss mit Verbrennern in Europa sein; die Konzernmarke Opel will beispielsweise schon 2028 nur noch E-Modelle anbieten. Tavares fühlt sich daher offenbar nicht mehr vom ACEA vertreten. Auch der VW-Konzern und Mercedes erklärten, mit der Entscheidung absolut leben zu können.

Dialog statt Lobbyismus

«Der Zugang zu sauberer, sicherer und erschwinglicher Mobilität für die Bürger der ganzen Welt steht auf dem Spiel», so Tavares in einer Pressemitteilung. Er sieht offenbar im beharrlichen Widerstand der Verbände gegen die EU-Entscheidung einen Hemmschuh für konstruktive Lösungen für die zukünftige Mobilität. Tavares hatte in der Vergangenheit mehrfach betont, Elektromobilität sei ganz offensichtlich gesellschaftlich gewollt und deshalb müsse die Autoindustrie liefern – schliesslich habe die Bevölkerung in den Nationalstaaten jene Politiker gewählt, die diese Position vertreten.

Tavares will statt der Einflussnahme über die Branchenverbände künftig lieber direkt mit Interessengruppen und Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch kommen. Er kündigte die Gründung eines Forums für freie Mobilität an, in dem faktenbasiert und unter Beteiligung von Politik, Wissenschaft und der Autobranche über die Zukunft diskutiert werden soll.

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